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Diese Braut muss geschmückt werden
Das Musikmagazin „taktlos“: Katastrophe Hauptstadtoper
Gleich zu Jahresbeginn – am 3. Januar 2007 – ging das
Musikmagazin „taktlos“ des Bayerischen Rundfunks fremd:
Gastgeberin und Studiogast zugleich war Kirsten Harms, Intendantin
der Deutschen Oper Berlin; im Foyer ihres Hauses unterhielt sich
Moderator Theo Geißler außerdem mit Monika Grütters
(CDU), MdB und Mitglied des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages,
Stefan Rosinski, designierter Direktor der Stiftung Oper in Berlin,
sowie mit Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper.
Theo Geißler: Unsere Bundeshauptstadt ist bekanntlich mit
drei Opernhäusern gesegnet, dazu zwei kernige Sätze: „In
Berlin wird keine Oper geschlossen.“ Und: „Berlin kann
nur zwei Opernhäuser finanzieren“. So etwa lauteten
die präzisen Aussagen des Regierenden Bürgermeisters
und selbst ernannten Kultursenators Klaus Wowereit aus jüngster
Zeit. Frau Harms, haben Sie eine Ahnung, wie die-se Wowereit’sche
Ungleichung künstlerisch und mathematisch zu lösen wäre?
Kirsten Harms: Ich habe da natürlich vor allem eigene Wünsche.
Ich nehme den Regierenden Bürgermeister beim Wort: Er wird
kein Opernhaus schließen. Das hat er gesagt, und dazu wird
er auch stehen. Es wird darum gehen, dass möglicherweise auch
gemeinsam mit dem Bund Möglichkeiten gesucht werden, sich
zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen für die
Kulturlandschaft in Berlin. Das könnte auch ein Signal sein
in die Republik.
Geißler: Von der Berliner
Opernstiftung, der ausgewiesenen Clearing-Stelle für alle erdenklichen Opernprobleme der Hauptstadt,
begrüße ich Stefan Rosinski, Geschäftsführer
für den Bühnenservice der „Stiftung Oper in Berlin“ und
zurzeit auch amtierender Generaldirektor, denn Michael Schindhelm
hat sich ja ein wenig zurückgezogen. Herr Rosinski, es ist
bekannt, dass diese Scheidung nicht gerade harmonisch verlief.
Was oder wer brach diese Ehe? Stefan Rosinski: Die Ehe, wenn
es denn eine Ehe gewesen ist, ist nie richtig vollzogen worden.
Wir haben natürlich auch einen
Wechsel von politischen Personen gehabt. Michael Schindhelm ist
angetreten unter den Voraussetzungen des so genannten Opernstrukturkonzeptes,
das vor der Gründung der Stiftung erstellt wurde. Er hat dann
diese Prämissen geprüft und ist zu der Erkenntnis gekommen,
dass sich das so nicht realisieren ließe. Das hat er dann
auch den politisch Verantwortlichen mitgeteilt und hat seinerseits
ein Konzept zur Nachjustierung vorgelegt, ein Konzept, das erhebliche
Einschnitte erforderte. Dazu brauchte er politische Rückendeckung,
die er nach seiner Auffassung nicht signalisiert bekam.
Geißler: Bedeutet das das
Aus der Opernstiftung?
Rosinski: Nein. Die Opernstiftung
ist in vielen Bereichen schon so weit fortentwickelt, dass sie
sich nicht ohne
weiteres wieder
aus der Welt schaffen ließe. Das wäre auch gar nicht
zu begrüßen, denn wir haben in vielen Bereichen wirklich
sehr gute Arbeit geleistet. Die Frage ist: Welches sind die zukünftigen
Rahmenbedingungen, in denen sich die Stiftung wird bewegen können?
Das Zeitfenster ist vorgegeben durch die so genannte mittelfristige
Finanzplanung, die ja offenbart, dass die Stiftung spätestens
2008 in Zahlungsschwierigkeiten gerät und 2009 im Grunde zahlungsunfähig
ist. Vor diesem Hintergrund besteht akuter Handlungsbedarf.
Geißler: Monika Grütters sitzt in unserer Runde. Sie
hat vor Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit für die Bonner
Oper mitgewirkt. Heute leitet sie unter anderem die „Stiftung
Brandenburger Tor“ und sie bewegt als CDU-Bundestagsabgeordnete
im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages eine ganze Menge.
