Im Wohnzimmer-Ambiente
„Oper am Klavier“ am Mainfrankentheater Würzburg
Einst galt die „Mignon“ als das bekannteste Opernwerk von Ambroise Thomas (1811-1896). In deutschen Landen nahm man es dem französischen Komponisten jedoch übel, dass er Johann Wolfgang von Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ auf Opernniveau reduziert hatte. Gespielt wurde Thomas‘ Werk hierzulande deshalb meist unter dem Titel „Margarethe“. Heute kennt die Oper nur noch ausgewähltes Publikum. Mit der Reihe „Oper am Klavier“ hat es sich das Mainfranken Theater im unterfränkischen Würzburg zur Aufgabe gemacht, genau jene oft zu Unrecht vergessenen Spezialitäten und Raritäten wieder aus der Schublade zu holen.
„Oper am Klavier“ mit Ambroise Thomas‘ „Mignon“. Foto: Nico Manger
Dabei lockt seit der Spielzeit 2011/2012 nicht allein die Werkauswahl eine wachsende Fangemeinde zur „Oper am Klavier“ in die Kammerspiele des Dreispartenhauses, sondern auch die Präsentationsform: Für die engagierte Klavierbegleitung zeichnet Studienleiter Alexis Agrafiotis verantwortlich, die Sänger treten laut Programm konzertant auf, setzen jedoch trotzdem auf zärtliche Blicke, kesse Gesten und Spiel im Kleinen. Immer wieder wird mit Videoeinspielungen, Projektionen – oder wie bei „Mignon“ – mit eigenem Bühnenbild und Kostümen gearbeitet.
Durch die Enge der Kammer gewinnen die Abende dabei sehr intensiven Charme. Bei der „Mignon“ stehen fünf Sänger gleichzeitig auf der Bühne, heißt auch: Es wird gelegentlich richtig laut. Und die heimelige Wohnzimmeratmosphäre versetzt auf ihre Art zurück ins 19. Jahrhundert: Die Menschen liebten damals die Oper. Theaterbesuche erwiesen sich für das Gros der Bürger aber als schwierig. Deshalb holte man sich die schönen Melodien ins Wohnzimmer. Die Familie musizierte, probte, inszenierte. War das Werk bühnenreif, lud man Verwandte und Freunde in die gute Stube ein.
Die Oper selbst erlebt das Publikum in den Kammerspielen im Zeitraffer, denn zu hören sind nur Ausschnitte aus dem jeweiligen Werk. und die Auswahl mag zunächst überraschen: Der leitende Musikdramaturg des Theaters, Christoph Blitt, beschränkt sich bewusst nicht allein auf die schönsten Arien, sondern will einen Gesamteindruck des Werks vermitteln. „Die ‚Mignon‘ wäre lang genug für die besten Stücke, aber wir wollen auch die Geschichte erzählen“, sagt er. Und so beginnen die Abende nicht nur mit einer etwa 20-minütigen Stückeinführung. Auch während der Oper selbst sitzt Blitt als Erzähler mit einem großen Textbuch auf der Bühne – gestaltet den Abend als Märchenstunde für Erwachsene.
Insgesamt vier Opern werden pro Spielzeit an jeweils zwei Abenden präsentiert. Für die Sänger bedeutet dies einen immensen Aufwand, denn auch wenn konzertant gesungen wird, ist für die Hauptrolle unter Umständen eine komplette, unbekannte Partie einzustudieren. Hinzu kommt: Die Nähe zum Publikum entschuldigt keine Fehler. Trotzdem sieht Blitt gerade die Inszenierungen im heimeligen Ambiente als Chance fürs Ensemble. „Hier können wir Dinge ausprobieren, die sonst nicht möglich wären“, sagt er. Schlichtweg auch aus finanziellen Gründen, denn im Großen Haus lautet ein Anspruch nun einmal: Musiktheater-Abende sollten weitgehend ausverkauft sein.
Die bis dato zeitaufwändigste Inszenierung war in der Kammer im Sommer 2014 zu sehen: Zum 200. Todestag des gebürtigen Würzburger Komponisten Georg Joseph Vogler hatte das Ensemble auf der Kammerspielbühne Auszüge aus „Gustav Adolf och Ebba Brahe“ gezeigt –ein Werk, das laut Blitt zuvor in Deutschland noch nie erklungen sein dürfte. Denn schwer tun sich deutsche Opernhäuser damit aus ganz praktischem Grund: Vogler schrieb das Werk einst für den schwedischen König, eine deutsche Übersetzung gibt es nicht. Das Mainfranken Theater ließ sie kurzerhand in Auszügen anfertigen für die „Oper am Klavier“.
Abschließend ein Blick auf die Stückauswahl. Hier entscheidet sich Blitt keineswegs willkürlich, sondern geht auf intensive Suche. Jede Oper steht in Zusammenhang mit einer Produktion im Großen Haus. Für die „Mignon“ etwa entschied er sich, weil Ambroise Thomas‘ Werk dem Komponisten George Bizet wichtige Anregungen lieferte, als er an seiner „Carmen“ arbeitete.
Michaela Schneider |