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Portrait

Geht nicht, gibt‘s nicht

Der Staatsopernchor Stuttgart – Ein Porträt · Von Annette Eckerle

„Ob es einem nun schmeckt oder nicht, ohne preußische Arbeitsdisziplin geht es nicht.“ In diesem schlichten Satz des Chordirektors Michael Alber steckt dessen Ehrgeiz „zu zeigen, dass das hier in Stuttgart Spitzensänger sind, die in der Lage sind, auf der Bühne zu agieren und dabei doch differenziert zu singen“. Nach diesem Grundsatz verfährt Michael Alber, der Schwabe von Geburt und Preuße in seiner Arbeitshaltung ist, seit er in der Spielzeit 2001/02 die Position des Chordirektors am Stuttgarter Haus übernommen hat und damit auch eine Tradition ganz eigenen Zuschnitts. In diesem schlichten Satz des Michael Alber, der auch als Reverenz gegenüber seinen Vorgängern zu lesen ist, mag das Erfolgsgeheimnis des Staatsopernchors Stuttgart begründet sein.

Kontinuierliche Geschichte

Im Jahr 1551 findet unter Herzog Christoph eine Hofkapelle erste Erwähnung. In der Mitte des 18. Jahrhunderts zählt man neun Chorsänger und elf Kapellknaben. Anno 1824 ist im „Königlich württembergischen Hof- und Staatshandbuch“ erstmals die Eintragung von Berufschorsängern zu finden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfügt die Stuttgarter Opernbühne über einen Chor mit 38 Mitgliedern, wovon allerdings nur 8 hauptberuflich singen. 1881 zählt man 59 Chormitglieder. Doch die Erfindung des modernen Opernchors, mithin die Entstehung des „Stuttgarter Opernchorwunders“, soll noch viele Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

 
Kontinuität und Flexibilität zeichnen den Chor der Stuttgarter Staatsoper aus.
 

Kontinuität und Flexibilität zeichnen den Chor der Stuttgarter Staatsoper aus.
Foto: Martin Sigmund

 

Als Geburtsstunde dieses Wunders muss man dann wohl das Jahr 1946 notieren. Heinz Mende, der später noch als Chordirektor des Bayerischen Rundfunks zusammen mit Josef Schmidhuber Geschichte schreiben wird, tritt in diesem ersten Nachkriegsjahr in Stuttgart als Chordirektor an. Von 1972 wird ihm Ulrich Eistert als koordinierter Chordirektor zur Seite stehen (1980 wird er zum Chordirektor ernannt), ein Preuße von Geburt und von Gemüt, unnachgiebig in der Sache, dabei offen für Neues und herzlich im Umgang, wie ihm Weggefährten später, nach drei Jahrzehnten am Stuttgarter Haus in das große Erinnerungsbuch „Staatsopernchor Stuttgart. 30 Jahre mit Ulrich Eistert“ schreiben werden. Eistert wird das mehr als 100 Seiten umfassende Werk in der Saison 2001/02 zum Abschied in den Ruhestand überreicht. Zu den letzten Großtaten Eisterts zählt der so genannte „Stuttgarter Ring“, der von vier Regisseuren in Szene gesetzt wurde. Peter Konwitschny, Regisseur der „Götterdämmerung“, ebenfalls gebeten, eine Grußadresse zu Eisterts Abschied zu schreiben, geriet dabei ins Schwärmen: „Sie erinnern sich sicherlich an jene späte Probe, in der wir das Verhalten der Mannen bei Siegfrieds Tod noch einmal veränderten. Ich sagte den Herren, sie mögen Herrn Bonnema mit ihren Jacketts zudecken. Für mich war es einer der großen Augenblicke der Probenzeit zu erleben, wie die Chorherren diese Anweisung spontan umsetzten. Sie brachten ihre eigene Erfahrung als Menschen auf berührende Weise in den Vorgang ein, so dass meine Absicht, an diesem Punkt der Handlung von der Unmöglichkeit zu sprechen, sich dem Mitempfinden zu verweigern, im Moment Wirklichkeit wurde. Das ist umso erstaunlicher, als die Herren hier nicht singen, dass sie also allein auf den Ausdruck von Körper und Mimik angewiesen sind. Die Damen nicht zu vergessen: Welchem Zuschauer wäre wohl aufgefallen, dass sie von Wagner nur mit einem winzigen musikalischen Part bedacht sind? So stark ist ihre szenische Präsenz, so wichtig ihr Beitrag an diesem bedenklichen Hochzeitsfest.“

Was sich gleichzeitig auf musikalischer Seite tat in diesem Ensemble, das in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt im Lauf der Jahre siebenmal zum „Opernchor des Jahres“ gewählt wurde, zuletzt 2006 in der Abschiedssaison von Intendant Klaus Zehelein, beschrieb Lothar Zagrosek (GMD des Württembergischen Staatsorchesters von 1997 bis 2006) einmal als einzigartiges Zusammenspiel von Können und Kontinuität. Zagrosek war sich sicher, dass ein solches Ensemble „entgegen den Mythen von Flexibilität, Geschwindigkeit und stetem Wechsel“ nur so hatte entstehen können. Man war in Stuttgart klug genug, diese Kontinuität zu bewahren. Als sich Ulrich Eistert 2001 in den Ruhestand verabschiedete, rückte Michael Alber, seit 1993 stellvertretender Chordirektor, nach.

