Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Theater als moralische Anstalt
Der Regisseur Peter Konwitschny im Gespräch
„Laut gedacht“
Theo Geißler und Klaus Bernbacher über den Deutschen Musikrat
Weimar liegt nicht in Bayern
Bayerischer Theaterpreis für das gefährdete DNT
Weimar: Kultur ausradieren?
In Bayern wird das Deutsche Nationaltheater Weimar – DNT – mit dem Bayerischen Theaterpreis geehrt
Theaterkampf in Weimar
Warum das Deutsche Nationaltheater eigenständig bleiben muss:
Ein Pressespiegel

Sächsische Kulturraum-Konferenz

Portrait
Kein nahtloser Wechsel
Neuanfänge beim Theater Regensburg
Der Promi-Rektor
Zum Amtsantritt von Siegfried Jerusalem an der Hochschule Augsburg-Nürnberg

Berichte
West-östliche Sündenfälle
Hindemiths „Triptychon“ an der Kölner Oper
Noah unter den Hausbesetzern
Sidney Corbetts „Noach“ in Bremen uraufgeführt
Noch ist Lortzing nicht verloren
Wiederentdeckung unbekannter Werke in Freiberg
Es ist kalt in Deutschland
Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in Paris und Stuttgart
Dresdner Sänger-Wettstreit
Finalisten-Auswahl beim Competizione dell’ Opera


Gift beim Buffo
Neue Opernaufnahmen auf CD

Service
VdO-Nachrichten 1
VdO-Nachrichten 2
VdO-Nachrichten 3
Alles, was Recht ist
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt
Spielpläne 2001/2002

 

Kulturpolitik

Theater als moralische Anstalt

Der Regisseur Peter Konwitschny im Gespräch

In Hamburg inszenierte Peter Konwitschny „Don Carlos“. Christoph Forsthoff unterhielt sich mit dem Regisseur über die Situation des Theaters in Deutschland.

Christoph Forsthoff: Allenthalben ist derzeit zu hören: Nach dem 11. September ist nichts mehr wie es einmal war...
Peter Konwitschny:... das stimmt nicht, das ist albern! Warum soll alles anders sein? Alles ist genau so wie zuvor, nur ist deutlicher geworden, worauf das Prinzip unserer abendländischen Zivilisationsstruktur beruht, wie deren patriarchalische Denkweise funktioniert: Es handelt sich um eine Kette von Gewalt und Gegengewalt. Nichts in der Geschichte bleibt ohne Folge – und so bereiten die USA mit ihrer Antwort des Krieges nur den nächsten Terrorangriff vor. Und der wird schlimmer sein: Denn durch Strafe bekommt man Terror nicht in den Griff.

 
 

Regisseur Peter Konwitschny. Foto: Landsberg

 

Forsthoff: In Berlin haben Sie bei Nonos „Intolleranza“ die Attentate in Ihre Inszenierung aufgenommen – hat Kunst die Aufgabe aktuelle Ereignisse widerzuspiegeln?
Konwitschny: Das ist sicher nur ein Aspekt. Kunst kann vor allem ein Politikum sein, da sie uns sensibilisiert und Maßstäbe bietet. Dort kann ich am besten lernen, was in einem anderen Menschen vorgeht, dem ich mit Stiefeln ins Gesicht trete: Denn im Theater habe ich die wunderbare Möglichkeit, die Geschehnisse nicht im Ernstfall erleben zu müssen, sondern im Spiel.

Forsthoff: Das bietet das Fernsehen doch auch...
Konwitschny: Aber im Theater kann ich nicht wegzappen, weil mir etwas nicht passt, zu schrecklich oder zu unbequem ist! Ich kann dem nicht entfliehen und erlebe es kollektiv. Deshalb ist Theater auch so wichtig: Es ist die letzte Insel in unserer Welt, wo nicht entfremdet produziert und rezipiert wird. Man muss dabei sein und es gibt eine direkte Rückkopplungsmöglichkeit – anders als beim Fernsehen.

Forsthoff: Wenn es aber nur ein Bühnen-Spiel ist, kann ich als Zuschauer doch entfliehen, jede Assoziation zur Wirklichkeit leugnen.
Konwitschny: Prinzipiell gilt das sicher, doch in einer dramatischen Handlung gibt es immer starke Momente, wo ich vergesse, dass es ein Spiel ist. Und wenn Theater gut gemacht und eine sinnvolle Botschaft vorhanden ist, kann das eine sehr menschen- und wertebildende Kraft in der Gesellschaft sein. Und daher halte ich jede Schließung eines Theaters, sei es auch noch so provinziell, für gefährlich, denn es verschwindet damit ein Ort für diese Wertebildung.

Forsthoff: Ist Theater heute also wichtiger als je zuvor?
Konwitschny: Ja, ganz genau. Das Theater als moralische Anstalt ist das Ziel – von Schiller und Lessing über Verdi und Wagner bis zu Brecht und Heiner Müller: Das Theater soll letztlich eine Wirkung zurück in die Gesellschaft haben. Dass das Theater heute auszusterben droht, ist für mich ein Symptom des Niedergangs der abendländischen Zivilisation.

