Ohne erkennbare politische Wirkung
Was will „politisches Musiktheater“ heute?
Eine Tagung in Heidelberg
Politisches Musiktheater? Das Stichwort stößt bei der Mehrzahl der Theaterleute nicht unbedingt auf positive Resonanz. Spontan fällt ihnen das landes- oder kommunalpolitische Gezerre um die Finanzierung ein, das sie so oft bedrängt. Vielleicht kommt ihnen auch das eine oder andere „Modell“ in den Sinn, das bärtige oder aalglatt gewordene Alt-Achtundsechziger dem Land an Denkmälern und Lehrstücken hinterlassen haben. Damit haben Chorsängerinnen und -sänger heute wohl so wenig im Sinn wie technische Mitarbeiter. Sie haben andere Probleme.
Reminiszenz an die DDR: Johannes Harneits „Abends am Fluss“ in der Inszenierung von Peter Konwitschny mit Tomas Möwes als Greis, Chor und Extrachor des Theaters und Orchesters Heidelberg. Foto: Annemone Taake
Das Theater Heidelberg beraumte ein langes Wochenende zu Theorie und Praxis des „Politischen Musiktheaters heute“ an und plädierte damit aktuell für ein dezidiert „politisches“ Verständnis von Theater. Tatsächlich trug das Unternehmen nostalgische Züge. Mancher mochte sich da nicht so ganz sicher sein, ob diese Programmierung mehr von Mut oder eher von Mutwillen zeugte. Tatsächlich trug das Unternehmen auf dreifache Weise Züge der Denkmalpflege. Den Anlass gab Peter Konwitschny. Der wollte einst während seiner Direktorentätigkeit an der Leipziger Oper das Doppel-Projekt „Abends am Fluss“/„Hochwasser“ realisieren. Daraus wurde wegen einer kulturpolitischen Kabale nichts – der Regisseur verließ Leipzig. Das Projekt fand am Theater Heidelberg Zuflucht und freundliche Aufnahme. Ein von Helmut Brade entworfener vitaler Bilderbogen wurde im Verbund mit den reichhaltigen Kompositionen Johannes Harneits und der ihnen zugrundeliegenden anspielungsreichen Naturlyrik von Gero Troike allseits goutiert. Der Intendant Holger Schultze, einflussreich in der Führung des Deutschen Bühnenvereins (der die Arbeitgeberseite vertritt), und sein Operndirektor Heribert Germeshausen nutzten die Gelegenheit. Sie organisierten auch das Symposion, das Konwitschnys und Harneits Aktivitäten rahmen und einordnen sollte. Dabei hatten Theaterpraktiker Vorfahrt – Komponisten, Regisseure, Interpreten und Organisatoren eines Theaters mit dezidierten Ansprüchen (theoretische Durchdringung des Gestrüpps war nicht vorgesehen).
Unumstritten erscheint die Tatsache, dass Oper allemal ein Politikum ist, seit sie vor 415 Jahren anlässlich der Hochzeitszeremonien für Maria de‘ Medici in Florenz feste Formen annahm. Zugleich ist evident, dass der Begriff des „politischen Musik
theaters“ erst vor etwa fünfzig Jahren virulent wurde: Reaktion auf den (keineswegs „unpolitischen“) Konsens hinsichtlich eines ganz überwiegend auf Musik fixierten Opernverständnisses – nach 1945 hatte sich die Großväter- und Vätergeneration darauf verständigt, dass „das Politische“ nichts „im Bezirk der Musik“ zu suchen habe (Carl Dahlhaus). Das sorgte dafür, dass Oper zunehmend als museal empfunden wurde. Und dagegen rührte sich seit den 1960er-Jahren Widerstand – Luigi Nonos „Intolleranza“ diente als Fanal des Aufbruchs. Auch wenn zum Beispiel in den Niederlanden und selbst in Großbritannien in den 1970er-Jahren oppositionelle und anarchische Formen von Musiktheater aufkamen, wurde die „politische Oper“ bald eine vorwiegend deutsche Angelegenheit. Sie ist es bei allen Paradigmenwechseln und Weichspülwaschgängen bis heute geblieben – eine inhomogene ästhetische Strömung ohne erkennbare politische Wirkung.
Das Terrain, das auf verschiedene Ursachen reagiert, erhält auch von außen Zufuhr. Zum Beispiel durch die israelisch-amerikanische Komponistin Chaya Czernowin, die in Heidelberg neben dem Hamburger Harneit, dem Stuttgarter Marko Nikodijević sowie dem Österreicher Bernhard Lang aufs Podium gebeten wurde. Czernowin hält sich „explizit wie implizit“ für eine „politische Komponistin“; aber sie will nichts davon wissen, dass Kunst kritisch und brisant sein könnte: „Die Kunst muss zuallererst nicht plakativ sein. Denn alles, was man in Kunst macht, soll uns erwecken. … Ich will aber in zwei, drei oder vier Stunden so eine Situation erzeugen, dass man, wenn man vom Theater weggeht, nachdenken muss. Denn dann wird man etwas wacher und nicht automatischer Pilot. … So bin ich politisch.“
Chaya Czernowin zwischen dem Stuttgarter Operndramaturgen Patrick Hahn (li.) und Bernhard Lang. Foto: Susanne Reichardt
Ein Dramaturg fragte die Komponisten: „Wollt ihr nicht ganz gern auch unverstanden sein?“ Bernhard Lang wich aus und verwies darauf, dass Musiktheater „eine sehr alte Maschine, in anachronistischer Weise langsam, allerdings von amerikanischen Idealen wie Verkaufs- und Einschaltquote unterwandert“ sei. Vier Jahrhunderte lang sei „europäische Identität in erheblichem Maß über das Theater bewerkstelligt worden, diese Fundierung droht jetzt abhanden zu kommen“ (jedenfalls müsse sich die Oper die Identitätsbildung mit anderen Faktoren teilen). Von solchen Erwägungen unbeschwert erinnerte sich Konwitschny an seine heroischen Zeiten in der DDR und bekundete narzisstische Kränkung über deren Untergang. Bei „Abends am Fluss“ hatte er schließlich einen optischen Akzent gesetzt und die DDR-Flagge riesengroß vom Bühnenhimmel herabsenken und vor ihr einen Geldregen auf ein dummes Volk heruntersegeln lassen. Von der Fahne aber wurden Hammer und Zirkel abgepflückt.
„Politisches Musiktheater“ hat wohl abgedankt – mit oder ohne Veränderungsanspruch. Es müsste heute jenseits der Denkmalpflege neu erfunden werden.
Frieder Reininghaus
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