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Bühnen- und tarifrechtliche Urteile
» 15 Jahre oder 15 Spielzeiten?
In § 61 Abs. 3 Unterabs. 2 NV Bühne (Nichtverlängerungsmitteilung
Solo) heißt es: „Besteht das Arbeitsverhältnis
am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als fünfzehn Jahre
(Spielzeiten) und hat das Solomitglied in dem Zeitpunkt, in dem
die Nichtverlängerungsmitteilung spätestens zugegangen
sein muss… das 55. Lebensjahr vollendet, kann der Arbeitgeber
eine Nichtverlängerung nach Abs. 2 nur aussprechen, um das
Arbeitsverhältnis unter anderen Vertragsbedingungen bei der
(den) im Arbeitsvertrag angegebenen Bühne(n) fortsetzen.“ § 96
Abs. 3 NV Bühne (Nichtverlängerungsmitteilung Tanz) stellt
ebenfalls auf die ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von
mehr als fünfzehn Jahren (Spielzeiten) ab, differenziert dann
aber: Hat das Tanzgruppenmitglied das 55. Lebensjahr noch nicht
vollendet, muss das Arbeitsverhältnis unter anderen Vertragsbedingungen,
allerdings auch außerhalb der arbeitsvertraglich vereinbarten
Bühne(n) fortgesetzt werden, hat das Mitglied das 55. Lebensjahr
vollendet, gilt die selbe Regelung wie für das Solo-Mitglied.
Das Bühnenoberschiedsgericht hatte zu entscheiden, ob eine
Nichtverlängerungsmitteilung rechtswirksam ist, wenn ein ununterbrochenes
Beschäftigungsverhältnis zwar 15 Spielzeiten, aber länger
als 15 Jahre bestanden hat. Konkret: Das Beschäftigungsverhältnis
des Klägers hatte vom 28.08.1991 bis zum 17.09.2006 gedauert,
hatte aufgrund unterschiedlicher Spielzeitlängen die 15-Jahresfrist
also um 20 Tage überschritten.
Das Bühnenoberschiedsgericht hat mit Entscheidung vom 20.
Juni 2006 (AZ: BOSchG 7/06) die Nichtverlängerung für
rechtsunwirksam erklärt und einen Weiterbeschäftigungsanspruch
des Klägers konstatiert. In der Begründung führte
das Gericht dazu aus: „Entscheidend für das Ergebnis
im vorliegenden Rechtsstreit war, welche Bedeutung die Tarifvertragsparteien
der in § 61 Abs. 3 NV Bühne gewählten Formulierung ‚Mehr
als 15 Jahre (Spielzeiten)’ beigemessen haben. Es gilt der
Grundsatz, dass, wenn Tarifvertragsparteien Klammerzusätze
zu einem bestimmten Begriff verwenden, diese den bestimmten Begriff
erläutern sollen. Würde man im Streitfall diesem Auslegungsgrundsatz
folgen, würde der Tarifvertrag die Begriffe „Jahr“ und „Spielzeit“ insoweit
gleichsetzen als unter „Jahr“ stets die jeweilige „Spielzeit“ zu
verstehen ist. In diesem Sinne werden die Tarifbegriffe im Bühnenbereich
selbst aber nicht verstanden: Jahr und Spielzeit stellen zwei verschiedene
Begriffe dar. So heißt es in dem Kommentar zu § 61 Abs.
