Gift beim Buffo
Neue Opernaufnahmen auf CD
Der CD-Markt lebt. Und wie. In vorderster Front stehen natürlich die Jubilare, in diesem Jahr vor allem
Verdi. Was aber ist etwa mit Lortzing, dem Theater-Allrounder? Gleich doppelt wäre an ihn zu erinnern:
200. Geburtstag und 150. Todestag. Allein, der CD-Markt schlägt um den einstigen Publikumsliebling einen
großen Bogen. Einige Querschnitte werden aus den Archiven hervorgezaubert. Das ist bereits alles. Schade.
Bei Bellini übrigens ist es nicht viel anders.
Also Verdi. Gleich drei Neuaufnahmen wurden, von eifrigem Werbe-Tamtam forciert, in den letzten Wochen freigegeben
und sofort auf Best-Platzierungen in den Verkaufslisten gehievt. John trifft John: Sir John Eliot Gardiner
dirigiert Sir John Falstaff. Dem Spiel des Orchestre Révolutionnaire et Romantique zuzuhören macht
Spaß. Es spielt auf historischen Instrumenten, und besonders die Holzbläser garantieren ein ungewohntes
Farbenspiel; die Streicher geifern teils giftig, teils säuseln sie holde Anmut. Gardiner hat seine Sänger
nach den Aspekten Leidenschaft und Gegensätze ausgesucht. Allerdings bleibt Jean-Philippe
Lafont in der Titelrolle vieles von dem schuldig, was Verdi wohl vorgeschwebt haben mag. Vor allem die Keckheiten
in den Höhen klingen mitunter gallig-gequält. Ebenfalls Fragezeichen stehen hinter Anthony Michaels-Moore
als Ford. Spannend dagegen die Damen-Riege mit Hillevi Martinpelto (Mrs. Alice Ford), Sara Mingardo (Mrs. Quickly)
und Rebecca Evans (Nannetta). Gewohnt bravourös der Monteverdi Choir. (Philips/Universal 2 CD 462 603)
Ebenfalls mit Falstaff setzt Claudio Abbado die Reihe seiner Verdi-Einspielungen fort. Bryn Terfel
ist ein Falstaff von hohen Gnaden: sein Cantabile fließt wie Qualitäts-Honig, vorbildlich auch Deklamation
und gestalterische Intelligenz, umwerfend seine Theaterlust. Mit wunderbaren Momenten gesegnet auch Thomas Hampsons
Ford und vor allem die zauberhafte Nannette der Dorothea Röschmann. Der Rundfunkchor Berlin
liefert betörende Augenblicke, was auch von leichten Einschränkungen abgesehen für
die Berliner Philharmoniker gilt. Abbados Aufnahme ist die sängerisch homogenere, strahlendere; dafür
ist Gardiners orchestrale Lesart gewagter, pointenschärfer. (DG/Universal 2 CD 471 194)
Nikolaus Harnoncourt wartet bei seiner Einspielung der Aida wieder mit Kuriosem auf: die von Verdi
geforderten ägyptischen Trompeten ließ er extra anfertigen. Die Suche nach Authentizität geht
also weiter: Gottlob, denn die Wiener Philharmoniker nehmen jede Vorschrift ernst gerade in allen Piano-Bezirken.
Man hört Diskretion auch dort, wo andere die Differenziertheit mit großem Schwall zunebeln. Gleiches
gilt für den trefflichen Arnold Schoenberg Chor. Cristina Gallardo-Domâs singt eine von Beginn an
dem Tod ins Gesicht schauende Aida, mit wundervollen Passagen des Innehaltens und der Nachdenklichkeit. Olga
Borodina bietet eine hingebungsvolle Amneris, Vincenzo La Scola einen mitunter etwas verhaltenen, gerade in
den Höhen wenig leuchtenden Radamès. Eindrucksvoll Matti Salminen als Ramfis und Thomas Hampson
als Amonasro. (Teldec/Warner 8573-85402)
Ebenfalls drei Neu-Veröffentlichungen gibt es zu Christoph Willibald Gluck. Die Reihe der Live-Aufnahmen
bei Orfeo wurde nun (neben einem imponierenden Fidelio aus München unter Karl Böhm von
1978, 2 CD C 560 012 I) um einen Mitschnitt der letztjährigen Salzburger Festspiele erweitert: Iphigénie
en Tauride. Eine Spitzenaufnahme dank eines grandios aufgelegten Mozarteum Orchesters unter Ivor Bolton,
sowie eines inständig singenden Wiener Staatsopernchores. Auch die Sänger mit Thomas Hampson, Philippe
Rouillon und Paul Groves alles prima. Der Lorbeer indes gebührt Susan Graham als Iphigénie.
Was immer sie auch singt, es geht unter die Haut. Kein Legatobogen, der ihr unter den Stimmbändern wegflutscht,
keine Nuance, die nicht Sinn macht. (Orfeo 2 CD C 563 012 I)
Dagegen hat es die Aufnahme unter Marc Minkowski mit den Musiciens du Louvre natürlich schwer.
Bitte kein Missverständnis: Auch diese Einspielung der Iphigénie kann etliche Meriten für sich
verbuchen. Etwa das feinnervige, transparente und doch zupackende Orchesterspiel. Oder Simon Keenlyside als
Orest oder Mireille Delunsch in der Titelpartie auch wenn an einigen Stellen Susan Grahams Deutung wohl
vorzuziehen ist. In einigen der dramatischen Verdichtungen fällt eine gewisse unbeschwerte Helligkeit auf,
deren Motivation sich dem Hörer nicht immer erschließt. Der Chur der Musiciens ersingt sich
geschmackliche Höchstnoten, könnte aber vereinzelt noch eine Schippe drauflegen: Immerhin sind wir
nicht auf einem Geburtstagskränzchen. (Archiv-DG /Universal 2 CD 471 133)
Schließlich bleibt René Jacobs Produktion von Orfeo ed Euridice mit dem
Freiburger Barockorchester und dem RIAS-Kammerchor: wieder so ein Wunderbeleg für das, was dieser Chor
zu leisten imstande ist, nachdem bereits die jüngste Einspielung von Rossinis Petite Messe Solennelle eindrucksvoll
davon Zeugnis ablegte (Harmonia mundi CD HMC 901724). Bernarda Fink singt einen überzeugenden Orfeo, leuchtend-inniglich
die Euridice der Veronica Cangemi (Harmonia mundi 2 CD HMC 901742.43)
Christoph
Vratz
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