Forsthoff: Ein unaufhaltsamer Niedergang?
Konwitschny: Zumindest ist es eine Illusion zu glauben, dass eine Partei allein in der Lage wäre, unsere Konflikte zu lösen. Es wird nur noch schlimmer und immer bedrohlicher. Keine Regierung oder Partei und schon gar kein Einzelner kann dieses riesige System aufhalten, diese Mega-Maschine, die sich verselbstständigt hat.

Forsthoff: Hat die Menschheit also versagt?
Konwitschny: Nicht Menschen versagen hier primär, sondern es gibt keinen Raum für Menschen. Wir alle wissen, wie manch einer ausgesehen hat, bevor er in die Politik eingestiegen ist: Man erkennt ihn nicht wieder – nicht weil er ein schlechter Mensch geworden wäre, sondern weil in diesen Strukturen einfach kein Raum bleibt für seine eigentlichen Ziele. Das Ergebnis ist eine immense Selbstverleugnung.

Forsthoff: Auch hier liegt der Grund wieder in ungelösten Konflikten – woher rührt diese Unfähigkeit?
Konwitschny: Da muss man in der Geschichte weit zurück gehen: Begründet liegt es in der Aufkündigung der Einheit zwischen Mann und Frau. Der Übergang vom Sammler und Jäger zu einem ansässigen Stamm hat bestimmte Rollenzuweisungen mit sich gebracht – am Ende stand die gewalttätige Spaltung der menschlichen Ganzheitlichkeit und die Unterdrückung der Frau. Und die wiederum diente als Muster für jede weitere, größere Form der Unterdrückung in der Geschichte.

Forsthoff: Keine Chance also mehr für einen gemeinsamen Weg?
Konwitschny: Sofern wir denn überhaupt noch Interesse haben als Kultur zu überleben, müssten wir uns alle jenseits von Parteien gemeinsam verständigen, was wir denn von unserem Leben wollen, welche Form der Erfüllung wir denn erreichen wollen.

Forsthoff: Eine große Aufgabe – auch für Sie als Regisseur?
Konwitschny: Ich habe den Eindruck, dass man Menschen durch einen großen Theaterabend erreichen kann. Denn das Bewusstsein für den nahenden Untergang steigt, für die immer neuen Krisen und Bedrohungen durch Kriege, Umweltzerstörung oder jetzt biologische Waffen. Im Theater aber ist man all diesem nicht vereinzelt ausgeliefert, sondern gemeinsam: Das ist viel erträglicher, gibt neue Hoffnung und Kraft – auch wenn es sich am Ende als Illusion heraus stellt.

Forsthoff: Das klingt alles sehr düster...
Konwitschny:... und doch glaube ich, dass ich unter den Kassandren auf der richtigen Seite bin. Diese politische Sicht kann ich verteidigen – mir ginge es nicht so gut, wenn ich ein Theater machte, das lügt. Wo einfach Sänger nebeneinander stehen, schöne Tönchen abdrücken und das beklatscht wird: Das ist Verdrängung, den Wahnsinn einfach weiter zu machen und nicht hinzugucken. Für mich ist das die asoziale Funktion von Oper.

Forsthoff: Dennoch: Der Trend auf den Bühnen geht zum Verdrängen und zum Entertainment.
Konwitschny: Insgesamt gesehen sicher. Doch Klaus Zehelein in Stuttgart zum Beispiel beweist, dass es auch anders geht: Der muss nicht um Zuschauerzahlen buhlen mit zehn verlogenen Inszenierungen, um dann ein gutes Stück machen zu können – so argumentieren ja manche Intendanten. Aber das ist alles kalter Kaffee – man muss nur Mut haben: Auch Zehelein wäre nicht Zehelein, wenn er sich immer nur angepasst hätte.

Forsthoff: Auch wenn dann die Zuschauer auszubleiben drohen?
Konwitschny: Zehelein hat ja Publikum, er hat es geschafft. Wahrscheinlich muss man so fünf Jahre lang die Nerven bewahren: Anfangs werden viele fortbleiben, aber dafür kommen andere nach. Und die interessieren sich dann durchaus für vernünftiges Theater – vernünftig in dem Sinne, dass etwas für uns Menschen wirklich Wichtiges vermittelt wird. Denn Theater ist immer gegenwärtig: Die erzählte Geschichte dient nur zur Vermittlung dieses Wichtigen.

Forsthoff: Dieses Wichtige: Worin liegt es bei Verdis „Don Carlos“, den Sie jüngst in Hamburg inszenierten?
Konwitschny: Ich halte Verdi für einen ganz Großen, weil er dialektisch auffassen kann. So zeigt er einerseits, dass Philipp seinem Sohn gegenüber absolut despotisch handelt – andererseits aber, dass er auch liebesbedürftig ist. Er ist verzweifelt, weil er keinen Menschen in dieser menschenleeren Wüste findet – Philipp ist nicht einfach nur der Böse, sondern auch ein Mensch. Ganz im Sinne Brechts: Letztlich weist das Stück darauf hin, dass die Verhältnisse verändert werden müssen, damit Menschen Menschen bleiben können.

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner