Sängerschmiede für den Chor
20 Jahre Hamburger SängerAkademie · Von Marco Frei „Der singende Mensch ist für mich immer der göttliche
Mensch.“ Das klingt schön, und Klaus Peter Samson meint
es ernst: Sein Leben hat er in den Dienst der Sangeskunst gestellt.
Nach dem Gesangsstudium und der Opernreifeprüfung, die er
beim Kammersänger Wolfgang Windgassen absolviert hatte, war
der 1943 geborene Tenor zunächst vornehmlich als Konzertsänger
tätig. Von 1983 bis 1989 folgte die Leitung des Hamburger
Konservatoriums, er gründete die „Hamburger Vokalistinnen“.
Doch Samsons Lebenswerk ist die Hamburger SängerAkademie.
Heute ist sie in einer ehemaligen Brotfabrik im Stadtteil Hamm
untergebracht und verfügt über einen Mehrzwecksaal mit
Medien- und Tonstudio. Als sie im April 1990 offiziell ihren Lehrbetrieb
aufnahm, war man indes räumlich noch etwas beschränkt. „Ziel
war es, eine Plattform einzurichten, um den Stellenwert des Berufschorsängers
mit einem entsprechenden Studienangebot hervorzuheben“, so
Samson. Also wurde mit dem Studiengang Berufschorgesang gestartet,
die Vorbereitungen gehen auf das Jahr 1988 zurück.
Spezifische Chor-Praxis
Da hatte Samson den Hamburger Unternehmer Gerhard Frei kennen
gelernt: Bis heute unterstützt er die Akademie großzügig,
Frei ist Präsident des Kuratoriums. Die Arbeit hat sich gelohnt:
Mit dem Studiengang Berufschorgesang, der mit der Chorreifeprüfung
abgeschlossen wird, setzt die Hamburger SängerAkademie bis
heute Maßstäbe. Über eine Mindeststudienzeit von
acht Semestern erhalten die Studenten eine profunde Ausbildung,
die nicht zuletzt umfassend auf die vielfältige Berufspraxis
und die unterschiedlichen Einsatzbereiche von Chorsängern
vorbereitet – von Rundfunk und Oper bis zur Musikpädagogik.
Neben stimmlichen und musiktheoretischen Grundlagen werden Körperausdruck
und Bühnenpräsenz, Bewegungstraining und Tanz, künstlerisches
Sprechen sowie musikszenisches Gestalten vermittelt. Weil das Einstellungshöchstalter
bei Berufschorsängern in der Regel bei 35 Jahren liegt, eröffnen
sich auch auf dem zweiten Bildungsweg gute Berufsaussichten. Und
schließlich: neben dem Studium ist eine Teilzeit-Beschäftigung
möglich.
Dass an der Hamburger SängerAkademie international bekannte
Profis der Hamburger Musikhochschule, der Hamburgischen Staatsoper
und des Norddeutschen Rundfunks (NDR) lehren, belegt ein hohes
Renommee. „Aufgrund der bisher erbrachten Leistungen unserer
Studenten und eines hochkarätigen Dozentenkreises ist es uns
gelungen, über Deutschlands Grenzen hinaus einen ausgezeichneten
Ruf zu erwerben“, erklärt denn auch Samson mit einem
Schuss Stolz.
„Viele unserer Absolventen haben einen Platz in einem Theater-
oder Rundfunkchor gefunden.“ Eine von ihnen ist Annette Walter.
Seit 2002 ist die gebürtige Kölnerin festes Mitglied
im Chor an der Komischen Oper Berlin, sie singt im 1. Sopran. „Das
ging recht fix“, sagt Walter. „Ich kann das Studium
an der Hamburger SängerAkademie nur empfehlen, nicht zuletzt
ist es auch sehr praxisbezogen und äußerst konzentriert.“ Denn: „Wir
haben keine langen Semesterferien, das Studium ist an die Schulferien
gekoppelt.“
Von was hat Walter besonders profitiert? „Von den drei Jahren
Atemschule, und eine bessere Lehrerin als Kammersängerin Jeanette
Scovotti hätte ich nicht haben können.“ Dass Walter
an der Komischen Oper bereits Solopartien übernommen hat,
ist ein weiteres Indiz für ihren Erfolg – und den der
Hamburger SängerAkademie. Walter ist beileibe nicht die einzige,
tatsächlich eröffnen sich auch internationale Karrieren.
Fazit: Der Studiengang Berufschorgesang füllt eine Ausbildungslücke
nicht nur im hohen Norden Deutschlands.