Herausforderungen

 
Der Chor in Konwitschnys „Götterdämmerung“ – Letzter Abend des legendären „Stuttgarter Rings“. Foto: A.T. Schaefer
 

Der Chor in Konwitschnys „Götterdämmerung“ – Letzter Abend des legendären „Stuttgarter Rings“. Foto: A.T. Schaefer

 

Gleich in der ersten Saison Michael Albers als Chorchef stand Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ auf dem Spielplan, ein Werk, mit dem das Haus in der Opernszene genauso Furore machen sollte, wie auch Jahre zuvor bereits mit Luigi Nonos Opern „Al gran sole carico d’amore“ (1998/99) und „Intolleranza“ (1992/93). Seit Ulrich Eistert für die Chorleitung verantwortlich zeichnete, war der Stuttgarter Opernchor eben mal Garant für das Allerschwierigste in höchster Präzision. Bei Eistert hieß es „Geht nicht, gibt’s nicht“. Alber, und das ist durch zahlreiche Kritikerhymnen belegt, schreibt diesen Satz, und damit die Erfolgsgeschichte des Stuttgarter Staatsopernchors auf seine Weise fort.

Umstrittener „Lohengrin“

Nicht zuletzt deshalb schmerzt es ihn ungemein, dass er den Chor jüngst beim „Lohengrin“ in der Inszenierung von Stanislas Nordey nicht so präsentieren konnte, wie er ihn präpariert hatte. Es war Albers größter Wunsch, einmal einen „Lohengrin“ nicht als „die allüberall übliche Chor-Stehoper zu zeigen“. Doch das verschachtelte Bühnenbild ließ dies nicht zu. Und die akustischen Bedingungen waren für den Chor, gelinde gesagt, schwierig. Generalmusikdirektor Manfred Honeck, der so oft es geht im Chorsaal anzutreffen ist, kämpfte bedingungslos für den Chor und um die musikalische Qualität. Das Ganze mündete in einen handfesten Theaterkrach, Abreise des Regisseurs inklusive. Doch trotz des „mittlerweile verbesserten Bühnenbilds gehen einfach viel zu viele Klangfarben verloren, die im Chorsaal hart erarbeitet wurden“ stellt Alber bedauernd fest. Und „szenisch bleibt diese Produktion für den Chor nach wie vor unergiebig“. Dies ist unbefriedigend, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Chor gerade zwei beinharte Saisons hinter sich gebracht hat, in denen Intendant Albrecht Puhlmann eine sehr dichte Folge großer Choropern geplant hatte. Alber spricht von „Akkordarbeit“ und ist froh, dass diese Phase jetzt vorbei ist, denn Detailgenauigkeit, szenisch wie musikalisch, ist ihm, ist dem Chor das Wichtigste. Mit eben dieser Detailgenauigkeit hat sich der Staatsopernchor Stuttgart auch seine Meriten in Sachen zeitgenössischer Musik ersungen. Das nächste große Uraufführungsprojekt steht übrigens Ende 2011 ins Haus mit der Oper „Fremd“ von Hans Thomalla (Jahrgang 1975). Die derzeit 75 Chormitglieder werden sich auch bei diesem Projekt ganz und gar auf ihre Arbeit konzentrieren können, wie immer an diesem Haus. Denn, so berichtet Henrik Czerny, Ortsdelegierter der VdO in Stuttgart: „Wir haben hier eine Pauschal-Honorarvereinbarung mit dem Theater, die vieles erleichtert. Das haben wir uns allerdings mühsam erkämpft.“

Stuttgarter Sorgen

Auch wenn die Stuttgarter Chorwiese grüner sein mag als andernorts, stoppelige Stellen gibt es auch hier. So beschreibt Henrik Czerny die personelle Situation aufgrund von unbesetzten Stellen als zeitweise durchaus schwierig. Und nicht zuletzt strebt man in Stuttgart wie andernorts auch eine Altersteilzeitregelung an, die den besonderen Arbeitsbedingungen des Berufs Rechnung trägt, denn, so Czerny: „Es kann nicht jeder bis zum 65. oder 67. Lebensjahr singen.“

 
Männerchor im Stuttgarter „Freischütz“. Foto: Martin Sigmund
 

Männerchor im Stuttgarter „Freischütz“. Foto: Martin Sigmund

 

Eine weitere Sorge im Stuttgarter Opernchor gilt dem Nachwuchs. Denn den Nachwuchs, den man gerne hätte, den gibt es derzeit nicht. Alber und Czerny berichten von Vorsingen, bei denen alle Kandidaten weggeschickt wurden, oft wegen elementarer technischer und darstellerischer Defizite. Als Silberstreif am Horizont wertet Alber deshalb die gemeinsame Initiative mit der Künstlervermittlung der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAF), Chorpraktika anzubieten. Wer auf diesem Weg den Chor kennen lernt, wird den spannenden Arbeitsalltag eines Spitzenchores erleben, der seinen Platz behauptet, weil er unerschütterlich dem Motto seines Chordirektors folgt: „Ob es einem nun schmeckt oder nicht, ohne preußische Arbeitsdisziplin geht es nicht.“

Annette Eckerle

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