Tagträumend und nachtwandelnd
„Macbeth“ an der Semperoper Dresden · Von
Jörn-Peter Hiekel
Gleich zu Beginn kracht es gewaltig. Die Dresdner Staatskapelle,
vielfach gerühmt für ihre Darbietungen energisch aufwallender
Musiktheaterwerke von Richard Strauss bis zu Adriana Hölszky,
beweist ihren an der Moderne geschulten Sinn für krasse Gegensätze.
Eindrucksvoll, wie sich die Wucht der Erschütterungen schon
im Vorspiel zu Giuseppe Verdis Oper „Macbeth“ mit unbeschwert
lapidaren, fast banalen Momenten mischt, heroisches Pathos und unheilig-vorgetäuschte
Nüchternheit sich fast collageartig verschränken.
Bereits Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab
es an diesem Hause eine veritable Verdi-Renaissance, die angesichts
der hiesigen Strauss-Tradition mittlerweile halb vergessen ist.
Gerade den „Macbeth“ hat man hier jahrzehntelang überhaupt
nicht mehr aufgeführt. Doch wie sinnfällig und suggestiv
sich beide Ausdruckstraditionen tatsächlich berühren,
zeigte nun bei der ersten Premiere der neuen Spielzeit die Leistung
der Staatskapelle unter dem Mailänder Dirigenten Daniele Gatti.
Verdis eigenwillige Partitur imponiert an diesem Abend nicht allein
durch die Modernität ihrer schroffen Kontraste, sondern auch
durch ein ungewöhnliches Maß an grellen Ambivalenzen.
Vieles in dieser Musik läuft auf eine Verschattung des Verständlichen
hinaus, gebärdet sich offener, rätselhafter, als es die
im Werk agierenden Machtmenschen glauben machen wollen. Der Komponist
setzte im Falle des „Macbeth“ wie bei kaum einem anderen
Werk auf die Zeichnung vielschichtiger Charaktere jenseits des bloßen
Schöngesangs, forderte für die eindringliche Figur der
Lady ausdrücklich eine rauhe, zu erstickten und sogar teuflischen
Tönungen fähige Stimme. In Dresden gibt sich die kurzfristig
eingesprungene amerikanische Sängerin Marquita Lister zunächst
fast überforcierten Emotionen hin, imponiert dann jedoch durch
eine enorme Wandlungsfähigkeit. Sie spielt die introvertierten
Passagen ebenso intensiv aus wie alle aufkeimenden Momente von Schuldgefühlen
und seelischer Zerrüttung. Ein Glücksfall für die
Produktion ist ihr Zusammenspiel mit dem italienischen Bariton Lucio
Gallo in den albtraumhaften Duetten des mörderischen Paars.
Gallo gestaltet die Titelrolle mit einem starken Gespür für
Gebrochenheit, eindrucksvoll in seinen verstörenden Obsessionen
und der Reichhaltigkeit seiner emotionalen Zwischentöne, zumal
ihm die eindimensional auftrumpfenden Machtgesten ohnehin weniger
zu liegen scheinen. Zum starken musikalischen Gesamteindruck tragen
auch die übrigen Solisten bei, besonders Georg Zeppenfeld als
dunkel-ahnungsvoller Banco und Woo-Kyung Kim als herzzerreißend
klagender Macduff. Fabelhaft singt der Dresdner Opernchor, er versteht
– einstudiert von Matthias Brauer – mit Präzision
und Flexibilität nachdrückliche Akzente zu setzen.
Den düsteren Grundton dieser blutrünstigen Oper sucht
Philipp Himmelmanns Inszenierung durch pointierte Nüchternheit
in der Ausstattung zu kontrapunktieren. Der bogenförmige Bühnenraum,
entworfen von Johannes Leiacker, zeigt das perfide Herrscherpaar
in einer von Telefon und Bürostühlen gesäumten Zentrale
der Macht, in der es sein ausgeklügeltes Spiel tagträumend
und vor allem nachtwandelnd zu entfalten sucht. Weniger zwingend,
doch folgenreich erscheint Himmelmanns Idee, diesen von Neonlicht
und vielen Türöffnungen geprägten, kühl-klassizistischen
Raum als Einheitsbühnenbild beizubehalten, also auch die vielfältigen
phantastischen und obskuren Momente von Verdis Vierakter in der
Büroetage anzusiedeln – ein Spielort, der eine fast stupide
Distanziertheit erzeugt. Die verrät wenig vom Doppelgesicht
kühl kalkulierender Machtmenschen, sie kündet eher von
deren grauem Alltag.
Am suggestivsten gerät bezeichnenderweise jene Szene, in der
die Häscher des Macbeth wie postsozialistische Büroangestellte
erscheinen (Kostüme: Bettina Walter) und als Schreibtischtäter
vorm Kaffeeautomaten den Mord an Banco organisieren. Das Festbankett,
auf dem der tote Banco seinem Mörder erscheint, wird als absurd
überzogenes Defilee einer Hundertschaft von Bedienungspersonal
dargestellt. Doch zerfasert der erste starke Eindruck dieses Bildes
wie so vieles an diesem Abend dank einer unzureichenden Personenführung.
Und warum, so fragt man sich, steigt Macbeth plötzlich auf
den Tisch?
Letztlich bleibt es bei einer Inszenierung als kostümbetontes
Ausstattungstheater, ohne choreografische Verantwortung für
die beklemmenden Intensitäten dieses Stückes. Dies gilt
auch für die aufwendig gestaltete Hexenwelt des Irrationalen,
bedrohlich Dämonischen mit ihren lemurenhaften Fabelwesen,
die das Verhängnis nicht nur prophezeien, sondern durch permanente
Kriechbewegungen zugleich auch selbst verkörpern müssen.
Eher unfreiwillig komisch erscheint dagegen der mit abgesägten
Ästen skizzierte Wald von Birnam. Doch wird solche Komik alsbald
zum Bumerang, sie desavouiert alle Ansätze schlüssigen
Erzählens.
Das Premierenpublikum bezog großzügig das Regieteam
in seine Ovationen für die Musiker mit ein. Modernes Musiktheater,
bei dem eine szenische Deutung der musikalischen Interpretation
auch einmal Paroli bieten könnte, gehört bei den Opernkulinarikern
der Stadt nicht unbedingt zu den Lieblingsspeisen. Dies soll vor
knapp achtzig Jahren, als man Verdi in Dresden neu entdeckte, noch
anders gewesen sein.
Jörn-Peter Hiekel
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