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Phönix aus der Asche
Das Badische Staatstheater Karlsruhe · Von Nike Luber
Wie Phönix aus der Asche ist auch das Karlsruher Theater aus mehreren Bränden wieder neu erstanden,
jedes Mal in veränderter Form. Baugeschichte ist hier Theatergeschichte, und umgekehrt. Heute sieht man
dem Haus seine Tradition nicht an. Nichts erinnert an die Singspiele der Barockzeit im damaligen Hof zu Durlach.
Auch der Theatersaal des 1715 erbauten Karlsruher Schlosses ist längst in der Geschichte versunken. Immerhin
kam der seinerzeit berühmte Opernkomponist Reinhard Keiser von Hamburg einmal auf einen Abstecher nach
Karlsruhe, wo eine seiner Opern aufgeführt wurde. Der sparsame Nachfolger des lebenslustigen Stadtgründers
Karl Wilhelm wollte von der kostspieligen Theaterkunst nichts wissen und überließ das badische Terrain
erst einmal Wandertruppen. Aber die Geschichte holte auch Karl Friedrich ein. Als er, dank Napoleon, vom Markgrafen
zum Großherzog von Baden befördert wurde, stiegen die Ansprüche einer repräsentativen
Hofhaltung. 1808 hatte Friedrich Weinbrenner, der für Baden die gleiche Rolle spielte wie Schinkel für
Preußen, in Karlsruhe ein Theatergebäude in der Nähe des Schlosses erbaut. 1810 avancierte das
Haus zum großherzoglichen Hoftheater, das weithin für seine Ausstattung gerühmt wurde.
Die Pracht bestand hauptsächlich aus Leinwand und Holz, denn auch Weinbrenner konnte sparen. In einer
gut besuchten Aufführung am 28. Februar 1847 brach ein Feuer mit verheerenden Folgen aus. Das Theater brannte
völlig ab und nur ein Teil der Zuschauer konnte sich retten, denn die Türen waren nicht von innen
zu öffnen. Der Theaterneubau ließ zunächst auf sich warten, erst 1853 war das von dem damaligen
Hofarchitekten Heinrich Hübsch entworfene Haus fertig. Mit 2.000 Plätzen war das Hoftheater umfangreicher
als das Große Haus des Badischen Staatstheaters heute, das 1.000 Zuschauer aufnimmt. Die Karlsruher gingen
gern ins Theater, ihren Geschmack fand der 1852 bestallte Theaterleiter Eduard Devrient jedoch höchst bedauerlich.
Trivialkomödien für schenkelklopfende Besucher war nicht das, was dem in Berlin und Dresden renommierten
Sänger und Schauspieler vorschwebte. Devrient, der erste Profi unter den Intendanten der Hofbühne,
setzte gegen den Widerstand des Publikums eine umfassende Reform durch, die aus dem Karlsruher Theater eines
der modernsten seiner Zeit und damit zu einer führenden Bühne in Deutschland machte.
Devrient holte fähige Leute in das Schauspiel- und Opernensemble, und er schuf Spielpläne, die sich
selbst heute sehen lassen könnten. Sämtliche Bühnenwerke Shakespeares wurden in Karlsruhe gespielt,
dazu Dramen von Schiller und Goethe sowie anspruchsvolle zeitgenössische Stücke. Opern von Gluck bildeten
den ersten Schwerpunkt im Musiktheater, außerdem begann unter Devrient die Wagner-Pflege, die das Haus
bis heute hochhält. Devrient kannte Wagner aus Dresden und mochte ihn nicht sonderlich, aber er sorgte
für Aufführungen, die Furore machten. 1855 wurde Tannhäuser ein unerwarteter Publikumserfolg,
1856 folgte Lohengrin, 1857 Der fliegende Holländer. Die weiblichen Hauptrollen
sang Malvina Garrigues, die mit ihrem späteren Ehemann, dem Tenor Ludwig Schnorr von Carolsfeld, in der
Uraufführung des Tristan in München auftrat. Die hervorragenden Sänger und die gute
Aufnahme durch das badische Herrscherpaar ließen Wagner eine Zeit lang an den Bau eines Festspielhauses
in Baden denken. Doch Devrient wusste sich diese Konkurrenz vom Hals zu halten, und so hatte Karlsruhe lediglich
den Ruf eines Klein-Bayreuth, während die heilige Halle auf einem grünen Hügel am
Rand einer fränkischen Provinzstadt errichtet wurde.
Auch Brahms wusste das reiche kulturelle Leben in der badischen Hauptstadt zur Zeit von Devrient und der Dirigenten
Hermann Levi und Felix Mottl zu schätzen, dokumentiert in dem Ausspruch, ein anständiger Mensch
müsse schon des klassischen Repertoires wegen alljährlich einige Monate in Karlsruhe leben.
Tempi passati. 1870 trat Devrient als Intendant zurück, das Hoftheater war in den folgenden Jahrzehnten
nicht mehr ganz so glanzvoll. Die nächste Katastrophe traf 1944 ein, als ein Fliegerangriff das Hoftheater
zerstörte. Lange blieben die Ruinen sich selbst überlassen, während im heutigen Konzerthaus aus
dem improvisierten Nachkriegs-Theater ein Dauerzustand wurde, unter dem Darsteller und Publikum gleichermaßen
litten. Im Tauziehen um den Platz am Schloss unterlag das Theater, an der Stelle der abgerissenen Ruinen residiert
heute das Bundesverfassungsgericht.
