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Ein Meister des Selbstzitats
Konwitschnys „Cosi fan tutte“ in Berlin ·
Von Frank Kämpfer
Sie beherrscht den Umgang mit Launen, sie erschrickt über
Nähe, sie fegt die Scherben gebrochener Teller, Tassen und
Herzen höchst resolut. Nicht dass sie zu lieben verschmäht
– sie kennt es vom Zwischenstopp der Soldaten. Eine Frau,
so Despina, soll den Augenblick leben, nicht warten auf bessere
Tage. In der neuen deutschen Librettoversion der Dramaturgen Bettina
Bartz und Werner Hintze erwachsen der Dienerin geschärfte soziale
Konturen, und es liegt auf der Hand, dass Regisseur Peter Konwitschny
gerade dieser Figur einen erweiterten Spielraum bemisst. Nicht als
die käufliche Magd tritt sie auf – vielmehr wächst
sie zum Gegenentwurf Don Alfonsos, für den Gefühle und
Menschen nur mehr Spielmasse sind. Sopranistin Anne Bolstad singt
und spielt die Figur mit der Leidenschaft einer geschundenen Frau.
Wenn sie Alfonso eingangs Akt zwei auf der Bühne zu fesseln
und zu misshandeln beginnt, dann ist klar, dass die scheinbar versöhnliche
Neu-Produktion von Mozarts dramma gioccoso an der Berliner Komischen
Oper durchaus ihre Abgründe hat.
Zunächst beginnt „Cosi fan tutte“ ganz traditionell.
So scheint es zumindest, wenn zwei von Michaela Mayer-Michnay auf
Rokoko getrimmte blutjunge launische Weibchen und zwei überforderte
Jungen im Soldatenkostüm die Trennung einläuten, mit der
Don Alfonsos Testreihe menschlicher Treue beginnt. Das von Kirill
Petrenko sehr theaterbezogen geführte Orchester der Komischen
Oper merkt an, dass hier etwas nicht stimmt. Das berühmte Abschiedsquintett
folgt – für die, die es virtuos leichtherzig singen,
wirkt es deutlich zu groß. Partnerschaft war ihnen bislang
ein Spielen mit Puppen – anderes müssen sie erst schmerzhaft
erlernen. Wie die zwei Frauen sich den anfangs nur gespielten Emotionen
der zwei Männer erwehren, und wie diese den Auftrag des Partnertauschs
einzulösen versuchen, wird als pubertäres, das heißt
seelisch heftiges Treiben gezeigt. Konwitschny erzählt detailreich,
auf den ersten Blick linear und nicht ohne milden Humor. Den vier
stimmlich sehr souveränen Sängerdarstellern werden schnelle
gestische Wechsel abverlangt – Stella Doufexis (Dorabella),
Maria Bengtsson (Fiordiligi), Johannes Chum (Ferrando) und Michael
Nagy (Guglielmo) werden dieser Aufgabe mit großer Spiellust
gerecht.
Ein zweiter, tieferer Blick eröffnet Kontexte anderer Art.
Bezeichnenderweise hat Bühnenbildner Jörg Koßdorf
symbolisch einen gigantischen Spiegel über die Szene gehängt,
der mehrere Perspektiven erlaubt. Wenn Alfonso sich anfangs einen
Komiker nennt, Akteur Dietrich Henschel sich jedoch auf dem Fußboden
krümmt, kommt einem ein Bild in den Sinn: Budapest 1975, der
Gestürzte aus Konwitschnys Inszenierung von Heiner Müllers
„Zement“. Wo begegnen sich beider Biographien? Minuten
später, wenn Guglielmo der Puppe Fiordiligis seine Vorzüge
aufzählt, assoziiert sich alsbald Don José, der knieend
die Marionette Carmens (Halle 1988) anfleht. Noch deutlicher wird
es, wenn Fiordiligi die Arie „Come scoglio“ anstimmt
und die Szenerie Lohengrins Abschied (Hamburg 1998) zu ähneln
beginnt: Visionäres artikuliert sich, die Hände aller
greifen nach ihr, doch die Fiordiligi des ersten Akts ist noch lange
nicht reif, sie zu ertragen.
Das Spiel mit dem Selbstzitat ist in Konwitschnys Theater kein
Novum – zweifelsfrei ist es bei ihm kein Zeichen mangelnder
Bühnenideen. Bezüge auf Früheres geben Gegenwärtigem
Tiefe – Figuren und Themen anderer Werke Konwitschnys, die
in der jüngsten Arbeit aufscheinen, erweitern deren historischen
Ideenhorizont. Peter Konwitschnys Theaterästhetik, die sich
unter anderem auch auf Eccos Postmoderne-Verständnis bezieht,
versteht die Bühne als geschichtlichen Raum. Opernfiguren aus
allen Jahrhunderten ringen mit ähnlichen Konflikten wie ihr
Publikum heute – was sie bewegt, ist bis zum jüngsten
Tag uneingelöst.
Unübersehbar funktioniert solches Zitieren ironisch –
bereits verwendete Szenenmetaphern werden umgemünzt, laufen
auf anderes hinaus als zuvor. Ein Beispiel das Marionetten-Theater
im zweiten Finale. In Händels „Floridante“ (Bad
Lauchstädt 1984) bot ein solches Gelegenheit, das „lieto
fine“ als utopischen Schluss zu verwenden: Diplomatie wäre
möglich statt Krieg, Versöhnung statt Hass. In der Berliner
„Cosi“ hingegen obliegt den wiederkehrenden Puppenfiguren
des Anfangs der unerwünschte konventionelle Ausgang der Oper:
Fiordiligi und Dorabella würden als untreu bezeichnet, die
Männer wären gleichfalls betrogen, und Partner, die nicht
(mehr) zusammengehören, würden zueinander sortiert. Konwitschnys
Angebot behauptet anderes und nimmt dabei die höchst intensiven
Duette und Arien des zweiten Aktes beim Wort. Nicht von Verfehlung
ist musikalisch die Rede, sondern von einem auch schmerzvollen Erfahrungs-
und Reifeprozess. Nicht Partnertausch, Partnerschaft ist das Ziel
– Fiordiligi und Dorabella, Ferrando und Guglielmo probieren
sie in neuen Liebesbeziehungen und gewinnen dabei an Substanz. Die
Frage, wer am Ende wen und ob man überhaupt heiraten soll,
wird angesichts dessen zur Farce. Dies wiederum zitiert den Hamburger
Eingriff ins dritte „Meistersinger“-Finale, als Solisten
und Chor Wagners Libretto zu diskutieren begannen. Auch hier in
Berlin wird der Gang der Musik unterbrochen, wird debattiert, werden
überkommene Normen und Sichtweisen lachend vom Tische gefegt.
Auch hier erhält Musik das letzte Wort – doch unvermittelt
stellt sich heraus: Bei Mozart bleibt alles offen und das überschwänglich
dem gesamten Ensemble applaudierende Publikum kann, soll und muss
letztendlich seinen eigenen Schluss daraus ziehen.
Frank Kämpfer
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