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Fände das Vorhaben des Freistaates Thüringen zur künftigen Gestaltung der Theater-
und Orchesterfinanzierung Nachahmer in anderen Bundesländern, so wäre der Abbau des Kulturangebotes
künftig wenigstens vorherseh- und berechenbar. Vor Überraschungen wie der Schließung des Schiller-Theaters
in Berlin oder der Auflösung der Brandenburgischen Philharmonie in Potsdam, wäre das Publikum gefeit;
Beerdigungen könnten vor Eintritt des Todes inszeniert werden.
Die Thüringer Theater-Abbau-Formel besteht aus einer politischen Vorgabe und einem mathematischen
Axiom. Die politische Vorgabe lautet: Der Freistaat ist bereit, den Thüringer Gebietskörperschaften,
die Theater und Orchester unterhalten, hierfür weiterhin Betriebskostenzuschüsse in Höhe von
117 Millionen Mark jährlich zur Verfügung zu stellen. Diese Zusage soll bis 2008 gelten. Steigerbar
ist dieser Betrag nicht.
Das weder beweisbare noch eines Beweises bedürftige Axiom lautet: Im Planungszeitraum 2003 bis
2008 werden die Betriebskosten schrittweise um bis zu rund 50 Millionen Mark, davon allein um bis zu 42 Millionen
Mark an Personalkosten jährlich steigen. Die angenommene Steigerung resultiert aus der Addition von Inflationsrate,
Staatsquote und tariflichen Lohnbewegungen. Da, so die Behauptung des Freistaates, die kommunalen Rechtsträger
der Theater und Orchester weder willens noch in der Lage sind, die approximativ errechneten Betriebskostensteigerungen
auszugleichen, bleibe nur die Anwendung der Formel: Das kulturelle Angebot, die Einrichtungen und das Personal
sind so rechtzeitig und in solchem Umfang abzubauen, dass die Betriebskostensteigerungen gar nicht erst entstehen.
Um die Formel auch gleich mit Leben zu erfüllen, legte die Thüringer Ministerin für Wissenschaft,
Forschung und Kunst, Dagmar Schipanski, schon im Mai die Vorstellungen ihres Hauses zu den notwendigen,
tiefgreifenden Veränderungen vor. Danach soll das Deutsche Nationaltheater Weimar sein Musiktheater
aufgeben und Schauspielhaus werden (die Staatskapelle bleibt zwar erhalten, wird aber in Erfurt Dienst tun),
Erfurt wird Musiktheater (aber ohne Orchester), Gera/Altenburg und Meiningen bleiben unter Sparauflagen
erhalten, alle übrigen Theater und Orchester mit Ausnahme der Jenaer Philharmonie
schrumpfen zu einer Landesbühne (Landestheater Eisenach/Rudolstadt/Saalfeld, Theater Nordhausen/Sondershausen,
LSO Gotha und Vogtland Philharmonie). Grundlage dieser Vorstellungen: Wenn rechtzeitig 600 von den derzeit 2.400
Beschäftigten der Thüringer Theater und Orchester gekündigt werden, funktioniert die Formel.
Die Städte Erfurt und Weimar, deren Bühnen irgendwie kooperieren sollen, meinten
auf einen Schelm noch anderthalbe draufsetzen zu müssen, als sie in erster Reaktion auf der Kunstministerin
Vorstellungen vorschlugen, alle Theater und Orchester in Thüringen natürlich mit Ausnahme derer
in Erfurt, Meiningen und Weimar aufzulösen; die drei Verbleibenden würden dann für landesweite
Bespielung sorgen.
Mag nun der Schipanski-Plan nur ein Versuchsballon sein, das Traditions- und Kulturbewusstsein der Kommunen
zu schärfen oder zu testen denn ehrlicherweise darf nicht verschwiegen werden, dass Thüringen
mit dem bundesweit höchsten Betriebskostenzuschuss pro Theater- beziehungsweise Konzertbesucher die bundesweit
niedrigsten Einspielquoten erzielt mag diese Absicht des Ministeriums sogar, wie erste Reaktionen der
betroffenen Kommunen zeigen, zweckdienlich sein, so muss doch gesagt werden, dass die Grundlagen des Ab- und
Umbauplanes kulturellen Respekt, Sachkenntnis und Redlichkeit vermissen lassen.
Respektlos ist es, den neuen Erfurter Intendanten ein Klagelied über das Thüringer Mittelmaß
anstimmen zu lassen und gleichzeitig das DNT Weimar zerschlagen zu wollen. Mangelnde Sachkenntnis verrät
es, ein von Saalfeld über Eisenach bis Nordhausen sich erstreckendes Landestheater etablieren zu wollen
oder Erfurt/Weimar unter den ministeriellen Vorgaben faktisch zu fusionieren: Das rechnet sich nicht.
Und unredlich ist es, einerseits nur Betriebskosten-, nicht aber mögliche Einnahmesteigerungen
in die arg axiomatische Rechnung aufzunehmen, andererseits beabsichtigte Vertragsumgehungen zur Kalkulationsgrundlage
zu machen. Es sind doch auch Kommunal- und Landespolitiker Thüringens, die beispielsweise eine Angleichung
der Ost- an die Westlöhne fordern. Sie wären es doch auch, die für die VKA oder die TdL entsprechende
Tarifverträge (mit-)unterzeichnen würden. Die Thüringer Formel aber offenbart, dass von vorneherein
beabsichtigt ist, derartige Verträge nicht zu respektieren, indem das entsprechende Geld nicht zur Verfügung
gestellt, stattdessen adäquater Personalabbau verlangt wird. Pacta sunt servanda, hieß es früher
einmal.
Ihr
Stefan Meuschel
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