Noch ist Lortzing nicht verloren
Wiederentdeckung unbekannter Werke in Freiberg · Von Werner Wolf
Wahrhaftig haben sich die großen deutschen Opernbühnen zum 200. Geburtstag Albert Lortzings in
Enthaltsamkeit geübt, obwohl sie alle Möglichkeiten zu beispielhaften Aufführungen besitzen.
So ist es um so höher zu schätzen, wenn ein kleines Theater wie das Mittelsächsische in seinen
Häusern Freiberg und Döbeln erneut mit einer Lortzing-Entdeckung aufwartet. Dem im März 2000
erfolgreich wieder aufgeführten Hans Sachs folgen jetzt zwei der vier frühen Liederspiele:
Der Pole und sein Kind und Der Weihnachtsabend.
Beide 1832 in Detmold also vor Lortzings langjährigem Wirken in Leipzig entstandenen Stücke
handeln im kritisch dargestellten Kleinbürgermilieu. Der Weihnachtsabend spielt im Hause des
sonderbaren Herrn Käferling, der auch an solchem Tag mit dem Vermessen und Beschreiben eines Tierskeletts
beschäftigt ist und die Familienprobleme der Hausfrau überlässt. Das kommt der Tochter zu Hilfe,
um mit List auch anderer Akteure den vom Vater abgelehnten Geliebten als in einem Korb verpacktes Weihnachtsgeschenk
zu erhalten.
Auch Der Pole und sein Kind spielt in solchem Milieu, mit einer Feier zu Ehren des reichen Pächters
Redlich beginnend. Eine von Redlich großmütig aufgenommene Fremde gibt aber Rätsel auf. Zur
Lösung führt ein mit seinem kleinen Sohn bettelnd durch Deutschland ziehender polnischer Invalide.
Der entpuppt sich nämlich als Feldwebel des IV. Regiments, das beim blutig niedergeworfenen polnischen
Aufstand gegen die zaristische Fremdherrschaft 1831/32 besonders tapfer kämpfte. Zu seiner und aller Überraschung
findet er in der von Geheimnissen umwitterten Unbekannten seine tot geglaubte Frau. Das klingt heute zwar rührselig,
drückt aber die große Sympathie und Unterstützung der deutschen Bevölkerung für die
verfolgten polnischen Freischärler aus. Und die Theaterbesucher verstanden es so, auch als aktuelle Mahnung
gegen Fremdenfeindlichkeit.
Für die Gesangsnummern beider Stücke verwendete Lortzing, dem Brauch des französischen Vaudevilles
folgend, weitgehend damals beliebte Lieder und Opernarien. Beiden Stücken stellte er eine eigene Ouvertüre
voran. Als Ausdruck der allgemeinen und seiner eigenen Sympathie für die aus ihrer Heimat vertriebenen
polnischen Freiheitskämpfer komponierte er das Auftrittslied für den Feldwebel vom IV. Regiment und
verwendete für das Finale das später zur polnischen Nationalhymne erhobene Lied Noch ist Polen
nicht verloren. Feinsinnige Harmonisierung und Instrumentation geben beiden Stücken musikalische
Geschlossenheit und durchaus persönliches Gepräge.
Intendant Ingolf Huhn inszenierte die Stücke behutsam, mit Sinn für feinen, auch hintergründigen
Humor (im Weihnachtsabend mit einer marionettenhaft gespielten Szene). Rita Zaworka, Uta Simone,
Marcus Sandmann, Lothar Ballhaus, Hans-Heinrich Ehrler und Klaus Kühl zeigen sich in beiden Stücken
spielfreudig mit guten gesanglichen Leistungen. Im Polen kommt noch Guido Hackhausen als stattliche
Erscheinung in der Titelrolle hinzu. Generalmusikdirektor Georg Christoph Sandmann nimmt diese Musik ernst,
führt differenzierend und präzise die Solisten, den Chor und die Mittelsächsische Philharmonie
zu einer überzeugenden und beeindruckenden musikalischen Gestaltung.
Werner
Wolf
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