Und sie fühlt sich natürlich als Berlinerin auch als
Vertreterin Berliner Kulturpolitik. Wenn es um die Finanzierung
der hiesigen Häuser geht, wird immer wieder nach dem Bund
geschrieen. Wie groß ist die Chance, dass da demnächst
ein großer Segen kommt?
Monika Grütters: Der Bund
hat ja schon mehr getan als Berlin selber. Der Bund gibt zurzeit
420 Millionen Euro jährlich
für Berliner Kultureinrichtungen aus, Berlin selbst gerade
mal 350 Millionen. Und es war der Bund, der Berlin durch Übernahme
von Akademie und Kinemathek vor 3 Jahren um 31 Millionen jährlich
im Kulturhaushalt entlastet hat, damit das Land dieses Geld in
die Opernstiftung investiert. Berlin war wie üblich vertragsbrüchig.
Die rot-rote Koalition hat nicht zu ihrem Wort gestanden und dieses
Geld keineswegs in die Opern gesteckt, sondern ihnen auch noch
Sparauflagen gemacht. So kann das Miteinander zwischen Bund und
Land natürlich nicht laufen. Die Opernstiftung ist mit Geburtsfehlern
auf die Welt gekommen. Sie hat keinen mehrjährigen Zuschuss
ohne Haushaltsvorbehalt bekommen, sie ist finanziell unterausgestattet.
Sie hat einen Stiftungsrat, der nicht politikfern besetzt ist.
Da sitzt unter anderem der Finanzsenator drin, das heißt,
man macht den Bock zum Gärtner. Und der Generaldirektor hat
keine wirklichen Durchgriffsrechte. Das kann man natürlich
nicht auf dem Rücken des Bundes ausbaden. Ich finde es ganz
besonders schlimm, dass in dieser Stadt seit Jahren polemisiert
wird: Brauchen wir drei Opernhäuser? Wenn man drei Kinder
hat, fragt man nicht, ob man die braucht, sondern sieht zu, dass
aus ihnen etwas wird. Mit der Enthauptung der Kultur hat Herr Wowereit
das Ressort deutlich marginalisiert. Das lässt Düsteres
vermuten.
Im Übrigen ist das kein reines landespolitisches Thema. Berlin
ist eben mehr als nur ein Bundesland unter vielen. Es ist als Hauptstadt
ein Mittelpunkt. Das definiert sich in allererster Linie kulturpolitisch,
was die Mehrheit der Politik und offenbar auch Berliner Kulturpolitiker
nicht begreifen: Sie müssen diese Braut „Kultur“ schmücken,
sie müssen sie schön machen. Stattdessen wird sie seit
Jahren als Problem thematisiert und noch dazu vom Finanzsenator
schlecht geredet: „Ihr habt zu viel Kultur, und die ist mittelmäßig.“
Geißler: Von unserem vierten
Gast hätte ich eigentlich
erwartet, dass er mir ins Wort fällt, als ich von drei Berliner
Opernhäusern sprach. Andreas Altenhof vertritt die vierte
Berliner Oper, die Neuköllner Oper. Wie ist es, wenn man so
einen Streit mitbekommt? Freut man sich da als einer, der außen
vor sitzt und hofft vielleicht, man könne davon ein wenig
profitieren?
Andreas Altenhof: Nein, wir profitieren
nie vom Streit. Wir profitieren einfach von dem, was auf der Bühne passiert. Wir profitieren,
wenn das, was auf der Bühne passiert, gut ist und Stadtgespräch
wird. Die Frage kann gar nicht sein, wie viele Opern Berlin braucht.
Ich sage: Berlin braucht acht Opern. Berlin hat auf jeden Fall
vier Opern. Dieses vierte Opernhaus ist ein überaus lebendiges,
ein sehr leidenschaftliches. Wir sind das „vierte Kind“.
Wir sind viel später gekommen, wir sind als Überraschung
gekommen. Jetzt werden wir umso mehr geliebt.
Geißler: Es gab eine Reihe
von vernünftigen Lösungsvorschlägen
für die Opernproblematik, die hier in Berlin spätestens
seit der Wende gärt. Generalintendanz war ein Vorschlag, Zusammenlegung
von Bühnen. Gab es da überhaupt mal einen Plan, der Hand
und Fuß hatte?
Rosinski: Es gab einen Plan, der zumindest Füße hatte.
Er war nicht ganz ausgegoren und konnte deshalb nicht greifen.
