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Aktuelle Ausgabe

Editorial von Tobias Könemann
Solidarität – und ihre Grenzen

Kulturpolitik

Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester

Ausruhen geht mit mir nicht
Karl M. Sibelius im Oper & Tanz-Gespräch mit Barbara Haack

Ohne erkennbare politische Wirkung
Was will „politisches Musiktheater“ heute? Eine Tagung in Heidelberg

Interdisziplinäres Feuerwerk
Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme

Im Wohnzimmer-Ambiente
„Oper am Klavier“ am Mainfrankentheater Würzburg

Strukturiert unstrukturiert
Der Theater-Website-Check: Mainfrankentheater

Portrait

Wir wollen keine Löcher stopfen
Die „Freunde des Nationaltheaters“ in München

Berichte

Die Geburt der nächsten Frage
Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ an der Komischen Oper Berlin

Starke Symbolkraft
Leos Janáceks Oper „Jenufa“ in Gera

Entlarvung der Spießermoral
»La Cage aux Folles« an der Musikalischen Komödie Leipzig

Spannendes Untergangsszenario
Deutsche Tanzkompanie Neustrelitz mit »Die Nibelungen«

Strawinsky heute
Ballett-Triple am Stuttgarter Ballett

Klingender Horror
Gerhard Stäblers »The Colour« am Mainfranken Theater Würzburg

Verwandlung und Kontinuität
Dagmar Ellen Fischer: Ivan Liska. Tänzer. Die Leichtigkeit des Augenblicks

Die Zauberflöte
Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte

Les Vêpres Siciliennes
Giuseppe Verdi: Les Vêpres siciliennes. Mit dem Chor u. Orchester der Royal Opera London

VdO-Nachrichten

VdO-Nachrichten
Tarifeinheitsgesetz verabschiedet – Verfassungsbeschwerde steht an +++ Zwei Tarifabschlüsse zum NV Bühne +++ Wir gratulieren …

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Spannendes Untergangsszenario

Deutsche Tanzkompanie Neustrelitz mit »Die Nibelungen«

Im Dunkel der Zeit streut Alberich den funkelnden Gold-Samen, es wabert die Erde, sieben Frauen und sieben Männer treten aus dem Nebelfeld. So beginnt das Tanzepos „Die Nibelungen“, das die Deutsche Tanzkompanie (DTK) Neustrelitz im 23. Jahr ihrer Existenz als Uraufführung in der Choreografie und Inszenierung von Lars Scheibner präsentiert. Der Stoff scheint wie gemacht für die DTK, die sich seit ihrer Gründung mit Traditionen, Mythen, Riten und deren assoziativer Kraft für die Gegenwart auseinandersetzt. Dramaturg Oliver Hohlfeld hat zusammen mit dem Choreografen wesentliche Erzählstränge des Nibelungenliedes für die tanztheatrale Deutung gebündelt. Tradierte mittelhochdeutsche Texte sind mehrfach aus dem Off, gleichsam aus der zeitlichen Distanz von 800 Jahren interpoliert. Dennoch zielt das szenisch-choreografische Geschehen von der Geburt Siegfrieds bis zu seinem Tod ganz auf die Nähe zum Jetzt. Die Gier nach dem Goldhort der Nibelungen – archetypisches Gleichnis für menschliche Hybris. Weniger im Tanz, sondern verdichtet im theatralen Bild lässt Scheibner im Zusammenprall archaischer Körper den Zuschauer sich selbst in „seinen Urängsten, Ursehnsüchten, Urhoffnungen“ erkennen. Der schwarze Bühnenraum ist zentriert auf die schwarz-beige gekleideten Menschen, auf die Kampfbemalung der Gesichter, auf Männer mit freiem Oberkörper und beredte Requisiten (Ausstattung: Robert Pflanz).

Plakat Deutsche Tanzkompanie

Plakat Deutsche Tanzkompanie

Durch überbordende theatrale Fantasie und eine Fülle an symbolischen Zeichen gewinnen die handelnden Figuren anfangs kaum erkennbare Kontur. Die Inszenierung hetzt durch die detailreiche Exposition der Protagonisten und ihrer visionären Vorgeschichten, findet danach jedoch ihren spannungsreichen narrativen Rhythmus voll packender Körperlichkeit. Gestützt auf eine kühne Musikmontage (von nordischen Volksliedern, Ethno-Pop, Richard Wagner bis Rammstein) präsentiert die Bilderflut rasant kontrastierende Szenen von bezwingender Aussagekraft, die nahtlos ineinander übergehen.

Lars Scheibner entfesselt in den Gruppenszenen der Ritter und Clans eine explosive Dynamik destruktiver Kräfte. Frauen und Männer mit verbundenen Augen, roten Händen und Kampfschilden treiben sich gegenseitig zu wilder Schlägerei. Expressive Arme, Drehungen, Kampfsportexerzitien. Bewegungsverzögerung kippt in stampfenden Rhythmus, Frauen treiben Männer ins röchelnd wilde Gemetzel. Angeführt von Alberich rüsten heiße Kampfmaschinen zu Rammsteins „Waidmanns Heil“ – die Kreatur Siegfried muss sterben. Hagens Speer durchbohrt Siegfried. Bis in die starke Schlussszene wird Alberich listenreich seinem Gold nachjagen und die Verhältnisse am Hof von Worms zum Tanzen bringen. Philipp Repmann agiert lauernd, wieselflink, akrobatisch im angewinkelten Handstand, drapiert die puppenhaft gelangweilte Ritterschaft, blendet Gunther und Siegfried mit den Bildnissen von Brunhild und Kriemhild, heizt die Begierden an und hetzt die Kontrahenten gegeneinander. Meuchelmörder Hagen (Axel Rothe) kann sich nicht reinwaschen, vergeblich rafft er das Gold, es entgleitet ihm. Inmitten der Gold-Derwische dreht Alberich als lachender Tod – Kriemhild hält das Schwert der Rache: Das tödliche Spiel ist noch nicht zu Ende.

Eine Geschichte der Gier. Ein Untergangsszenario – nicht vergleichbar und doch… Die Theaterwelt in Mecklenburg-Vorpommern ist in Aufruhr! Die Zukunft der Deutschen Tanzkompanie, 1991 als privatrechtliche gemeinnützige Stiftung gegründet und seit 2010 Tochtergesellschaft der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz mit jetzt vierundzwanzig Ensemblemitgliedern, hängt in der Schwebe. Würde der zweckgebundene Landeszuschuss von 950.000 Euro pro Jahr nach den jetzigen Plänen nicht mehr bewilligt, wäre dies das politisch verfügte Aus für die national und international erfolgreich tanzenden Botschafter Mecklenburg-Vorpommerns. Im Beschluss der Stadtvertretung Neustrelitz vom 12. Mai 2015 heißt es: „Wir nehmen das Papier der Landesregierung zur Kenntnis. Wir sind weiter gesprächsoffen. Der Pauschalzuschuss für die DTK ist zweckgebunden zu erhalten.“ Die DTK tanzt mit vollem Einsatz, umjubelt von den Zuschauern, ein spannendes Untergangsszenario. Ihrem eigenen Untergang entgegen tanzt das potente Ensemble hoffentlich nicht!

Karin Schmidt-Feister

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