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Das Ende einer Ära
Rückblick und Ausblick am Staatstheater Hannover
Eine lange Ära ist zu Ende an der Staatsoper Hannover. 21 Jahre war Hans-Peter Lehmann nicht nur der umgängliche
Vater dieses künstlerischen Großbetriebes, sondern auch so etwas wie der Garant für ein Funktionieren
des Hauses auf beachtlichem Niveau. Und eine solche Leistung darf nicht gering geschätzt werden. Umso mehr
als seine Arbeitsbedingungen nie sonderlich gut waren.
Zwei Mal musste das Opernhaus zwecks dringend notwendiger Renovierungsarbeiten für längere Zeit geschlossen
werden. Aber, was sich als noch viel problematischer erweisen sollte: Die Finanzlage der Geldgeber Stadt und
Land war notorisch schlecht. Das Verständnis bei diesen für die Bedürfnisse eines Opernhauses
war zumeist ebenso gering ausgeprägt wie deren Wille, die Staatsoper langfristig so mit finanziellen Mitteln
auszustatten, dass sie ihrem Namen auch durch hochkarätige Aufführungen gerecht werden konnte.
Trotzdem hat Lehmann zumeist ein erstaunliches Niveau halten können. In den letzten Jahren jedoch war
er ein wenig vom Pech verfolgt. Der vorzügliche Nachfolger seines langjährigen Generalmusikdirektors
George Alexander Albrecht, Christof Prick, verließ das Haus vorzeitig. Dessen Nachfolger Andreas Delfs
hatte zwar weitaus weniger Format, hat aber seinen Vertrag auch nicht bis zu Ende erfüllt. Daraufhin gab
es in der letzten Spielzeit einen handwerklich vorzüglichen, jedoch künstlerisch wenig inspirierten
Interims-Chefdirigenten Hans Urbanek. Und im Ballett hatte Lehmann nach dem Ende der langen Ära Höffgen
Pech, als ein bereits verpflichteter, durchaus hochkarätiger Choreograf letztlich sein Engagement nicht
antrat.
In keinem dieser Fälle traf den Intendanten eine Schuld. Im Gegenteil: Wie Lehmann solch missliche Situationen
immer noch irgendwie zum Besseren wendete, war bewundernswert und überdeckt, dass die künstlerische
Bilanz letztlich zwiespältig ausfällt. Im Positiven fällt auf, dass es Lehmann wie kaum einem
seiner Kollegen gelungen ist, ein auf hohem Niveau singendes und funktionierendes Ensemble zu erhalten. Außerdem
hat er alleine im Haupthaus in 21 Jahren 25 Werke der so genannten Moderne spielen lassen. Die Auswahl geriet
zwar nicht immer glücklich, genannt seien nur die Komponisten Weiss und Corigliano, deren künstlerisch
dürftige Werke jedoch beim Publikum recht gut ankamen. Aber gerade in diesem Bereich gab es andererseits
das, was Hannover sonst fast nie zu bieten hatte: Highlights. Man denke an Zimmermanns Soldaten,
Reimanns Schloss oder Ligetis Grand Macabre.
In den letzten Monaten hat sich die Lage nun nochmals zugespitzt. Der ab dieser Spielzeit amtierende Intendant
Albrecht Puhlmann musste bereits öffentlich darauf hinweisen, dass er seinen Vertrag unter anderen Bedingungen
abgeschlossen habe als man ihm jetzt möglicherweise aufzwingen will. Zusätzliche jährliche Einsparungen
stehen im Raum. Puhlmanns anspruchsvolles Programm der ersten Spielzeit und seine langfristigen Projekte scheinen
in Frage gestellt, bevor er überhaupt sein niedersächsisches Büro bezieht. Hans-Peter Lehmann
konnten die Subventionsgeber immer wieder einen Kompromiss abringen. Puhlmann hat glücklicherweise von
vornherein klargestellt, dass er dazu nicht bereit ist. Er steht für das, wofür er meint, verpflichtet
worden zu sein, nämlich für Metropolentheater. Und so erklärt sich auch sein anspruchsvolles,
sehr wagemutiges Programm mit Cages wunderbarem musikalisch-szenischen Rundgang durch die Operngeschichte Europeras,
einer spartenübergreifenden Musiktheaterproduktion von Mike Svoboda Amerika, einem Zeitopern-Projekt
und zwei Composern in Residence. Dazu eine beachtliche Portion Klassische Moderne (Jenufa, Rakes Progress).
Außerdem plant er einen Mozart-Schwerpunkt mit Don Giovanni und Zaide. Mit Andreas
Homoki (Aida) und Herbert Wernicke (Xerxes-Übernahme aus Basel), mit Barbara Beyer,
Ernst Theo Richter, Nigel Lowery, Tim Hopkins und dem umstrittenen Calixto Bieito sind ausschließlich
hochkarätige, und ästhetisch sehr anspruchsvolle Regisseure in Hannover zu erwarten.
Stephan Thoss als neuer Ballettdirektor wird das Tanztheater sicherlich weiter profilieren. Und mit dem neuen
Chefdirigenten Shao-Chia Lü sowie seinem auf zeitgenössische Musik spezialisierten Stellvertreter
Johannes Harneit warten zwei weniger bekannte Musiker auf ihre Chance. Wenn Albrecht Puhlmann nicht der Geldhahn
zugedreht wird, so dürften beide bald im Rampenlicht deutschen Operninteresses stehen. Denn Puhlmanns Programm
wird für Furore sorgen. Fast sicher.
Reinald Hanke
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