Starke Symbolkraft
Leos Janáceks Oper „Jenufa“ in Gera
Es ist eine unglaubliche Spannung, die sich in dem Premierenjubel im Großen Saal des Theaters in Gera zu entladen scheint, angestaut in zweieinhalb Opernstunden. Leos Janáceks „Jenufa“ hat Premiere und fesselt durch eine schlagende Mischung aus höchst expressiver, aber dennoch eingängiger Musik, durch ihre per se packende Handlung und durch stark symbolgeladene Bilder. Das fusionierte Theater in Altenburg und Gera – Theater & Philharmonie Thüringen – ist längst eine Adresse, geht es um avanciertes Musiktheater in Mitteldeutschland. Nach Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ und Benjamin Brittens „Peter Grimes“ hat Intendant Kay Kuntze nun fast schon in Folge die dritte Nationaloper des Übergangs von Romantik zu Moderne in den Spielplan gepackt, gleichzeitig die dritte Auseinandersetzung mit einem tragischen Außenseiter.
Kraftvoll und homogen: Der Opernchor des Theaters Altenburg-Gera. Foto: Stephan Walzl
Intendant Kay Kuntze führt Regie, Generalmusikdirektor Laurent Wagner steht am Pult eines kraftvoll die komplexe Partitur ausmusizierenden Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera. „Jenufa“ ist hier also in jeder Hinsicht Chefsache. Und das ist eindeutig gut so.
Ein musikalischer Krimi ist das wenig bekannte Werk für viele. Die Ungeheuerlichkeit der Handlung lässt sich nur schwer abschütteln. Eine bemerkenswerte Geschichte über die Macht der Vergebung will Kuntze erzählen, und genau das tut er auch – überaus klar in ihrer Botschaft. Martin Fischer schafft ihm dafür mit seiner Ausstattung einen symbolkräftigen Rahmen. Es ist die Geschichte einer Dorfgemeinschaft, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Die umgestürzte Mühle wird zum Käfig, der mal an eine gigantische zerfallene Turbine erinnert, an deren Ende sich das Mühlrad sinnlos weiterdreht, mal an ein Schiffswrack, in dem das Rettungsboot als Altar mit Büchern einzig Zuflucht böte. Innen- und Außenansichten des Käfigs bietet die brutale Geschichte um Liebe, Verrat, Kindsmord und – eben – Vergebung. Industrialistische Endzeitstimmung prägt Szenerie und Grundstimmung. Außerdem dominiert die Assoziation einer Sackgasse – das Ende der Welt, das Ende der Zivilisation.
Anne Preuss als Jenufa, Béela Müller als Buryja, Jeff Stewart als Laca. Foto: Stefan Walzl
Was man braucht, um dieses Ausnahmewerk auf die Bühne zu bringen, ist aber vor allem ein Ensemble herausragender dramatischer Sänger und hier ganz besonders zwei starke Frauen. Die haben Theater & Philharmonie Thüringen zu einem überwiegenden Teil selbst aufzubieten.
Anne Preuss ist vor allem eine stimmgewaltige Titelheldin, der man ganz besonders die jugendliche Unbeschwertheit, ja Naivität abnimmt, mit der sich Jenufa in die Katastrophe manövriert. Stark ist in ganz herausragendem Maße Béela Müller. Mit ihrer klar geführten, dunkel timbrierten Stimme reizt sie die gestalterischen Möglichkeiten der Ausnahmepartie voll aus, und die Inszenierung nutzt die Chance dieser idealen Erscheinung. Judith Christ singt die dritte starke Frauenpartie – die alte Buryja – überzeugend. Einen Wermutstropfen gibt es: Jeff Stewart singt krankheitsbedingt nicht selbst, agiert aber umso intensiver. Von der Seite singt der kurzfristig eingesprungene Uwe Eikötter aus Mannheim den Laca. Und das Konzept geht auf.
Max An ergänzt die Riege überzeugender Protagonisten als leichtfertiger Stewa in einem Ensemble, das insgesamt ohne Ausfälle eine außerordentliche Leistung bietet. Als Kunstgriff lässt Kuntze das Konzertmeistersolo im zweiten Akt von einer Erscheinung, einer Art Todesengel auf der Bühne spielen. Annegret Knoop meistert die Situation souverän, auch wenn das akustisch nicht immer ideal ist.
Akiho Tsujii macht aus der Karolka einen fantastischen Gegenentwurf zu Jenufa und nutzt jeden Ton ihrer kleinen Partie zu überzeugender Gestaltung. Johannes Beck gibt einen überzeugend derben Altgesell; und Kai Wefer ist als Dorfrichter präsent. Mit Eleonora Vacchi, Sin Ae Choi und Anja Elz zeigen drei Mitglieder des Thüringer Opernstudios, welchen Vorteil diese Einrichtung für ein Haus dieser Größenordnung hat.
Der von Holger Krause einstudierte Opernchor klingt kraftvoll und homogen, hat es aber trotz seiner geringen Größe in dem Bühnenraum nicht immer leicht überzeugend zu agieren – dadurch verpufft die außerordentliche musikalische Expressivität der grandiosen Chorszenen ein wenig.
Dennoch: Dieser Opernabend packt sein Publikum schließlich elementar. Lange währt der Jubel für eine bemerkenswerte Ensembleleistung.
Tatjana Böhme-Mehner |