|
West-östliche Sündenfälle
Hindemiths Triptychon an der Kölner Oper · Von Guido Fischer
Wenn er sich in zu heiß gewaschenem Feinripp speckbäuchig hin- und herräkelt und sie mit leerem
Blick Kartoffelchips in sich reinschaufelt dann ist das Tristesse pur. Und fast wie im richtigen Eheleben.
Aus den großen Gefühlen von gestern ist eine Nullnummer geworden. Das Feuer zwischen den beiden flackert
nur noch in der zentralen Frage auf, ob es nun Konfitüre oder Marmelade heißt.
Am Kölner Opernhaus ist Regisseur Günter Krämer nicht etwa einem volkstümelnden Doku-Drama
auf den Leim gegangen. Krämer hat mit dem Griff ins Alltagsrepertoire lediglich den Rettungsanker für
einen von drei Operneinaktern ausgeworfen, der ansonsten weiterhin in die Ablage gehörte. Denn Mörder,
Hoffnung der Frauen von Paul Hindemith bringt auf gerade mal zwei Libretto-Seiten das auf den Punkt, worüber
andere Opernkomponisten sich in abendfüllenden Klangpsychologien abgearbeitet haben: Wer tot ist, sündigt
nicht. Womit zuallererst, und ganz in der Tradition von Monteverdis Eurydice bis Janaçeks
Katja stehend, das weibliche Geschlecht gemeint ist.
Hindemith holte sich die Vorlage 1917 vom Maler und Laien-Dramatiker Oskar Kokoschka, der mit dem gleichnamigen
Theaterstück nicht nur expressionistische Gravitationskräfte freisetzte, um konventionelles Erzähltheater
auseinander fliegen zu lassen. Im Hinterkopf spukte ihm die schwüle Erotologie aus Otto Weiningers Kultbuch
Geschlecht und Charakter herum, in dem der Tod der lüsternen Frau als Befreiung für den
Mann propagiert wurde. Flankiert wird das Werk von den leicht verdaulichen Küchenweisheiten der Friederike
Roth. Die Texte der deutschen Schriftstellerin um den Liebesgott Krishna bilden zugleich auch die geschickt
gewählte Klammer, um diesem panoptischen Opern-Triptychon ein wenig Handfestes über Entfremdung und
verlorene Liebesmüh mitzugeben. Das fehlte bei der kompletten Uraufführung 1922 in Frankfurt gänzlich;
es kam zum Skandal. Denn Hindemith ließ den Strudel erotischer Obsessionen mächtig kreiseln. Mit
fernöstlicher Paarungslust in der Burleske Nusch Nuschi, die auf dem Spiel für burmanische
Marionetten von Franz Blei basiert. Und im Schlussbild Sancta Susanna nach August Stramm vergeht
sich eine liebestolle Klosterschwester am gekreuzigten Christus. Weshalb Fritz Busch, immerhin der Dirigent
von Mörder und Nusch Nuschi, gleich die Premiere empört absagte. Doch auch
der sich vom Bad Boy zum Paulus wandelnde Hindemith zog nach und nach die Reißleine und 1958 endgültig
das Triptychon aus dem Opernspielplan zurück. Erst nach der Freigabe der Erben wurden die drei Einakter
1993 in Trier wieder szenisch aufgeführt.
In Köln kühlt Günter Krämer die erhitzten Gemüter der Liaisons dangereuses zumindest
so weit ab, dass aus den ehemaligen Provokationen halbwegs ein Opernvergnügen werden konnte. Wofür
der Regisseur in die Entstehungschronologie eingriff und Nusch Nuschi zum finalen Cat-Walk für
allerlei Fantasie-Gestalten aus dem Morgenland machte. Vor dem auf die Bühne platzierten Gürzenich-Orchester
mit dem unerschütterlich großartigen Dirigenten Gerd Albrecht marschieren sie alle auf: groteske
Buddha-Ringer, überreichlich eingetüllte Harem-Blüten und wohl aus Cocteaus Die Schöne
und das Biest entlaufene Affen im Smoking. Zudem tätowiert Krämer dem bunten Treiben noch einige
Albernheiten wie Erektionskontrolle und tuntigen Varieté-Flitter ein. Bei so viel Grellem hat es die
Musik nicht immer leicht, sich zu behaupten. Was der jugendliche Stürmer und Dränger Hindemith in
unerwartete, so gar nicht risikofreudige Formen goss, hat da mittlerweile viel von seiner Widerspenstigkeit
eingebüßt. Die avancierten Parodien über Neo-Barockes, Mahler, Strauss und Wagners Tristan
sind bewegliche Fingerübungen. Der existenzielle Atem, die emotionale Gischt stellt sich aber allein in
der romantisch abgedunkelten Idiomatik der Sancta Susanna ein. Vor allem dank einer Julie Kaufmann
in der Titelpartie, die Tabubruch und Triebhaftigkeit zu einem elektrisierenden, unheiligen Passionskrimi macht
in dem wohl nur ein Jeff Koons den Sündenfall noch kitschiger nachgestellt hätte.
Guido
Fischer
|