|
Der Dorn im Herz der Nachtigall
Juliane Kleins Musiktheater „Glück“ · Von
Wolfgang Fuhrmann
Was ist Glück? Wann zeigt es sich? Kann man es fassen? Soll
man es halten? Solche Fragen werden im Theater, auch im Musiktheater,
kaum je gestellt. Gewiss mag es einfacher sein, das Unglück,
die Entfremdung, die Gewalt, die Lähmung aller menschlichen
Beziehungen zu zeigen. Aber wird der Hinweis auf das Unglück
nicht zur bloßen negativen Routinegeste entkräftet,
wenn die Kunst nicht mehr sagen kann oder will, was Glück
sei?
Als die Komponistin Juliane Klein gefragt wurde, ob sie zur Klangwerkstatt
Berlin 2006 ein Musiktheater-Stück schreiben wolle, wählte
sie als Thema: „Glück“. Zwei Texte nahm sie als
Ausgang: Zum einen Oscar Wildes Märchen von der Nachtigall,
die sich den Dorn einer weißen Rose ins Herz sticht und dazu
eine Nacht lang singt, auf dass sich die Rose rot färbe, damit
sie ein Student dem von ihm geliebten Mädchen schenken kann.
Und zum anderen Gottfried Benns Gedicht „Nur zwei Dinge“,
das mit den Worten endet: „Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere
/ was alles erblühte, verblich / es gibt nur zwei Dinge: die
Leere / und das gezeichnete Ich.“ Das Glück wird hier
nicht gezeigt als ein Gegenstand, es soll sich in den Zwischenräumen
ergeben.
Der Auftraggeber von „Glück“, die Klangwerkstatt
Berlin, ist eine Initiative der Musikschulen in Kreuzberg und Neukölln.
Die Idee dieser „Werkstatt Neues Musiktheater“ wird
von Volkmar Bussewitz (Produktionsleitung) und Gerhard Scherer
(Dirigent des Ensembles Experimente) getragen. Die finanziellen
Mittel sind begrenzt, der Enthusiasmus und das Engagement groß.
Das kam der Produktion von „Glück“ zugute.
Am 10. November war die Uraufführung im Saalbau Neukölln,
zwei weitere Vorstellungen folgten. (Regie: Holger Müller-Brandes,
Bühne: Isabelle Krötsch, Solisten: Britta Wieland, Clemens
Gnad, Kai-Uwe Fahnert, Franziska Rummel).
Kleins Musik bezieht seit jeher den szenischen Aspekt des Musizierens
mit ein. Bei „Glück“ erwies sich das schon unter
akustischen Gesichtspunkten als sinnvoll. Als die Zuschauer und
der Gropius-Chor (bestehend aus Sängern zwischen 55 und 70
Jahren, die, wie Klein mit einem Benn-Zitat sagte, „durch
die Formen des Lebens geschritten sind“) den als Bühnenfläche
gestalteten Saalbau betraten, waren die Musiker und die Solisten
bereits anwesend und begannen, mit leisen Tönen eine Art von
vor- oder quasimusikalischem Raum zu errichten. Indem sich die
Instrumentalklänge zwischen den im Raum verteilten Zuschauern
hin- und her bewegten, wurden die musikalischen Ereignisse plastischer
und präsenter als bei einer traditionellen Orchester-aufstellung.
Klein hat ihr Musiktheater in 13 Szenen gegliedert, die zentralsymmetrisch
um die siebte Szene geordnet sind; das Stück ist frei aus
einer Reihe entwickelt, die große Terzen und kleine Sekunden
wechselnd aneinanderreiht, also Quarten als Rahmenintervalle übereinanderschichtet.
Diese Konstruktionen sind zumindest teilweise durchaus mit freiem
Ohr wahrnehmbar, denn Kleins Musik arbeitet stets mit sparsam gesetzten
Linien und Elementen, sie ist über weite Strecken gleichsam
graphisch, ohne Berührungsscheu mit tonalen Momenten, aber
auch ohne falsche Anbiederung. Die sterbende Nachtigall singt sogar
ihren Todesgesang – auf Worte von Benn: „Ich bin so
hingesunken an Dich. Und bin so trunken von Dir, Oh Glück!“ – in
Form eines Chansons in h-moll, im Walzerrhythmus begleitet vom
Klavier. Ihr Gesang und Leben klingen aus auf das Wort „Alleluja“ (auch
dieses steht bei Benn!), als simpler absteigender Tetrachord e-d-cis-h.
Diese so einfache wie prägnante Wendung wird zu Beginn der
folgenden Szene von einer Reihe von Instrumenten aufgegriffen,
und vielleicht ist in diesen paar Tönen das Glück zu
spüren. Ganz sicher ist es ein Glück auf Seiten der Hörer.
Weitere Aufführungen wären dringend zu wünschen.
Wolfgang Fuhrmann
|