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Karnevaleske Intrigen
Cavallis „Giasone“ an der Oper Frankfurt · Von
Andreas Hauff
Mit Schwellkopf und Steckenpferd präsentiert
sich der Sonnengott Apollo (Jussi Myllys) auf der Bühne des
Bockenheimer Depots. Tatsächlich ist Francesco Cavallis Giasone,
am 5. Januar 1648 oder 1649 in Venedig uraufgeführt und danach
40 Jahre lang an italienischen Bühnen präsent, eine ziemlich
freche Karnevalsoper. Cavalli und sein Librettist Giacinto Andrea
Cicognini
gehen mit antiken Mythen so respektlos um wie später Jacques
Offenbach. Auch bei Cavalli und Cicognini erobert Jason (in Frankfurt
der Countertenor Nicola Marchesini)das Goldene Vlies und das Herz
der Königstochter Medea (Stella Grigorian), doch muss man
den zaudernden Frauenhelden erst zum Kampf drängen. Und gegen
Apollos Willen verliert er am Ende Medea und muss sich auf der
Insel Jolkos mit der Königstochter Hypsipyle (Juanita Lascarro)
zufriedengeben, die er zuvor geliebt, geschwängert und verlassen
hatte. Die Abweichung vom Mythos betreibt der Liebesgott Amor.
Und so lässt Göttervater Jupiter Jason und Medea genau
vor Jolkos Schiffbruch erleiden. Beide treffen auf Hypsipyle und
es kommt zu einer giftig-komischen Eifersuchtsszene – erstaunlich ähnlich
der in Weills und Brechts „Dreigroschenoper“ von 1928.
Cavalli und Cicognini entwickelten eine spannende Intrige. Jason
stellt der zornigen Ex-Geliebten eine Falle und beauftragt Herkules
(Soon-Won Kang), sie heimlich ins Meer zu erwerfen. Doch der erwischt
statt Hypsipyle die neugierige Medea. Diese wird jedoch von ihrem
verlassenen Verlobten Ägeus aus dem Wasser gezogen und wendet
sich ihm wieder zu. Inzwischen fliegt der Plan auf, und Hypsipyle
gewinnt den blamierten Jason zurück, indem sie ihn eindringlich
an die gemeinsamen Zwillinge erinnert. In „Giasone“ findet
sich eine breite Spanne zwischen Tragödie und Komödie,
zwischen aristokratischer Haltung und plebejischem Witz. Für
Letzteren sorgen insbesondere die Dienerfiguren: Medeas Amme Delfa
(Countertenor Martin Wölfel), Hypsipyles Untergebener Orest
(Florian Plock) und Ägeus’ buckliger Diener Demo (darstellerisch
besonders virtuos: Christian Dietz).
Die Musik lebt von einer subtilen Mischung aus Rezitativen in
freier Deklamation und ausdrucksvollen ariosen Einschüben.
Im Arrangement des musikalischen Leiters Andrea Marcon werden die
Rezitative nur von der Continuo-Gruppe begleitet. In den instrumentalen
Zwischenspielen, teilweise entlehnt bei Cavallis deutschem Schüler
Johann Rosenmüller, treten je zwei Violinen, Bratschen, Blockflöten
und Zinken sowie Schlagwerk hinzu. Wie psychologisch genau Cavalli
denkt, zeigt sich beim Stotterer Demo: Er verhaspelt sich in den
Rezitativen, aber nie beim „richtigen“ Singen. Zugleich
gibt er Anlass zu intertextuellen Anspielungen, die die Handlung
sprengen. Als er auf „sol mi“ hängenbleibt, antwortet
Orest ihm mit den damals gängigen Solmisationssilben „fa
re“, und auf den Aussetzer „la bel“ stimmen beide
spontan den Schlager „La bella traditrice“ an.
Feinheiten wie diese würden untergehen, hätte Anouk
Nicklisch nicht das Libretto sorgfältig übersetzt und
auf in Inhalt und Tendenz genaue Übertitel geachtet. Die gewissenhafte
Auseinandersetzung mit Text und Musik war eine der Tugenden der
Regisseurin, die wenige Tage vor Probenbeginn mit nur 47 Jahren
plötzlich an einer Sepsis starb. Bühnenbildner Roland
Aeschlimann und die Regisseurin Andrea K. Schlehwein übernahmen
es, die Produktion nach dem Vorbild von Nicklischs Klagenfurter
Inszenierung von 2004 herauszubringen. „Unserem Haus“,
schreibt Frankfurts Opernintendant Bernd Loebe im Programmheft
zum Andenken, „hätte ihre Nachdenklichkeit, ihr Streben
nach Form und Disziplin gutgetan. Aus ihrem zunächst kühlen,
analytischen Blick auf Werke, Konzepte und Figuren wären hochemotionale
Abende entstanden“. Andrea Marcon hält fest: „Als
ganzes Team war es unser größtes Anliegen, der dramaturgischen
Vision Anouks ein lebendiges Denkmal zu setzen.“
Wer Nicklischs Inszenierungen in den letzten Jahren erlebt hat,
muss feststellen: Dies ist in der Tat gelungen. Einige Längen
zu Beginn hängen mit ihrer Vorliebe für abstrakte Bühnenlandschaften
zusammen. Vor einen Rundhorizont hat Roland Aeschlimann einen Kubus
gesetzt. Aus dessen zunächst einziger Öffnung klettert
Amor. Erst ganz allmählich entfaltet sich der Würfel
zu den Seiten und nach innen. Durch die verschiedenartigsten Ornamente
und Raumsegmente wird er dann zu einem verwirrenden und hintergründigen
Erlebnis- und Erfahrungsraum für die Protagonisten. Feinsinnig,
von kammerspielartiger Intensität, ist die Personenführung
im (bis auf den etwas leisen Martin Wölfel) ausgewogenen Ensemble.
Witzig gestaltet sind die Einsätze der Statisterie. Umso mehr
bedauert man, dass die Chorpartien vom Band kommen.
Andreas Hauff
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