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Theaterkampf in Weimar
Warum das Deutsche Nationaltheater eigenständig bleiben muss:
Ein Pressespiegel
Weimarer Theaterfreunde im Protest
20.45
Uhr, Theaterplatz: Menschen strömen vor das DNT, stellen Kerzen auf die Treppenstufen und bekunden damit
mehr als Verbundenheit mit dem Haus. Sie stehen damit für die Forderung, das DNT in seiner künstlerischen
Eigenständigkeit erhalten zu wollen. Die Initiative Weimar verpflichtet lädt zu dieser
symbolischen Besetzung des Theaters alle Bürger und Bürgerinnen ein. Nachdem sich der Vorhang im Großen
Haus senkt, wird die Initiative beim Publikum für seine Ziele werben. In einer Woche folgt dann ein weiterer
Höhepunkt im Aktionsreigen. Wenn am 29. November im Münchner Prinzregententheater die Faust-Inszenierung
den bayerischen Theaterpreis erhält, demonstriert die Initiative vor dem Haus für die Eigenständigkeit...
TLZ, 23.11.01
Die
Weimarer Kulturbürger haben Ernst gemacht: Wo Appelle und Petitionen nichts fruchten, geht man auf die
Straße. Gestern Abend demonstrierten mehr als 1.000 Menschen gegen die Fusion der Theater Erfurt und Weimar
und für den Erhalt eines eigenständigen DNT.
Bitterkalt ist es auf dem Theatervorplatz, aber in den Herzen steigt Wärme auf. Ein Lichterkranz umschließt
das ehrwürdige Denkmal der Geistesheroen Goethe und Schiller. Damit wollen die Kulturbürger den Politikern
ein Licht aufstecken damit sie die richtige Entscheidung finden. Transparente haben sie dabei, Kerzen und Teelichter.
Der Geist von 1989 ist noch lebendig. Nur diesmal wollen die Bürger keine Reisefreiheit, sondern
ihr Theater vor Ort behalten...
Wolfgang Hirsch
TLZ, 24.11.01
Zieh,
Gedanke, auf goldenen Flügeln... wie kaum ein anderes Werk der Opernliteratur beschreibt der
Gefangenenchor aus Nabucco die Zwänge menschlichen Daseins. So nimmt es nicht wunder, dass
das Stück mehr und mehr eine Hymne im Kampf um die künstlerische Eigenständigkeit des DNT wird.
Der Opernchor sang gestern Abend Va pensiero in einem vollen Foyer I vor Bürgern und Gästen
Höhepunkt der symbolischen Besetzung des Theaters, zu der die großen Kulturvereine und engagierte
Kulturbürger dieser Stadt eingeladen hatten.
Es gibt nichts Sinnfälligeres, als wenn sich Menschen bei Eis und Nebel auf den Weg machen um ihr
Theater zu besetzen, sagte DNT-Generalintendant Stephan Märki. Eine größere Legitimation
für das Theater könne es nicht geben. Und unter dem Applaus der Zuschauer darunter viele Stadträte
rief er mit Blick auf das Theater als Lebensnerv: Weimar ist nicht fusionabel!
Thorsten Büker
TLZ, 24.11.01
Der zukünftige General: Bürge für Qualität
Jac van Steen hatte Mühe, seine Hände zum Stillhalten zu zwingen. Seine Finger klopften zum Takt von
Henry Tomasis Concert champêtre, das das Bläsertrio aus Wally Hase, Jan Doormann und
Michael Abé gab eigens für ihn, den künftigen Weimarer Generalmusikdirektor, der gestern
seinen Drei-Jahres-Vertrag mit dem DNT unterzeichnete...
Die Weimarhalle war am Sonntag Abend ausverkauft zu van Steens Quasi-Einstand in Weimar, und ein zufriedener
Generalintendant Stephan Märki konnte festhalten, dass es aussah, als sei er schon sehr lange hier.