Ursprünglich war in dem Opernstrukturkonzept die Aufgabe gestellt,
bis 2009 16,8 Millionen einzusparen. Man hatte damals ein Konzept
erarbeitet, durch einen Personalabbau, der davon 9,6 Millionen
realisieren sollte. Es blieb ein Rest von 7,2 Millionen Euro. Da
hat man damals etwas fahrlässig – und das kam aus den
Häusern selbst – gesagt, das würde man durch Umsatzsteigerungen
realisieren. Soweit ich weiß, hat man das schon damals im
engeren Kreise für unrealistisch gehalten. Das führte
zu der Diskussion: Welche Opernhäuser wollen wir, und was
wollen wir mit diesen Opernhäusern? Wie sind die Häuser
zueinander aufgestellt? Es war auch Teil des ursprünglichen
Konzeptes zu sagen: Wir akkordieren die Häuser so in den Spielplanprofilen,
dass sie das optimale Potenzial an Zuschauern erschließen.
Zum Beispiel: Die Deutsche Oper spielt 19. Jahrhundert, die Staatsoper
bedient das klassische Repertoire bis zur Frühromantik, die
Komische Oper ist für die Moderne und die Operette zuständig.
Das wäre ja denkbar. Ob das dann die Effekte erzeugt, von
denen man geträumt hat, das sei noch mal dahingestellt.
Geißler: Wie, Frau Harms,
gefällt Ihnen denn der Vorschlag
von Herrn Rosinski, die Berliner Spielstätte des 19. Jahrhunderts
zu werden? Das könnte sich ja, was die Zahlen angeht, möglicherweise
ganz gut machen. Da hat man sicher eine schöne Auslastung
mit einem reifen Publikum und liefert zumindest statistisch gute
Werte.
Harms: Die Häuser haben natürlich bereits verschiedene
Spielplanprofile. Insbesondere die Deutsche Oper als das größte
Opernhaus zeigt Schwerpunkte in dem so genannten großformatigen
Repertoire. Selbstverständlich muss sich dieses Haus aber
auch immer wieder der Moderne und dem Experiment, dem Ungewissen
und dem Risiko stellen. Denn das ist künstlerisch unbedingt
nötig. Deshalb haben auch die Spiele um Zahlen oder um prozentuale
Auslastung durchaus ihre Grenzen.
Geißler: Herr Altenhof, die
Neuköllner Oper in Konkurrenz
zur Komischen Oper als Speerspitze der Avantgarde. Kann das ästhetisch
funktionieren?
Altenhof: Wir gehen einen ganz
anderen Weg. Wir glauben, dass es auch heute noch geht, mit Mitteln
des Musiktheaters
zeitgemäße
und spannende Geschichten zu erzählen. Für uns ist es
vollkommen egal, welcher Musikrichtungen und Genres wir uns bedienen.
Wichtig ist, welche Geschichte erzählt werden soll.
Harms: Die Repertoirebeschränkung wäre so, als wenn man
drei Primadonnen in einer Stadt hat, und die dürfen jeweils
nur eine Oktave singen. Schade drum! Wir sollten uns darauf konzentrieren,
dass man vier oder noch mehr Opernhäuser hat. Dort sind jeweils
kreative Künstler an der Arbeit. Die müssen die Freiheit
haben, künstlerisch etwas zu tun, was wichtig ist. Sie müssen
das Profil jeweils neu gestalten.
Rosinski: Es ist ein wichtiger
Impuls, die künstlerische Freiheit
einzufordern. Das stößt aber immer auf die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen, die dies begrenzen. Durch den enormen Druck,
der aufgrund des Finanzkorsetts, in das die Stiftung eingeschnürt
ist, entsteht, sind die Häuser gehalten, die Umsatzerfolge
zu steigern. Das, was an Risiko wirklich gegangen werden kann,
das wird immer weniger. Das führt zu einer Verengung des Repertoires
aller drei Häuser.