3 NV Bühne von Bolwin/Sponer (Anm. 20 zu §46 NV Bühne):
Das Tatbestandsmerkmal ‚Jahr (Spielzeit)’ enthält
zwei Begriffe, die nicht notwendigerweise einen gleichen Zeitraum
beinhalten müssen… Der Zeitraum einer Spielzeit kann
zeitgleich mit einem Jahr sein, aber auch länger oder kürzer…“
» Tarifnormen für nicht tarifgebundene
Bühnenmitglieder
Ein Bühnenmitglied berief sich auf eine Nebenabrede zu einem
Haustarifvertrag, der mit einer Laufzeit vom 1. August 2002 bis
zum 31. Juli 2005 zwischen dem Theater C. und der GDBA abgeschlossen
worden war. Die Solisten und Bühnentechniker nach BTT betreffende
Nebenabrede war jedoch ohne Kenntnis der GDBA nur zwischen dem
Intendanten und der Gewerkschaft ver.di vereinbart worden, die
wiederum nicht Tarifpartei des oben genannten Haustarifvertrages
war. Das Bühnenschiedsgericht Chemnitz verneinte mit seiner
Entscheidung vom 10. April 2006 (AZ: BSchG 33/05) den Anspruch
des Klägers auf Anwendung dieser Nebenabrede, betrachtete
ihn, da nicht der Tarifpartei GDBA angehörig, im Hinblick
auf die Künstlertarifverträge als nicht tarifgebunden
und führte zu der Frage der Geltung von Tarifnormen für
nicht tarifgebundene Bühnenmitglieder Folgendes aus:
„Tarifbindung lag zu diesem Zeitpunkt unstreitig nicht vor, da der Kläger
erst im November 2005 in die Gewerkschaft ver.di eingetreten ist, und der Eingriff
insofern keine Rückwirkung entfalten kann. Eine arbeitsvertragliche Inbezugnahme
liegt ebenfalls nicht vor, da der Arbeitsvertrag eben nicht die mit der Gewerkschaft
ver.di vereinbarten Tarifverträge in Bezug nimmt, sondern die mit einer
anderen Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifverträge. Die GDBA hat eine solche
Nebenabrede zum Haustarifvertrag aber unstreitig nicht vereinbart.
Auch die Berufung des Klägers auf den Gleichbehandlungsgrundsatz
greift nicht durch. Der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört
zu den Grundprinzipien des Arbeitsrechts. Der gesetzlich nicht
normierte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht
dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz.
Auch Tarifvertragsnormen sind mittelbar an Art. 3 Grundgesetz gebunden
(BAG 27.05.2004, AP, TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 5). Die
Tarifvertragsparteien müssen bei ihrer Normsetzung den allgemeinen
Gleichheitssatz sowie die Diskriminierungsverbote beachten. Der
Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn einzelne Arbeitnehmer
oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein
begünstigenden Regelungen ausgenommen und schlechter gestellt
werden als andere Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage (ständige
Rechtsprechung des BAG, 06.12.1995, AP BGB § 611 Gratifikation
Nr. 186).
Nach § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz gelten die Rechtsnormen
eines Tarifvertrage unmittelbar und zwingend nur zwischen beiderseits
Tarifgebundenen. Damit regelt schon das Gesetz eine sachliche Gruppenbildung
zwischen Arbeitnehmern, die Mitglied der tarifschließenden
Gewerkschaft sind, und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern.
Wollte man diese durch den Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz
wieder aufheben, würde gleichsam das gesamte Tarifsystem in
Frage gestellt werden. Der Arbeitgeber muss den nicht tarifgebundenen
Arbeitnehmern eben nicht dieselben Rechte gewähren, wie den
tarifgebundenen Arbeitnehmern.“
» Verweise im Haustarifvertrag
Bestimmt ein Haustarifvertrag, dass für die Beschäftigten
ein bestimmter Tarifvertrag und die diesen ergänzenden Tarifverträge
in der jeweiligen Fassung Anwendung finden, soweit der Haustarifvertrag
keine Abweichungen enthält, so liegt eine dynamische Verweisung
auf das gesamt einschlägige Regelungswerk vor. Auch ergänzende
Tarifverträge, die erst nach Abschluss des Haustarifvertrages
in Kraft getreten sind, sind anzuwenden. So entschied das Bundesarbeitsgericht
am 25. Juli 2006 (AZ: 3 AZR 134/05).
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