Zur gleichen Zeit, als die Staatskapelle ihr 5. Sinfoniekonzert gab, spielte sich im Großen Haus das Hamlet-Drama
ab. Auch diese Vorstellung war ausverkauft. Laut dachte Märki gestern darüber nach, wie solch ein
doppelter Erfolgsabend an einem fusionierten Haus aussehen müsste: es hätte ihn nicht gegeben, vermutet
er, denn an solch einem Abend hätte das Orchester in Erfurt gespielt, kein Konzert, sondern Oper.
TLZ, 27.11.01
Der
Mann ist ein Riese. Über Eins Neunzig, unübersehbar, eine mächtige Erscheinung. Dabei bewegt
er sich behutsam, mit einer Umsicht, als wolle er nichts kaputtmachen. Dennoch: Klare Ziele hat er vor Augen,
die er nicht mit brachialem Einsatz und Ungeduld, sondern mit unwiderstehlicher Beharrlichkeit verfolgt. Die
Rede ist von Jac van Steen, dem designierten General am Deutschen Nationaltheater und Chef der Staatskapelle
Weimar...
Die Klangqualitäten der Staatskapelle Weimar lernt der künftige GMD bei der Arbeit am Verdi-Requiem
so richtig kennen: Superb, sein lapidares Urteil, besser kann es sich ein Dirigent nicht wünschen.
Besonders schätzt van Steen den romantischen Wohlklang des Traditionsorchesters: Das muss man so
lange wie möglich kultivieren...
Ob ihn nicht das Getümmel um die geplante Theaterfusion mit Erfurt eher abschreckt? Solange
ich hier bin, werde ich dafür kämpfen, dass das DNT ein Drei-Sparten-Haus bleibt. Und deshalb unterschreibe
ich.
Wolfgang Hirsch
TLZ, 23.11.01
Das DNT: Künstlerische Erfolgsgeschichte
Preisgekrönt
Der aktuelle Faust in Weimar zählt zu den bundesweit besten Inszenierungen. Gemeinsam mit Regisseuren
aus Halle, Hamburg, Basel und Nürnberg werden Julia von Sell und Karsten Wiegand mit dem Bayerischen Theaterpreis
für die besten Inszenierungen der Spielzeit 2000/2001 geehrt...
Der Preis ist der beste Beweis dafür, dass unser Theater nur im Zusammenspiel der Sparten überregional
in den Wettbewerb treten kann, freut sich DNT-Generalintendant Stephan Märki über die Auszeichnung,
die erstmalig in die neuen Länder geht. Er habe nicht damit gerechnet, bereits im ersten Jahr
seiner Intendanz dieses Ziel zu erreichen...
Gerlinde Sommer
TLZ, 22.06.01
Zauberflöte
So kommt Gabriele Rechs Inszenierung der Zauberflöte, Spielzeitauftakt am Deutschen Nationaltheater,
immer wieder auch komisch daher, ohne damit aufzutrumpfen. Und die eigentliche Geschichte der jungen Menschen,
die einen Weg für ihre Liebe suchen und alle Prüfungen mutig-unbeirrt absolvieren, erzählt sie
dicht, heutig und ohne Pathos...
So gelingt es der Regisseurin und dem wunderbaren Ensemble von Sänger-Schauspielern auch über gut
drei Stunden überzeugend, Philosophie und Ideale dieser Oper zu vermitteln, ohne vordergründig oder
pathetisch zu werden. Und sie zeigt keine übermenschlichen Helden, sondern junge, trotzig-mutige Menschen,
die sich ihren Weg erkämpfen. Die Inszenierung nimmt sich Zeit für die Sprech- und Spielszenen und
stellt Ergreifendes gleichberechtigt neben Komisches...
Ohrenschmaus. Brillante Solisten, die Staatskapelle Weimar unter George Alexander Albrecht und die Regisseurin
wurden bejubelt.
ug
Theater Rundschau, Okt. 2001
La
Bohème
Ganz selten gibt es solche Glücksfälle von Einstudierungen, bei denen schier alles sich zusammenfügt.