Rarität: Popgesang als Lehrfach Gleiches gilt für den Studiengang Popularmusik-Gesang. Als
einer der ersten Studiengänge dieser Art in Deutschland wurde
er 1999 eingerichtet, bis heute ist er eine viel beachtete Rarität
geblieben. Das Besondere: Auch hier werden stimmliche und musiktheoretische
Grundlagen vermittelt, zudem stehen Textseminare und Bühnenpräsentation
auf dem Lehrplan. Das Studium soll auch auf das Komponieren und
Texten vorbereiten – und, wie beim Berufschorgesang, auf
die Musikpädagogik.
„Eine klassische Gesangsausbildung bildet bei uns die Grundlage“,
so Popsängerin und Akademie-Dozentin Julia Schilinski. „Wir
haben sogar Bewerber aus Afghanistan“, stellt die ehemalige
Akademie-Studentin fest. So haben beide Hauptstudiengänge
Modellcharakter. Darum hat die Hamburger Musikhochschule bereits
1994 in einem Gutachten die Gleichwertigkeit der Ausbildung an
der Hamburger SängerAkademie bestätigt. Auch die Kulturbehörde
der Hansestadt hat beide Hauptstudiengänge staatlich anerkannt,
weshalb sie nach dem BAföG gefördert werden.
Mehr aber auch nicht, denn: Obwohl sie im hohen Norden eine Ausbildungslücke
schließt und damit eindeutig Ersatzschulcharakter aufweist,
erhält die Hamburger Sänger-
Akademie keine staatlichen Subventionen. „Eigentlich stünden
uns bei 50 Studenten insgesamt 225.000 Euro jährlich zu“,
rechnet Samson vor. Damit meint er die beiden Hauptstudiengänge,
doch engagiert sich die Hamburger SängerAkademie auch im Laienbereich.
Und: Noch bevor es – fragwürdige – Formate wie „Deutschland
sucht den Superstar“ gab, organisierte man hier vorbildliche
Wettbewerbe für den Pop-Nachwuchs. Anerkennung und Aufwertung
Früher war es der „Stimmtreff“ mit dem NDR, heute
ist es der Wettbewerb „SongLive“. Und schließlich
bereichern die Konzerte und Ensembles der Akademie das Hamburger
Kulturleben. Immerhin gibt es nun eine gute Nachricht: „Auf
Anregung der Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck hat die
Behörde für Wissenschaft und Forschung nunmehr grünes
Licht dafür erteilt, dass beide Studiengänge bei der
Akkreditierungsagentur als Hochschulstudiengänge bestätigt
werden können“, freut sich Samson.
Von dieser Aufwertung verspricht er sich verbesserte Möglichkeiten
für privates Sponsoring und damit eine finanzielle Besserstellung.
Nach Bestätigung des Hochschulstatus könnten die Studenten
zudem fortan beide Hauptstudiengänge mit dem Bachelor of Music
abschließen. Damit wäre die Hamburger SängerAkademie
die erste private Ausbildungsstätte dieser Art in Deutschland
mit Hochschulstatus. Losgehen könnte es bereits 2009. Das
Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Doch Samson bleibt gelassen: „Ich
glaube nicht an ein Scheitern.“ Dafür hätte auch
niemand im deutschen Musikleben Verständnis.
Und tatsächlich: „Die Musikhochschulen orientieren sich
fast ausschließlich an Solistenkarrieren“, weiß Peter
Schlapa zu berichten. „Mit ihrem Berufschor-Studiengang schließt
die Hamburger SängerAkademie eine Lücke, andere Ausbildungsstätten
sind auf diesem Gebiet nicht standhaft geblieben.“ Schlapa
weiß, wovon er redet, war er doch bei der ZAV Künstlervermittlung
der Bundesagentur für Arbeit tätig. „Es gibt nicht viele Institute, die eine solche Ausbildung
bieten“,
stellt wiederum Autor und Liedermacher Heinz Rudolf Kunze für
den Pop-Studiengang der Hamburger SängerAkademie fest. „Diese
wenigen Institute sind unbedingt förderungswürdig – auch
weil Popmusik breite Schichten anspricht. Eine profunde Ausbildung
ist hier wichtig.“ Mit der Anerkennung der Hamburger SängerAkademie
als Hochschule könnte also die Freie und Hansestadt Hamburg
ihr Profil als internationale Musikstadt schärfen und eine
Führungsposition in der deutschen Berufschor- und Popgesang-Ausbildung
einnehmen.
Marco Frei
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