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Puccini auf der Seebühne
Monumentale Bohème-Inszenierung bei den Bregenzer Festspielen · Von Stefan Rimek
Bereits für die vorhergehende Produktion auf der Seebühne im Rahmen der Bregenzer Festspiele schuf
das Regisseur- und Ausstatter-Team, bestehend aus Richard Jones und Antony McDonald, ein imposantes und gigantisches
Bühnenbild. So hielt in den Spielzeiten 1999 und 2000 in Verdis Maskenball ein knapp 25 Meter
hohes Skelett das fast ebenso hoch in den Himmel ragende, aufgeschlagene Buch des Lebens in den Händen,
das als Bühne diente. Es schien damals nur schwer vorstellbar, dass derartiges auf der Bregenzer Seebühne
noch zu toppen sein könnte. Und doch: Haben Sie schon einmal einen Bühnenstuhl gesehen, dessen Sitzfläche
mehr Quadratmeter aufweist als manche Zwei-Zimmer-Wohnung? Was halten Sie von einer Aschenbecher-Requisite,
in der eine ausgewachsene Marching-Band mit ihren Instrumenten Platz findet?
In der diesjährigen Seebühnen-Inszenierung von Giacomo Puccinis Bohème durch Richard
Jones und Antony McDonald gibt es Genanntes gleich in mehrfacher Ausführung. Zudem weisen die beiden größeren
der drei runden Tische, die zusammen mit einer Stuhlfläche als Bühne fungieren, jeweils den Durchmesser
einer Drehscheibe für Lokomotivgaragen auf.
Ferner wird der gehörnte Staatsrat Alcindoro im Café Momus mit einem sieben Meter langen Kugelschreiber
in die Luft geschickt und auf den Mammut-Tischen mit dem Pariser Stadtplan sorgen die zwei Meter langen brennenden
Streichhölzer für romantische Stimmungen. Nicht zu vergessen wäre da natürlich noch der
aufgerichtete 27 Meter hohe und 18 Meter breite und damit alles überragende Ansichtskarten-Ständer
sowie das vor der Bühne auf dem Wasser kreuzende Papierschiffchen des Händlers Parpignol, das die
Ausmaße eines Fischerkahns einnimmt. Die größte Seebühne der Welt macht hier ihrem Status
unmissverständlich alle Ehre.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob diese äußerst bunte Inszenierung inklusive dieses Bühnenbildes
der monumentalen Superlative einer Oper wie Puccinis Bohème gerecht werden kann. Die Antwort
lautet: Ja, sie kann! Denn Jones und McDonald ist es hier auf erfrischende Weise gelungen, die dem Stück
anhaftende immerwährende Dialektik des menschlichen Daseins zwischen Lebensfreude und Trauer herauszuarbeiten.
Revueartige Szenen mit einer unkonventionell kreativen Chorus-Line-Choreografie von Philippe Giraudeau, stehen
für Ersteres, das Sterbebett der Mimi auf dem Rücken einer selbstleuchtenden Postkarte zelebriert
Letzteres. Und gleichzeitig tanzt auch zu dieser sentimentalen Schlussszene auf einer parallelen Handlungsebene
das Leben, das angesichts der gigantischen Kulisse trotz allem aber recht armselig wirkt ebenfalls ein
interessanter Aspekt dieses Bühnenbildes.
Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Ulf Schirmer agierten in den Katakomben der Kulissen gewohnt souverän
bis in jede dynamische Verästelung. Vorbildlich nahmen sie die Steigerungen und Spannungsbögen. Die
Bühnenakteure zeigten in der in italienischer Sprache gesungenen Aufführung durch die Bank große
stimmliche und schauspielerische Leistungen. Herausragend agierte aber Tenor Rolando Villazon als Rodolfo. Mit
einer selten zu hörenden Klarheit des Tones, einem fesselnden Durchsetzungsvermögen und einer stufenlosen
Geschmeidigkeit in der Stimme zog er die Aufmerksamkeit schnell auf sich. Da ihm Alexia Voulgaridou als Mimi
hier kaum nachstand, wurden die Duette der beiden an diesem Premiereabend zum Klangerlebnis der besonderen Art.
Aber auch Marcin Bronikowski als Marcello, Erla Kollaku als Musetta, Georg Nigl als Schaunard, Felipe Bou in
der Rolle des Colline und all die anderen Mitwirkenden verdienten den anhaltenden Schlussapplaus der 6.000 Besucher,
die entgegen den Erwartungen an diesem Abend doch noch in den Genuss eines Sonnenuntergangs über dem See
kamen.
Stefan
Rimek
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