Grütters: Dieser authentische
Künstler-Impuls tut uns
gut, und er ist richtig. Wir sitzen ja aber deshalb hier, weil
wir fast fraglos eine Prämisse akzeptieren, nämlich dass
Berlin sexy und arm ist. Dass es so wenig Geld hat, dass es nicht
mehr für Kultur ausgeben könnte. Über diese Prämisse
sollten wir mal nachdenken. Es wird ja immer diskutiert: Was ist
uns die Hauptstadt wert? Was in Berlin hauptstadtfähig ist,
das ist Wissenschaft und das ist in allererster Linie Kultur. Kultur
ist nicht eine der Stärken, sondern die Grundressource. Es
werden nur 1,6 Prozent des Haushalts dafür ausgegeben. Das
Ansehen der Nation Deutschland, die zuerst eine Kultur- und dann
eine politische Nation war, entscheidet sich zuerst am Zustand
ihrer Hauptstadt. Aus diesem Grund muss man den Senat immer wieder
ins Gebet nehmen.
Geißler: Die Vorurteile gegen
die Institution Oper sind landauf, landab die gleichen. Nur wiegen
sie, wenn die
Kassen knapp sind,
besonders schwer. Da ist Berlin besonders gebeutelt. Oper sei ein
elitäres Minderheitenprogramm, überteuerte Seniorenunterhaltung,
verstaubter Kulturschrott, hört man aus den Etagen der jungen,
wilden Rechner. Wie kann man dem qualitätvoll begegnen? Wie
macht man den Finanzinspektoren und den Betriebswirtschaftlern
klar, dass Oper was anderes ist als ein Fußballstadion?
Altenhof: Wir reden schon wieder
fast nur noch über das Geld.
Wir starren auf den Euro und den Finanzsenator wie das Kaninchen
auf die Schlange. Die Frage muss doch lauten: Wie wird das, was
auf der Bühne geschieht, wieder das Hauptthema? Was gibt es
da von der Künstlerseite zu tun, dass hier nicht ständig
Oper mit Problem, mit Krise, mit zu wenig Geld zu tun hat? Sie
hat viel mehr mit Leidenschaft, mit Erlebnis zu tun. Die Neuköllner
Oper wollte vor 30 Jahren auch niemand haben. Wir haben uns unseren
Platz erspielt. Wir haben den Bedarf geschaffen, und zwar durch
das, was auf der Bühne geschehen ist und weiterhin auch geschieht.
Dafür ist Berlin genau die richtige Stadt.
Grütters: Der Bund hat übrigens 50 Millionen Euro bereitgestellt
zur Sanierung der Staatsoper, 30 Millionen kommen aus privater
Hand, und da ist es absolut unbegreiflich, dass Berlin auch da
wieder bockig sagt: „Aber unsere 50 Millionen geben wir nicht.“ Ich
kann mir nicht vorstellen, dass der Bund ein Opernhaus betreiben
möchte. Er würde damit eine Lawine in den übrigen
Bundesländern lostreten. Aber man kann natürlich indirekt
das Land Berlin erneut im Kulturhaushalt entlasten. Stichwort:
Gedenkstätten, Mauerkonzept. Wenn da eine finanzielle Entlastung
geschähe, könnte Berlin das Geld in die Opern investieren.
Ich hoffe nur, dass sie das dann im Gegensatz zu früher auch
tun.
Geißler: Dennoch: Ist es
nicht so, dass sich die Institution Oper selbst auch immer wieder
fragen muss:
Was kann ich tun, damit
die Bürger, die mich irgendwann einmal geschaffen haben, damit
sie mich verstehen, damit sie mich mögen?
Harms: Hier kommen natürlich Hunderttausend von Besuchern
leidenschaftlich gern in die Oper. Was wir tun müssen, ist,
die Kunstform immer wieder zu erneuern, aktuell sein, aufregend
sein und in einem finanziell unabhängigen Rahmen darüber
nachdenken, was die Gesellschaft verändert.
Wir haben es ja
in diesem Land erlebt, was es bedeutet, wenn die Kunst nicht frei
ist, wenn sie staatlich missbraucht wird.
Diese
geistigen Freiräume hat man ja nach dem Krieg als Erstes finanziert,
um verborgene Qualitäten und moralische Kräfte wieder
sichtbar zu machen. Ich habe den Regierenden Bürgermeister
und die Verantwortlichen anders erlebt. Ich habe vor allen Dingen
die Botschaft bekommen, dass sie diesen Bereich zur Chefsache machen,
damit in Kürze Ruhe eintritt und eine Perspektive existiert,
die drei Häuser künstlerisch unabhängig erhält.
Es ist nicht unrealistisch, dass man sich an einen Tisch setzt
und eine Lösung findet, wie man, zum Beispiel was die Deutsche
Oper Berlin betrifft, nicht noch weitere drei Millionen Euro absenken
muss.
Im
Netz unter taktlos
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