Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Abschied von einem guten Freund
Zum Tod von Stefan Meuschel
Hoffnungsvoller Blick in die Zukunft
Ideen und Perspektiven im Fadenkreuz der VdO


Begreifen, was radikal ist
Merce Cunningham zum 90. Geburtstag
Keine moralische Anstalt
Das Tanzprojekt „Gravity“ in Wien

Opernchor
Das Kollektiv als Protagonist
„Aus einem Totenhaus“ in Düsseldorf und Hannover
Zeitgenössisches als Alibi?
Alex Nowitz zur Diskussion über neue Choropern
Geht nicht, gibt‘s nicht
Der Staatsopernchor Stuttgart – Ein Porträt
Heilung über den indirekten Weg
Die Alexander-Technik im künstlerischen Beruf

Berichte
Wichtige Station für Nachwuchssänger
Erfahrungen beim Opernkurs in Weikersheim
Dem Vergessen entrissen
Peter Ruzicka dirigiert in Bremen seine Oper „Celan“
Salvatore Sciarrino und Kafka
Uraufführung von „La porta della legge“ in Wuppertal
Verführt unter dem Fallbeil
„Marie Victoire“ an der Deutschen Oper Berlin
Jiri Kyliáns Abschieds-Performance
„Zugvögel“ am Bayerischen Staatsballett

VdO-Nachrichten
Nachrichten
Bundesvorstandssitzung in Fulda – Sozialleistung und befristete Aufenthaltserlaubnis – Tarifanpassung 2009 mit DBV vereinbart

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Stellenmarkt
Spielpläne 2008/2009
Festspielvorschau

 

Berichte

Jiri Kyliáns Abschieds-Performance

„Zugvögel“ am Bayerischen Staatsballett · Von Malve Gradinger

Es sei sein Schwanengesang, seine letzte große Arbeit, hatte Jiri Kylián vorab preisgegeben. Sicher keine Koketterie von Europas führendem Modern-Dance-Tanzschöpfer, der nach seinem Start in John Crankos Stuttgarter Ballett (ab 1968 zunächst als Tänzer) ab 1970 bis heute über 100 Werke kreiert hat – zwei Drittel dieses erstaunlichen und vielfältig-farbigen Oeuvres allein für das Nederlands Dans Theater (NDT), dessen Leitung er von 1975 bis 1999 innehatte. Im Oktober diesen Jahres will er sich auch als NDT-Hauschoreograf verabschieden. Und ein Adieu ist tatsächlich auch diese fürs Bayerische Staatsballett entworfene Hommage an die Künstler, Bühnenarbeiter und auch Zuschauer, die das Münchner Nationaltheater durchziehen, für Kylián alle: „Zugvögel“.

 
Kopfputz als Luftkissen. Foto: Wilfried Hösl
 

Kopfputz als Luftkissen. Foto: Wilfried Hösl

 

Aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums seines Ensembles, noch dazu als Ballettwochenauftakt, hatte sich Ivan Liska ein abendfüllendes Stück gewünscht – was aber nie so recht Kyliáns Metier gewesen ist. Also hat er, man könnte es Ausweichmanöver nennen, zunächst einmal die Zuschauer in die von Choreografin Karine Guizzo mit vielerlei exotischen (Tänzer-)Vogelwesen belebten Gänge, Nischen und Depots der Unterbühne geleitet, um sie dann, ungewohnt, durch eine Öffnung im Bühnenboden, in das von virtuellen Möwen-Schwärmen durchflatterte Parkett zu entlassen.

Der Ansturm auf diese unterirdische Begehung, wenn auch für Kenner solcher Raum-Inszenierungen verzichtbar, war in München enorm. Aus logistischen Gründen können jedoch nur 800 bis 1.000 Parcours-Gänger, und diese nur in kleinen Gruppen, eingelassen werden. Was Vorstellungs-Verspätung und ergo Verärgerung im wartenden Publikum verursacht. Auch Kyliáns Mischung aus Tanz und Film wurde vom weniger erlebnisoffenen Teil des Publikums beknurrt: Der Eintritt sei eine teure Kinokarte gewesen.

Aber was für ein wunderschöner, berührender Film ist dem Duo Kylián und Boris Pavel Conen da gelungen: Eine hingewehte Schwarz-Weiß-Traumgeschichte, nah an Ingmar Bergman, über eine alternde Tänzerin – ausdrucksstark Kyliáns Ehefrau, die 58-jährige Sabine Kupferberg –, die in einem kleinen Mädchen die eigene unwiederbringliche Kindheit und Jugend sieht. Ein zart-bitterer Abschied von der Karriere, eingefangen in surrealistischen Bildern am holländischen Strand und in Foyers, Logen und im Kostümfundus des Münchner Nationaltheaters. Und was zwischen den vier zugespielten Filmsequenzen passiert, ist nun wirklich Tanz in allen Spielarten.

Zunächst einmal Kylián, wie man ihn kennt, aus den Strawinsky-Balletten „Psalmensinfonie“ und „Svadebka“, den Berio- und Martinu-Stücken „Dream Dances“ und „Feldmesse“, dem von den australischen Aborigines inspirierten „Stamping Ground“ – euphorisierend. Und auch jetzt wieder wunderbar viel Energie, Dynamik, eine Fülle an Körperformen und Schritten – und immer aus der Quelle des Gefühls schöpfend. Wie junge Wildpferde preschen die Tänzer, einzeln oder in Gruppen, durch die hohen losen Vorhangstreifen der Bühneneinfassung (Michael Simon). In ihrem raumgreifenden Laufen, den eingeflochtenen fußengen „Bleistift-Pirouetten“ und Sprüngen liegt eine wilde selbstverwirklichende Rasanz. Wenn William Forsythes postmodern zerfallende Neoklassik einen Existenzpessimismus spiegelt, dann prallt uns hier jugendlich kämpferischer Lebenswille entgegen. Wie glücksgedopt, nicht zuletzt von Kyliáns so menschlicher Art, mit Tänzern umzugehen, wirft sich das Ensemble in diesen Stil, in den der Meister kultiviert alle neueren Strömungen integriert hat: die kleinteiligen Tanztheater-Handgesten wie den Breakdance, die postmodern verschrägte Neoklassik wie den bildnerischen Tanz, der die Bauhaus-Tänze der 20er-Jahre fortschreibt.

Mindestens drei Meter hoch aufragender, keck mitwippender Kopfputz aus Luftkissen und riesige sich blähende Fallschirm-Mäntel (von Modekünstler Yoshiki Hishinuma) verwandeln schreitende und laufende Menschen in seltsame Paradiesvögel und Gleitflügler. Und im Finale zu Ravels melancholisch herbem „La Valse“ nehmen die Herren bodennahe Figuren und Hebungen in derart drehendem Schwung, dass die Partnerinnen in und auf ihren Armen zu fliegen scheinen. All diese (Tanz-)Lust ist vergänglich, das will der 62-jährige Kylián ganz deutlich vermitteln. Darum der Film. Darum auch ein von wisperklingenden Zauberwaldgeräuschen (Dirk Haubrich) umrauntes „älteres“ Paar als die immer präsenten „Schatten des Alters“.

Vom großen Kylián, der den europäischen Modern Dance maßgeblich geprägt hat, der mit einer Junior Company und einer Senior Company für Tänzer über 40 (letztere 2006 aus finanziellen Gründen aufgelöst) international Trends und Maßstäbe setzte, von ihm jetzt dieses „Zugvögel“ im Repertoire zu haben, ist auf jeden Fall ein Zugewinn.

Malve Gradinger

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner