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Zeitgenössisches als Alibi?
Alex Nowitz zur Diskussion über neue Choropern im Gespräch
mit Christian Tepe
Die menschliche Stimme steht im Zentrum des Schaffens von Alex
Nowitz. Der 1968 geborene Komponist tritt auch als Sänger,
Stimm- und Pfeifkünstler auf. Mit der 2006 in Osnabrück
uraufgeführten „Bestmannoper“ (siehe „Oper & Tanz“ 03/06)
hat Nowitz eines der Aufsehen erregendsten deutschen Musiktheaterstücke
des 21. Jahrhunderts geschrieben. In seiner Stellungnahme zu der
von „Oper & Tanz“ angestoßenen Diskussion über
die Bedeutung des Opernchores für das zeitgenössische
Musiktheater setzt sich Nowitz kritisch mit dem schillernden Begriff
der so genannten Neuen Musik auseinander und brandmarkt die Vernachlässigung
moderner Stimmtechniken an den Hochschulen.
Zuletzt konfrontierte „Oper & Tanz“ Komponisten
und Chorexperten mit der Meinung, Sänger und Chordirektoren
hätten bisweilen gar kein Interesse an Neuer Musik. Die Problematik
dieser Spekulation steckt für Alex Nowitz schon in dem unpräzisen
Begriff von der Neuen Musik: „Dieser entstand nämlich
bereits in den 50er- und 60er-Jahren und wird in der Regel mit
den Protagonisten der Darmstädter Schule in Zusammenhang gebracht.
Wenn also heute Chorleiter und Chorsänger tatsächlich
kein Interesse an aktueller Musik haben sollten, dann ist das aus
meiner Sicht auch das Ergebnis von Missverständnissen, die
sich in jenen Jahren gebildet, in den Köpfen festgesetzt und
sich bis heute zum Teil bizarr gehalten haben. Jeder von uns sollte
sich einmal fragen, was eigentlich mit sogenannter ‚Neuer
Musik’ gemeint ist. Dieser Begriff ist schnell verwendet
und doch ist damit überhaupt nichts ausgesagt. Weder die Musik
noch die Gesellschaft der Gegenwart ist mit derjenigen der 60er-Jahre
zu vergleichen. Dennoch wird alles gerne in einen Topf geworfen.
Es stellt sich auch die Frage, warum das so ist? Weil wir keine
Benennung dafür finden, dass wir längst untergegangen
sind im Strudel des Stilpluralismus, wo alles möglich und
kein Anker mehr weit und breit in Sicht ist? Oder weil es schlicht
bequemer ist, das Unbekannte von vornherein wegzutun und dadurch
abzuwerten, indem man ihm den Stempel des Klischees aufdrückt?“
Mangelnde Hochschulausbildung
Es ist jedoch nicht allein die leichtfertige Rede von der Neuen
Musik, die nach Auffassung von Alex Nowitz eine reflektierte Aneignung
des ganzen Reichtums der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts verhindert.
Zudem möchte der Komponist die Hochschulen bei der Heranführung
der künftigen Chorsänger an die technische wie stilistische
Vielfalt der zeitgenössischen Musik stärker in die Pflicht
nehmen. Gewiss sei es richtig, konzediert Nowitz, wenn das Gesangsstudium
zunächst einmal dazu diene, „die eigene Stimme einem
Klang-ideal anzunähern, das wir als Belcanto-Stil bezeichnen.
Da lässt sich auch nichts forcieren. Die Zeit zum gründlichen
Studium der eigenen Stimme und ihrer Möglichkeiten muss sein!
Ein nicht weniger wertvolles Ziel des Studiums ist es, so viele
Stücke wie möglich kennen zu lernen und zu studieren.
Um die Belcanto-Stimme zu festigen, werden Werke aus der Klassik
und Romantik bevorzugt. Auch die aktuellere Musik ist Bestandteil
des Lehrplans, wo sie oft leider nur eine Alibifunktion erfüllt
und zudem mit wenig Elan vermittelt wird. Meist werden dann nur
Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts studiert.
Wenn wir nun aber darüber sprechen wollen, inwieweit auch
Stimmtechniken unterrichtet werden, die über das Klangideal
des Belcanto hinausreichen, muss ich leider ein düsteres
Bild zeichnen. Das Vokabular erweiterter Stimmtechniken (Extended
Techniques) wird vom Unterricht gänzlich ausgeschlossen. Die
Möglichkeiten des modernen Stimm- und Gesangausdrucks sind
unerschöpflich und das Repertoire hierfür wächst
stetig an. Hier an der Schnittstelle zwischen der Praxis der Ausübung
von Kunstmusik einerseits und der Pädagogik, also der Vermittlung
der Inhalte, andererseits klafft mittlerweile eine große
Lücke. Diese Fehlentwicklung, im wahrsten Sinne des Wortes,
muss schleunigst korrigiert werden. Die Aufgabe der Pädagogik
ist nicht nur, den Studenten neue Werke nahe zu bringen und sie
zu erarbeiten,
sondern auch deren zeitgemäße, angemessene und überzeugende
Interpretation zu lehren.“
Was aber nützt eine noch so gute Ausbildung, wenn später
den Chorsängern kaum Gelegenheit gegeben wird, ihr Können
in neuen Stücken auszuprobieren? Aktuelle Opern-Auftragskompositionen
sehen oft keinen Chor vor. Den rechtfertigenden Hinweis auf zu
geringe Etats weist Nowitz indes zurück: „Ein Theater
ist wie jedes andere Unternehmen durchaus in der Lage, durch die
Einbindung diverser Sponsoren und Stiftungen den finanziellen Rahmen
zu schaffen, damit auch der Chor in eine neue Musiktheaterkomposition
integriert werden kann. Alles, was wir dazu brauchen, ist eine
Theaterleitung, die mit Mut, Verantwortungsbewusstsein und vor
allen Dingen mit Phantasie und Kreativität das Schiff Musiktheater
lenken kann und will.“
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