Stefan Klingele, der 34-jährige Gastdirigent, gestaltet den Orchesterpart ungemein durchsichtig bis in
die Nebenmotive, klug wählt er seine Tempoabstufungen, setzt geschickte Rubati und entsagt dennoch nicht
jener schmelzenden Schönheit der Streicherkantilenen in bedächtig musizierten, leidenschaftlich ausgekosteten
Adagio-Passagen....
Dass diese geballte Emotionalität überhaupt auszuhalten ist, bleibt indes Verdienst des Regisseurs
Thilo Reinhardt. Mit seinem subversiven Humor lüftet er immer wieder den Schleier der Verklärung,
zeigt schon im ersten Bild die Inszeniertheit der Bohème-Welt und entlockt dem Publikum sogar kurz vor
Momenten tiefster Innigkeit noch ein überrastes Schmunzeln...
Diese Weimarer Bohème ist das Produkt der klug und mit Augenmaß zusammengeführten
Kompetenzen eines Hauses, das selbst in so schwierigen Zeiten eine beeindruckende Substanz verrät. Besser
kann man Puccini auch an ersten Bühnen der Republik kaum erleben. Stolz wäre jedes Staatstheater auf
diese Leistung, und das mit Recht.
Wolfgang Hirsch
TLZ, 05.11.01
Kompetenz kämpft mit: Stimmen von anderen
Leserbrief
von Hartmut Haenchen
(Chefdirigent der Niederländischen Philharmonie und des Niederländischen Kammerorchesters Amsterdam)
... Politiker neigen dazu, Kultur und Kunst in Legislaturperioden abrechnen zu wollen. Dies hat bereits vielerorts
zu unwiederbringlichen Verlusten geführt, denn wenn man zerstört, was in langer Entwicklung aufgebaut
wurde, gibt es keine Chance, dieses wieder zurück zu bringen.
Weimar als Kulturhauptstadt Europas hat ein Recht darauf, dass auch eine Pflicht für die Politiker ist,
dieses Kleinod der deutschen Kultur in allen seinen Facetten zu bewahren und auszubauen. Eine etwaige Verkleinerung
des Nationaltheaters (man beachte den Namen und die nationale und internationale Verpflichtung, die sich daraus
ergibt) mit der dazugehörigen Staatskapelle wäre ein nicht zu verantwortender Schritt. Gern erinnere
ich mich der ausverkauften Konzerte, die ich mit diesem Klangkörper dirigieren durfte und gern habe ich
die Einladung für die Jubiläumssaison zum 400-jährigen Bestehen des Orchesters wieder angenommen.
Aber auch eine angedachte Fusion bringt größte Qualitätsverluste...
TLZ, 16.06.01
Leserbrief
von Peter Gülke
(von 1981 bis 1983 Generalmusikdirektor der Weimarer Staatskapelle und des DNT)
Als ich vor 18 Jahren gezwungen wurde, die Staatskapelle und das Nationaltheater im Stich zu lassen, konnte
ich nicht ahnen, dass ich neun Jahre später wieder ein Konzert in Weimar dirigieren würde. Noch weniger
aber konnte ich im Jahre 1992 ahnen, dass ich wieder neun Jahre später protestieren müsste gegen einschneidende
Veränderungen, die ich nicht einmal denen zugetraut habe, die mich außer Landes jagten...
Das Deutsche Nationaltheater auf dem Feuer ökonomischer Zwänge eingedampft zu einem mittelthüringischen
Partialtheater das wäre eine Katastrophe nicht nur für die Stadt (...), sondern allgemein für
unser Verständnis von Kultur... Denn ökonomische Nöte nähren die Illusion, sie seien ökonomisch
behebbar, sie machen uns kulturpolitisch kurzsichtig... Als erstes Produkt jener Kurzsichtigkeit ist die Versicherung
zu hören, die Staatskapelle sei nicht gefährdet ohne Oper wird sie eben drei Jahre
später gefährdet sein. Wehret den Anfängen die Positionen, die heute aufgegeben werden,
kommen nie mehr frei Haus zurück...
TLZ, 16.06.01
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