Liebesglück und Menschenhass
Ballett-Uraufführung von „Professor Unrat“ in
Wiesbaden · Von Vesna Mlakar
Noch ist das Pflaster heiß für Stephan Thoss und sein
expressionistisch-zeitgenössisches Balletttheater. Während
ein Teil des Stammpublikums der „Spitzentanz-Ära“ unter
Vorgänger Ben van Cauwenbergh nachtrauert, gewinnt der seit
Spielzeitbeginn frisch berufene Tanzchef am Hessischen Staatstheater
Wiesbaden neue, ja begeisterte Freunde mit seiner anschaulich stringenten,
obgleich durchgehend düsteren Adaption von Heinrich Manns
satirischem Roman „Professor Unrat“.
Anders als in Joseph von Sternbergs berühmter Verfilmung „Der
blaue Engel“ (mit Marlene Dietrich als Lola) vermeiden Thoss
und sein Dramaturg Stefan Ulrich in ihrem Balletttheater jede Revuehaftigkeit.
Sie lenken den Stoff vom mitleiderregenden Untergang des in die „Künstlerin“ Rosa
Fröhlich (genannt Lola) verschossenen Gymnasiallehrers zurück
auf ein ergreifend schlüssiges Psychogramm des dem Leben feindlich
eingestellten und – so Mann – „lächerlichen
Scheusals“.
Folgerichtig startet das atmosphärisch in der Zeit der Vorlage
belassene Stück mit einer imposanten Einführung des penibel-versponnenen
und introvertiert-verkrampften Klassenzimmertyrannen. Rücklings,
noch ohne musikalische Untermalung, betritt er den Raum, in dem
er wenig später zu Witold Lutoslawskis „Konzert für
Orchester“ gnadenlos über seine Schüler herrscht – bis
er, wenige Drehungen der halben Szenerie und simple Umfunktionierungen
der Schulbänke zu Clubsofas weiter (Bühne: Kaspar Zwimpfer),
auf jene Frau trifft, die sein Schicksal besiegelt. Subtil choreografiert,
werden in den Duetten mit ihr (bei Thoss weniger erotischer Vamp
als eine, die einen Verbündeten sucht) seine harten, zackigen
Bewegungen weicher, greift er ihre Körperschwingungen auf.
Dennoch: Unrat bleibt ein Besessener, eine Figur ohne allzu viele
Facetten – vom ersten Schritt an!
Gemeinsam eröffnen beide einen Spiel- und Vergnügungssalon.
Nun ist es diabolische Rachsucht, die ihn dazu treibt, die eigene
Frau zu verschachern. Musikalisch setzt Thoss dafür zwei Kompositionen
von John Adams sowie Alban Bergs „Lulu Suite“ ein.
Beim ersten Anflug einer intimen Beziehung Rosas zu seinem Ex-Schüler
Lohmann würgt Unrat sie zu Tode. Was für eine Rolle!
Der Tänzer Sandro Westphal war dafür fast pausenlos im
Einsatz. Bravos und lauter, ehrlicher Applaus für das phantastische
Ensemble am Schluss.
Vesna Mlakar
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