Das Badische Staatstheater wurde am Ettlinger Tor neu errichtet, in einer mühsamen Wiedergeburt: 1964
begannen die Planungen, 1975 konnte das Haus endlich eröffnet werden. Wieder ein Karlsruher Theaterbau
im Stil der Zeit, wieder einmal unter dem Gebot der Sparsamkeit stehend, aber unter all dem Waschbeton sehr
funktional. Die Akustik des Großen Hauses hält jedem Anspruch stand, von allen Plätzen aus ist
die Bühne gut sichtbar, die Foyers und Flure sind so weitläufig, dass der alljährliche Opernball
als gesellschaftliches Ereignis der Region fungiert. Natürlich haben Devrients Nachfolger im 20. Jahrhundert
eigene Akzente gesetzt, vor allem der von 1977 bis 1997 amtierende Generalintendant Günther Könemann.
Er brachte sämtliche Opern von Richard Strauss auf die Bühne, ebenso selbstverständlich erklang
in schöner Regelmäßigkeit eine Wagner-Oper. Aufsehen erregten auch einige der Uraufführungen,
etwa Rainer Kunads Der Meister und Margarita.
Könemanns Erbe sind jedoch die Karlsruher Händel-Festspiele. Als Student in Halle und Göttingen
von den Händel-Festspielen in beiden Städten inspiriert, hob Könemann 1978 die ersten Händel-Tage
in Karlsruhe aus der Taufe. Zwar ist Händel, im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Keiser, nie in Baden gewesen,
aber dieses Manko trifft auch die ältesten deutschen Händel-Festspiele in Göttingen. Aus bescheidenen
Anfängen entwickelte sich im Badischen Staatstheater eine ganz eigene Händel-Tradition, der Aufschwung
historischer Aufführungspraxis spiegelt sich alljährlich in der Festspiel-Zeit im Februar und März.
Mit den Deutschen Händel-Solisten verfügt Karlsruhe über ein eigenes Festspiel-Orchester, das
für Originalklang nach allen Regeln der Kunst sorgt. Könemann und sein Nachfolger, Pavel Fieber, haben
immer eine glückliche Mischung aus eingekauften Spezialisten und Ensemblemitgliedern in den Festspiel-Produktionen
gewahrt. Nächstes Jahr wird gefeiert, dann haben die Internationalen Händel-Festspiele in Karlsruhe
mit dem 25-jährigen Jubiläum sozusagen die Festival-Volljährigkeit erreicht.
Entscheidend beteiligt ist das Badische Staatstheater auch an den Europäischen Kulturtagen, die alle zwei
Jahre in Karlsruhe stattfinden, jeweils zu einem bestimmten Thema. Oft standen andere Länder im Mittelpunkt,
Anlass zu spannenden Gastspielen sowohl in Karlsruhe wie im Partnerland. Unter Pavel Fieber haben neue Schwerpunkte
im Musiktheater überregionale Aufmerksamkeit angezogen. Verdis frühe Opern etwa, in denen der Badische
Staatsopernchor ebenso gefordert ist wie in den nach wie vor regelmäßigen Wagner-Neuinszenierungen.
Ausgetretene Pfade hat das Haus verlassen, um lange vergessene Bühnenwerke der Zwanziger- und Dreißigerjahre
neu zu entdecken, Korngold, Schreker, Krenek und Zemlinsky standen auf dem Spielplan und demonstrierten nebenbei
die Leistungsfähigkeit des Staatstheaters. Kritiker bescheinigen dem Haus, einen der interessantesten Spielpläne
in Deutschland vorzuweisen. In Karlsruhe wird gut gesungen, dieses Urteil aus Könemanns Zeit
gilt nach wie vor, Fieber hat neben erfahrenen Sängern viele junge, viel versprechende Stimmen engagiert.
Das Ballett, lange von Germinal Casado geprägt, ist nach einer schwierigen Zeit des Umbruchs offenbar
dabei, mit dem neuen Ballettdirektor Pierre Wyss zu einer zeitgemäß modernen Form zu finden. Auch
das langjährige Sorgenkind, das Schauspiel, könnte sich unter dem designierten neuen Leiter Knut Weber
erholen. Die Badische Staatskapelle hatte bisher immer Glück mit den Generalmusikdirektoren. Christof Prick
ist auch heute unvergessen, unter Günter Neuhold wurde der Ring eingespielt, Kazushi Ono lässt
das Orchester besonders in den Sinfoniekonzerten des Badischen Staatstheaters zu großer Form auflaufen.
Onos Wechsel an das traditionsreiche La Monnaie in Brüssel zur Spielzeit 2002/2003 spricht
für sich.
Derzeit wird ein adäquater Nachfolger gesucht, der, wie Ono, noch jung und ehrgeizig sein soll. Zeitgleich
wechselt auch die Intendanz, auf Pavel Fieber folgt Achim Thorwald, derzeit Intendant in Wiesbaden. Thorwald
übernimmt ein gut funktionierendes Haus, dessen Qualität im Vergleich zur Rivalin Stuttgart oft unterschätzt
wird. Immer noch sind die Karlsruher begeisterte Opernbesucher, die an ihrem Staatstheater hängen. Publikum
kommt auch von der anderen Rheinseite, aus der Südpfalz und sogar aus Frankreich, wenn in Karlsruhe das
französische Repertoire gespielt wird wie Lakmé, Hamlet und Faust.
So steht das Haus auch in der Besucherstatistik glänzend da, und man ist neugierig, wie der Neue,
Achim Thorwald, dem Spielplan weiter prägnante Konturen verleihen wird.
Nike
Luber
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