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Kulturpolitik

Kein Training für den Bildungsmarkt

Junges Staatstheater in Oldenburg – ein Gespräch · Von Christian Tepe

Zwei Jahre nach dem Antritt des neuen Teams um Generalintendant Markus Müller hat sich das Oldenburgische Staatstheater zu einem überregional anerkannten Zentrum für progressives zeitgenössisches Musiktheater entwickelt. Dafür steht nicht zuletzt die neu gegründete Sparte „JuSt“ (Junges Staatstheater), wo heuer die Oper „Das Kind der Seehundfrau“ erfolgreich uraufgeführt wurde. Bereits Grundschülern die Begegnung mit dem Musiktheater der Gegenwart zu ermöglichen, ist Ziel des in dieser Sparte verankerten „TheaterStarter Neue Musik“, der die schon etablierten Projekte für Kinder und Jugendliche optimiert. Für „Oper&Tanz“ sprach Christian Tepe mit den Dramaturginnen Johanna Wall und Katharina Ortmann sowie der Theaterpädagogin Hanna Wanders.

O&T: Obwohl die junge Oper von der Theaterleitung sehr gefördert wird, ist in den begleitenden Publikationen niemals von „Kinderoper“ die Rede.
Katharina Ortmann: Der Begriff „Kinder-oper“ fällt bei uns explizit nicht. Uns geht es darum, Kinder auf Augenhöhe zu erreichen, das heißt Geschichten zu erzählen, die sie unmittelbar ansprechen und dies mit allen Mitteln, die das Theater bietet. Deshalb denken wir spartenübergreifend. Wir geben also Kinderoper stets in Kooperation mit dem Schauspiel. Wir haben eine Spielverpflichtung für Schauspieler und Sänger aus den klassischen Sparten, auch in unserer Kinder- und Jugendsparte präsent zu sein.

O&T: Und das hat dezidiert ästhetische Gründe und nicht nur – was ja nahe liegt – ökonomische?
K.O.: Wir wollen, dass das Musiktheater für Kinder genauso ernst genommen wird und mit genauso einem Hintergrundwissen – gerade auch was die Regie betrifft – gemacht wird wie das Erwachsenentheater. Deshalb möchten wir das nicht auslagern und einem Extra-Ensemble überantworten.

 
„Das Kind der Seehundfrau“ mit Anne-May Krüger (Frau), Jens Ochlast (Oruk). Foto: Karola Putek
 

„Das Kind der Seehundfrau“ mit Anne-May Krüger (Frau), Jens Ochlast (Oruk). Foto: Karola Putek

 

O&T: Wie erfährt man eigentlich, was den Kindern gefällt?
Hanna Wanders: Ganz einfach: Man bereitet nicht eine Premiere vor und präsentiert sie dann, sondern bezieht die Kinder schon früh in die Probenarbeit mit ein. Dadurch können wir während des Produktionsprozesses konkret austesten, was die Kinder anspricht.
Johanna Wall: In der theaterpädagogischen Arbeit ist es sehr wichtig, nicht einzig die Aufführung in den Vordergrund zu schieben, sondern auch auf die „Geländerung“ zu achten, also Workshops, Einführungen und Nachgespräche anzubieten, die das Theater-erlebnis begleiten. Die Einbettung in diese Projekte, die vor allem das Selbermachen und Zuschauen verbinden, spielt hier im Kinder- und Jugendtheater eine ganz große Rolle.

O&T: Was bedeutet kindgerechte Phantasie auf dem Theater?
K.O.: Wir greifen auf Stoffe zurück, die in ihrer Symbolik zwar märchenhaft sind, aber trotzdem Geschichten von heute erzählen. Zum Beispiel bei dem Musiktheater „Das Kind der Seehundfrau“, wo es sich um einen Märchenstoff aus der Mythologie der Inuit handelt, aber die Geschichte eigentlich von Trennung, Abschied und Tod erzählt und davon, dass eine Mutter und ein Vater sich streiten und schließlich trennen und das Kind vor der Entscheidung steht, zu wem es gehört – und dabei die Mutter verliert.

O&T: Kommen wir zu der Gruppe der 14- bis 19-Jährigen.
H.W.: Ein wirklich sehr schwieriges Alter. Vielleicht entschwinden die jungen Leute in diesem Stadium ein Stück weit, doch ich glaube, sie kommen auch wieder zum Theater zurück. Wichtig ist nur, dass man alles einmal kennen gelernt hat, um sich dann später wieder daran zu erinnern.
J.W.: Und deshalb können sich bei uns alle fünften Schulklassen am Theater anmelden, um dann bis zur achten Klasse jedes Jahr zweimal ins Haus zu kommen und in diesem Rahmen alle Theaterformen und Genres zu erkunden. So entsteht Nachhaltigkeit. Es geht uns nicht darum, ein Prestigeobjekt zu machen, das vielleicht auch in der Presse sehr präsent ist, wo man sich dann aber fragt: Was passiert denn mit all den Jugendlichen, die ein so tolles Projekt gemacht haben? Bleiben die denn im Kontakt mit diesem Medium?

O&T: Mit seiner Präferenz für die Moderne hält Oldenburg einen Spielplan bereit, der besonders dem jugendlichen Publikum sehr entgegenkommen dürfte. Schostakowitsch, Adams oder Britten komponieren doch Musiksprachen, die ihm mutmaßlich viel näher stehen als immer nur Mozart oder die „Verkaufte Braut“.
J.W.: Aber die jungen Leute haben ein klares Stereotyp im Kopf, wie Theater auszusehen hat: „Wenn ich in die Oper gehe, möchte ich Mozart hören.“ Und wenn dann hier ein Don Giovanni in Jeans auftritt, ist das ganz schlimm.
H.W.: Eine komplett andere Erwartungshaltung haben wiederum die Jugendlichen, mit denen ich im Theaterclub arbeite, die selber Theater spielen, sehr viele verschiedene Aufführungen besuchen und alles Konventionelle total unspannend finden.

O&T: Kindertheater und Kinderoper boomen in den letzten Jahren. Wird das Theater zum Bestandteil einer durch die Pisa-Hysterie ausgelösten pädagogischen Kampagne?
J.W.: Die Gefahr besteht. Die Leute nehmen zwar die theaterpädagogischen Programme gerne an, aber man hat dabei bisweilen das Gefühl, in die Position einer Ersatzerzieherin zu gelangen. Es darf aber nicht darum gehen, die Kunst zu instrumentalisieren. Vielmehr gilt es, sie als eine andere Möglichkeit, mit unserer Welt umzugehen, kennen zu lernen. Das Musiktheater soll als Kunstform an die Kinder und Jugendlichen gebracht werden. Kunst ist ein Wert per se und nicht eine Art Fitnesstraining für den Bildungsmarkt

Christian Tepe

 

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