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Inszenieren ohne zu interpretieren
„Tristan und Isolde“ in Essen · Von Frank
Kämpfer
Die Bühne auf der Bühne ist klein, clean, quadratisch
und sie zieht den Blick in eine seltsame Männer-WG. Sind es
Trinker, die darin torkeln, sind es Geißler, die sich selbst
Schmerzen zufügen? Sind Tristan und Kurwenal womöglich
ein Paar? Zumindest Letzteres sind sie offenbar nicht. Denn wenn
der Knappe den matten Helden ungeschickt raubeinig herzt und ihm
die naturalistisch nässende Wunde vernäht, ist von der
Sehnsucht nach Isolden die Rede, gilt der Wechselgesang deren noch
immer nicht nahendem Schiff. Verbal steigt Erinnerung auf, und
Tristan, die männliche Titelfigur, setzt in einer Art Selbstanalyse
das Mosaik seiner Herkunft zusammen. Sängerdarsteller Jeffrey
Dowd indes zappelt dabei im fleckigen Dress wie ein Anstaltsinsasse,
dem Gespenster erscheinen – er springt aus der gleißenden
Box hinab zwischen Pappmaché-Schafe, er krabbelt, windet
sich, zuckt und … stirbt in Isoldens doch noch Erlösung
gewährendem Arm.
Das Essener Publikum applaudiert ohne jedwedes Buh, das Feuilleton
hält sich zurück. Für den szenischen Part steht
im Aalto-Theater immerhin Barrie Kosky – ein Theateraufsteiger
der jüngeren Generation, der dem Regieberuf offenkundig die
Arbeit des Interpretierens abzieht. Handelt es sich um einen Einspar-Effekt?
Das läge immerhin nahe, zumal Bühnenbildner Klaus Grünberg
die Bühne auf ein Quadrat von ungefähr drei mal drei
Meter verkürzt. Doch dies bringt nur ein zweites Problem:
Ungeführte Sänger-Gesten geraten in solch räumlicher
Enge deutlich zu groß und ergeben zudem wenig Sinn. Dass
aber der Widerspruch zwischen Bühne, Gesang, Musik und mimisch-gestischem
Spiel auf den ganzen Abend bezogen eine tiefere, das Ganze erhellende
Absicht verbirgt, hofft man fünf Stunden leider vergebens.
Am Anfang immerhin ist man in Essen auf vieles, sogar auf eine
Neusicht des Stückes gefasst. So unangestrengt schnörkellos
beginnt GMD Stefan Soltesz im Graben, dass das Komponierte sofort
zu sprechen beginnt, transparent bleibt und manche Einsicht gewährt.
Verfremdet dann begegnet Bild eins: Das Schiff, mit dem Tristan
Isolde zu Marke heimfährt, ist zur engen Schiffskabine im
Ambiente der 30er-Jahre verkleinert. Evelyn Herlitzius referiert
die Geschichte der weiblichen Titelfigur darin mit Intensität
und großer Stimme; Kurwenal (Heiko Trinsinger, sängerisch
fehlbesetzt) vergewaltigt dicht daneben Brangäne (Ildiko Szönyi),
sie ihrerseits vertauscht die Getränke für Liebe und
Tod.
Aus dieser Verdichtung der Bilder könnte sich alles im Werk
Angelegte entfalten: das Drama um die Sehnsucht des Menschen nach
Ganzheit, die Unerfüllbarkeit zwischen den Idealtypen beider
Geschlechter, die Entfremdung des Menschen in Männergefügen
aus Herrschaft und Macht. Der Regisseur jedoch überlässt
die Bühne dem Bühnenbildner. Der wiederum hat die zwei
Titelgestalten im zweiten, szenisch reichlich statischen Akt in
einen Würfel gesperrt, der permanent und langsam um eine vertikale
Achse rotiert. Derweil sich darin der Fußboden hebt, die
Wand, dann die Decke und dann die andere Wand zur Standfläche
werden, sind Isolde und Tristan beschäftigt, Haltung zu wahren – Sänger-Haltung
vor allem. Herlitzius und Dowd haben sich beim Singen gut festzuhalten,
um nicht zu stürzen – nach mehreren Rotationen haben
sich ihre Füße und Hände entsprechend der Statik
sortiert. Zusätzliches szenisches Spiel, das ist klar, ist
nicht zu leisten. Und anders als Dieter Dorn Ende der 80er in Bayreuth,
aus dessen „Fliegendem Holländer“ die hier beschriebene
Bildlösung ursächlich stammt und auch kräftig zitiert,
wenn nicht gar nachgeformt ist – anders als Dorn verzichtet
Kosky bei seinem Essener „Tristan“ denn nun auch gänzlich
darauf, hier eine Botschaft zu vermitteln, die mehr als das Gezeigte
enthält.
Doch das stimmt so nicht ganz. Dank Barrie Kosky replizieren die
Sänger im neuen Essener „Tristan“ immerhin doch,
was Wagners Szenenanweisungen an der Oberfläche erzählen.
Das ergibt, was auch heute noch zum Normalen, Gewohnten gehört:
Zum Beispiel, dass ein Mann eine Frau sexuell nötigen darf
und dass darauf kein Einspruch erfolgt; dass ein König einen
Helden nach Belieben demütigen kann; dass Isolde – welch
sinnloses Opfer – sich dem verstorbenen Tristan beigeben
muss. Das utopische Potenzial des Werkes kommt ob dieser gestrigen
Art, „werktreu“ zu sein, schlechthin nicht zum Tragen.
Wer zuhören kann, dem bleibt allerdings, wahrzunehmen, wie
und was die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz engagiert
und beredt musizieren. Mit Evelyn Herlitzius haben sie immerhin
eine relevante Solistin dafür.
Frank Kämpfer |