Warum sollten junge Leute Altbewährtes nicht einmal anders sehen? Beim Opernkurs der Jeunesses Musicales in Weikersheim hatte man sich Puccinis La Bohème erarbeitet. Unverkrampft und wagemutig machte sich Regisseur Patrick Bialdyga, 30 Jahre alt, an diesen Klassiker und versetzte ihn auf der Freilichtbühne vor dem wunderschönen Renaissance-Schloss in einen Container à la Big Brother. So verdeckten zwar knallblaue Plastik-Wände einen Großteil des alten Gemäuers und neonfarbenes, grell-buntes Mobiliar irritierte zuerst ein wenig, aber die Geschichte, die eigentlich im Winter spielt, passte nun ganz gut zu den heißen Hochsommer-Nächten. Die Pariser Studentenidylle mit dem romantischen Touch von Armut hatte sich nun gewandelt in eine Lebensgemeinschaft von Leuten, die nicht viel besitzen, aber etwas Besonderes darstellen wollen. In dieser eingesperrten, bunt zusammengewürfelten Gesellschaft begegnen sich die schüchterne Mimi und der missgelaunte Rodolfo Verliebtheit entsteht, so scheint es, hier mehr aus Verlegenheit. Der zweite Akt spielt nicht in vorweihnachtlichen Straßen, sondern vor dem Container, wo Security-Guards an Absperrgittern die winkende, Transparente schwingende Menge der Fans zurückhalten, wo der Show-Sieger empfangen wird, wo schließlich die Putzkolonne anrückt. Die Szene vor der Schenke ist nun verlagert vor eine Telefonzelle, in der Musetta, wohl um Marcello zu reizen, ein Endlos-Gespräch führt. Im vierten Akt, in der WG der Studenten, die sich per Video nochmals die Erinnerungen an die Zeit im Container reinziehen, denkt Rodolfo wieder an Mimi, die er verlassen hat. Nun sind die Wände schwarz verhüllt; Mimi kommt todkrank und stirbt auf der Couch, und während noch Rodolfo völlig in seiner Verzweiflung aufgeht, wird die Leiche auch schon aus dem Blickfeld geräumt und mit schwarzem Tuch bedeckt. Die Konfrontation mit dem Tod soll wohl in der Welt der jungen Lebenskünstler möglichst vermieden werden. Zu einem solch konsequent neuen Regiekonzept passt natürlich der Text nicht immer; doch da italienisch gesungen wird, verstehen die Zuhörer ohnedies wenig. Was aber diese Weikersheimer Bohème so anziehend und überzeugend machte, war die frische, musikalische Ausführung: Unter der Leitung von Yakov Kreizberg musizierte die Junge Deutsche Philharmonie schwungvoll, mit exzellenten Bläsern und feinem Streicher-Brio, anfangs noch etwas arg bewegt und mit plakativen Akzenten, aber dann mehr und mehr ausgewogen und aufmerksam, eine Stütze der Sänger. Drei Chöre waren beschäftigt, die Aurelius-Sängerknaben aus Calw und der Mädchenchor aus Calw, beide ganz vom Kult um die Container-Stars hingerissen, sowie der Akademische Chor Ivan Goran Kovacic Zagreb. Zusammen klangen die Chöre hell; die Männerstimmen allerdings schienen manchmal etwas vordrängend, die Frauenstimmen nicht immer höhensicher. Dagegen waren die Solisten bestens disponiert. Lediglich Ricardo Tamura, einem Rodolfo mit Sonnenbrille, einem Dichter, der Computerpapier gleich packweise in den Kamin feuert, hätte man mehr Beweglichkeit und darstellerische Überzeugungskraft gewünscht. Sein recht heller, gerade geführter Tenor saß sicher, war tragfähig und vor allem in der Mittellage angenehm timbriert, konnte delikate, auch glanzvolle Bögen formen; lediglich die Höhen und Forciertes erzeugten unangenehm flache, oft scharfe Töne. Es fehlte da etwas an Schmelz und weicher Fülle. Dagegen sang Irina Popowa die Mimi wunderbar klar. Ihre helle, unangestrengte Stimme konnte glänzend weiten, besaß eine gut sitzende, vernehmliche Tiefe, schön angesetzte Kopfstimme und freie Höhen. Die Gestaltung des schüchternen Mädchens gelang ihr glaubhaft. Sie wird von Musetta, der quirligen, kecken, leicht, flexibel und stets sicher mit lichtem Sopran singenden Alketa Hoxha, zu Rodolfo gedrängt. Dessen Freunde bildeten ein wohlklingendes Terzett, allen voran Randal Turner als überzeugender Marcello. Sein jugendlich-männlicher, heller, bestens positionierter Bariton klang unangestrengt, voller Elan und feinem Glanz. Schaunard, von Xavier Mendoza als lockerer Typ mit Kappe gezeichnet, hatte einen beweglichen, dunklen Bariton, und Colline, Seok-Heon Ham, wartete mit dunklem, sicher geführten Bass auf. Niels Gamm zeichnete Benoit und Alcindoro stimmlich wie darstellerisch bewusst grotesk. Das Premierenpublikum feierte die internationale Besetzung mit begeistertem Beifall. Renate Freyeisen |
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