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Parabel der Katastrophe
Ernst Kreneks „Karl V.“ bei den Bregenzer Festspielen · Von
Juan Martin Koch Dass Kunstwerken die Zeit ihrer Entstehung eingeschrieben sei,
ist eine in Opern-Inszenierungen gern großspurig behauptete,
doch selten beglaubigte Binsenweisheit. Wenn ein derartiger Regieansatz
in weiten Teilen so gelingt wie in der Bregenzer Festspielproduktion
von Ernst Kreneks „Karl V.“, ist von zweierlei auszugehen:
Zum einen dürfte die Binse in diesem Fall zum Kern des Werkes
gehören, zum anderen hat Regisseur Uwe Eric Laufenberg ganz
offensichtlich dramaturgisch plausible und handwerklich überzeugende
Konsequenzen daraus gezogen.
Als Entstehungszeit sind am Ende des Librettos, das Krenek (der
ebenso Schriftsteller wie Komponist war) nach eingehenden historischen
Studien selbst verfasste, die Jahre zwischen 1931 und 1933 vermerkt,
und in der Tat: Wie Krenek die zwischen Rückblende und Reflexion
flexibel changierenden Episoden aus der Historie des 16. Jahrhunderts
zu einer Parabel der heraufziehenden Katastrophe formt, ist von
beängstigender Hellsichtigkeit. Ohne den historischen Rahmen
zu verlassen, wendet er das Ringen und das freimütig eingestandene
Scheitern des Kaisers in eine Zeitlosigkeit, auf die sich ein bestimmter
Zeitgenosse Kreneks nur allzu leicht einen Reim gemacht haben dürfte:
Clemens Krauss, der als Wiener Operndirektor das Werk in Auftrag
gegeben hatte, verhinderte in einer dubiosen, offenbar opportunistischen
Gründen geschuldeten Aktion seine Uraufführung, die dann
erst 1938 in Prag stattfand.
Laufenberg nimmt nun den Lehrstück-Charakter der Oper (Krenek
gab in seinen Memoiren zu, sich in seiner Konzeption ungewollt
an Brechts episches Theater angenähert zu haben) beim Wort
und treibt ihn lustvoll, nicht ohne ironisierende Seitenbewegungen,
auf die Spitze. Wir wohnen buchstäblich einer Geschichtsstunde
in den beginnenden 1930ern bei; die Methode unseres Pädagogen
ist die einer quasi theatralischen Anverwandlung des Stoffes, wobei
er selbst in die Rolle des Kaisers, der ungeliebte Klassenprimus
in die des Beichtvaters Juan de Regla schlüpft (prägnant:
Moritz Führmann in der wichtigen Sprechrolle). Auch für
Luther (Thomas Johannes Mayer) ist schnell ein Darsteller gefunden.
Auf der Schulbank stehend wirft er einen symbolträchtigen
Schatten auf die am Ständer baumelnde Karte vom Heiligen Römischen
Reich. Allmählich verschwimmen freilich die Grenzen zwischen
gelehrter, gespielter und tatsächlicher Geschichte, während
gleichzeitig die unerbittlich fortschreitende Gegenwart, die zunächst
mittels Videoeinspielungen hinter der hochgezogenen Tafel nur projiziert
erscheint, auf das Bühnengeschehen übergreift.
Die Hochzeit zwischen Karls Schwester Eleonore und dem französischen
König (Nicola Beller-Carbone und Matthias Klink) findet schon
unterm Hakenkreuz statt, von den drei weiblichen Geistern, die
im packenden Finale des ersten Aktes Karl mit den „Zeichen
der Zeit“ förmlich überrollen, trägt der dritte
(„Ich bin der Geist des völkischen Stolzes“) eine
BDM-Uniform, der vierte aber („der Geist des tiefsten Leides“)
den Judenstern. Diese, gleichwohl nicht immer mit Kreneks durchaus
mehrdeutigem Text korrespondierende Zuspitzung funktioniert, weil
Laufenberg sie nicht didaktisch überfrachtet, sondern mit
schlüssigen Bildideen (Bühne: Gisbert Jäkel) und
sorgfältiger Personenführung abstützt.
Im zweiten Akt unternimmt er dann zunächst mit dem Verschwinden
des Klassenraums eine Reduktion, die als Rückzieher gewertet
werden könnte, wäre sie nicht direkt aus der Musik abzuleiten.
Wie Krenek hier, beginnend mit dem überwältigenden Zwischenspiel,
der von ihm erstmals verwendeten Zwölftonmethode, ganz neue,
lyrisch nach innen gewandte Ausdrucksbereiche abgewinnt, dürfte
zum Besten gehören, was in dieser Technik komponiert wurde.
Die in Zeitlupe auf Karls Krankenbett herabschwebende schwarze
(Welt-) Kugel, die im weiteren Verlauf noch manchen Akteur verschluckt,
gibt den zunächst vorherrschenden, ruhigeren Puls vor, bevor
Laufenberg den Bogen dann doch mit einer allzu vorhersehbaren Nazi-Vergewaltigung überspannt.
Spätestens im zweiten Akt wurde aber klar, zu welch fabelhafter
Leistung Lothar Koe-nigs die Wiener Symphoniker geführt hatte.
Transparent und genau, den Spannungsbogen gleichzeitig kompakt
dramatisierend, bildeten sie den sicheren Rückhalt für
die durchweg ausgezeichneten Sängerleistungen. Dietrich Henschel
meisterte (obwohl an diesem 27. Juli leicht erkältet) die
enorme Titelpartie mit durchaus plausibler lyrischer Grundhaltung
und glaubwürdigen Ausbrüchen ins Dramatische. Die gewichtigen
Chorpartien wurden von der Camerata Silesia aus Katowice mit guter
Textpräsenz und Differenzierung im Dynamischen bewältigt.
Die Leistung der Wiener Symphoniker ist umso höher zu bewerten,
wenn man das enorme Pensum in Rechnung stellt, das vom Orchester
in Bregenz absolviert wurde: Neben der Riesenpartitur des „Karl“ standen
bei diesem exemplarischen Bregenzer Krenek-Schwerpunkt noch die
Operetten-Satire „Kehraus um St. Stephan“ und zahlreiche
Orchesterwerke auf dem Programm. Nicht zu vergessen die spektakuläre,
bühnentechnisch brillant umgesetzte „Tosca“ auf
der Seebühne, die Ulf Schirmer mit einem angemessen zupackenden
Dirigat antrieb, ohne allerdings den sanften Hauch von Musical
vollständig neutralisieren zu können, der diese äußerst
unterhaltsame Produktion umweht.
Juan Martin Koch
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