Ein Tarifvertrag regelt bekanntlich die jeweiligen
Mindest-Arbeits- und Entgeltbedingungen, die in den Einzel-Arbeitsverträgen
tarifgebundener Beschäftigter nicht unterschritten werden dürfen.
Tarifverträge werden zwischen den so genannten Koalitionen,
also tariffähigen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen
ausgehandelt und von ihnen abgeschlossen. Es gibt Flächentarifverträge,
die für die Branche oder für einen bestimmten Personenkreis
innerhalb eines geographisch oder politisch definierten Gebiets
gelten. So bestimmt der Paragraph 1 des Normalvertrages Bühne,
für wen er gilt (persönlicher Geltungsbereich) und wo
er gilt (räumlicher Geltungsbereich): für Solomitglieder
und Bühnentechniker sowie Opernchor- und Tanzgruppenmitglieder
an von Gebietskörperschaften getragenen Bühnen innerhalb
der Bundesrepublik Deutschland.
Daneben gibt es Haus- oder Firmentarifverträge.
Ihr räumlicher Geltungsbereich ist aufeine Firma oder auf einen
Konzern beschränkt. Haustarifverträge existieren beispielsweise
für die Orchester und Chöre der ARD-Rundfunkanstalten.
Seit einigen Jahren werden jedoch bundesweit Haustarifverträge
einer neuen Qualität abgeschlossen: Verträge,
die innerhalb eines geltenden Flächentarifvertrags von dessen
Regelungen abweichen, meist mit für die Beschäftigten
ungünstigeren Regelungen insbesondere in den Bereichen der
Arbeitszeiten und/oder des Entgelts. Die Ermächtigung zum Abschluss
solcher Haustarifverträge kann auf dem Einvernehmen der für
den Flächentarifvertrag zuständigen Tarifparteien oder
auf einer entsprechenden Öffnungsklausel im Flächentarifvertrag
selbst basieren. Die Beispiele für derartige „Haustarifverträge
neuer Qualität“ sind Legion: im Handel bei Kaufhauskonzernen,
in der Automobilindustrie, im öffentlichen Dienst.
Für die Gewerkschaften sind die Gründe,
sich auf Verträge mit ungünstigeren Bedingungen einzulassen,
fast immer die gleichen: In Betrieben, die weshalb auch immer in
wirtschaftliche Krisen geraten sind, soll Arbeitsplatzabbau, womöglich
drohende Schließung verhindert werden.
Wenn die VdO in Abstimmung mit ihren Mitgliedern
und ihrem Bundestarifausschuss
sowie gemeinsam mit den anderen an den Theatern vertretenen Gewerkschaften
an nicht weniger als 27 Musiktheatern über Haustarifverträge
verhandelt oder sie bereits abgeschlossen hat, widerspiegelt das
die finanzielle Situation dieser Bühnen und ihrer betriebszuschussgebenden
Rechtsträger ebenso wie das auch kulturpolitische Verantwortungsbewusstsein
der Belegschaften. Inhaltlich ähneln sich all diese Verträge:
Mit dem Verzicht auf Einmalzahlungen wie Zuwendung oder Urlaubsgeld
erkaufen sich die Beschäftigten den Bestand ihrer Ensembles
und den Schutz vor betriebsbedingten Nichtverlängerungen/Kündigungen,
erhalten zudem einen gewissen Ausgleich in zusätzlicher Freizeit.
Verrückter, doch durchaus positiver Nebeneffekt ist es, dass
die Belegschaft in das wirtschaftliche Gebaren ihrer Bühne
stärker eingebunden wird, da das Theater zur Begründung
seiner Verzichtsforderungen seinen Haushalt offen legen muss.
Dienten die Haustarifverträge anfangs dazu,
scheinbar zeitlich begrenzte Engpässe zu überbrücken
oder bei gedeckelten Haushalten die Personal- und Sachkostensteigerungen
abzufangen, so droht jetzt eine Abwärtsspirale. Zum einen ist
in den von Steuerausfällen und hoher Verschuldung besonders
betroffenen Kommunen und Ländern eine Besserung der Lage nicht
in Sicht, so dass der Haustarifvertrag mit zunehmend schmerzlicheren
Einschnitten zum Dauerzustand zu werden droht, zum anderen gerät
der den Beschäftigten in Technik und Verwaltung aufgrund des
„Tarifvertrages über die soziale Absicherung“ im
öffentlichen Dienst zustehende Freizeitausgleich in Konflikt
mit der Aufrechterhaltung des Spielbetriebs. Gefährlichste
Folge der Solidarbereitschaft der Beschäftigten ist es jedoch,
bei den Zuschussgebern den Eindruck entstehen zu lassen, Theater
sei bei gleicher Qualität auch billiger zu haben. Sparbegehrlichkeiten
werden dort wach, wo sie nicht gerechtfertigt sind.
Überall dort, wo mangelnde Kulturkompetenz und institutionelles
Unvermögen mehr als
der Mangel an öffentlichen Mitteln Einsparungsforderungen laut
werden lassen, wird sorgfältig zu prüfen und zu überlegen
sein, ob die Bereitschaft zu haustarifvertraglichen Verzichtsleistungen
nicht den sich abzeichnenden Veränderungen im gesellschaftlichen
Wertegefüge willig Vorschub leistet.
Ihr Stefan Meuschel
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