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Von Zusammenhängen und ihrem Verschwinden

Drei Publikationen zur Geschichte des Musiktheaters

Das Experiment als Ausgangs- und Endpunkt einer Gattung: Könnte so ein die Gattungsgeschichte der Oper umreißender Essay in, sagen wir, 100 Jahren überschrieben sein? Wer weiß, aber wahrscheinlich erweisen sich in der Rückschau die Auflösungserscheinungen, die Katja Schneider und Frieder Reininghaus am Schluss ihres Sammelbandes als „Furie des Verschwindens“ apostrophieren, lediglich als eine Tendenz unter anderen innerhalb einer erstaunlich vitalen Gattung.

Der Gegenstand dieses in der Reihe „Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert“ erschienenen Bandes, den die Herausgeber mit dem Begriff „Experimentelles Musik- und Tanztheater“ zu umreißen versuchen, entzieht sich wahrscheinlich von vornherein dem handbuch-typischen rubrizierenden Zugriff. Dennoch muss der Versuch, dem Verschwinden eines roten Fadens, eines im engeren Sinne gattungsgeschichtlichen Zusammenhangs innerhalb dieses ohnehin nicht klar abgrenzbaren Repertoires von Strawinsky bis Klaus Lang durch eine extreme Aufsplitterung der Materie gerecht zu werden, wohl als gescheitert angesehen werden. Zu unterschiedlich sind die unzähligen Einzelbetrachtungen der über 40 Autorinnen und Autoren zu Werken, Komponisten oder Tänzern; zu selten wird die Möglichkeit genutzt, durch Querverweise auf bestehende oder wenigstens diskussionswürdige Verbindungen zwischen den verschiedenen Strömungen, auf Tendenzen oder längerfristige ästhetische Entwicklungen hinzuweisen.

Beispielsweise hätte es sich im Rahmen des Aufsatzes zu den „Maschinentänzen“ und anderen konstruktivistischen Experimenten in der Sowjetunion angeboten, Massines Ballett „Le pas d’acier“ zur Musik Prokofieffs mit einzubeziehen. Und die getrennten Abschnitte zu Salvatore Sciarrino wären ebenso aufeinander zu beziehen gewesen, wie man von einer ersten Erwähnung der Landowski-Oper „Galina“ problemlos auf den späteren längeren Absatz hätte verweisen können.

Schade außerdem, dass die Kategorie des Experimentellen selbst kaum diskutiert wird. Reflexionen wie die von Peter Rummenhöller, der offen darüber nachdenkt, was an Bergs „Wozzeck“ denn experimentell sein könnte, sind da die Ausnahme.

Dass die Qualität der Beiträge starken Schwankungen unterworfen ist, liegt in der Natur solcher Unternehmungen. Neben sehr klaren und nützlichen Abhandlungen etwa zu Janácek, zum Phänomen der Kammeroper oder zu Zimmermanns „Soldaten“ stehen vielfach solche, die eher wie angereicherte Feuilletontexte zu bestimmten Inszenierungen wirken, oder deren Funktionen innerhalb des Gesamtwerks sich nicht recht erschließen.

Insgesamt ist dies jedoch ein Scheitern auf hohem Niveau, so dass der Band, wenn schon nicht als Orientierung für Neugierige, so doch als Anregung für Eingeweihte seine Leserschaft finden dürfte.

Ein völlig anderes Bild ergibt sich naturgemäß für den ebenfalls bei Laaber erschienenen Band zum 17. Jahrhundert in der Handbuchreihe zur Operngeschichte. Silke Leopold hat den Schöpfungsmythos, der die Gattung gerne umgibt, gründlich auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt. Akribisch führt sie jene Stränge aus Elementen der religiösen Repräsentationsmusik der Commedia dell’arte oder der Florentiner Intermedientradition zusammen, die den Nährboden für die vielgestaltigen Anfänge der Gattung bildeten, und rückt mit nüchterner Klarheit dem hartnäckig sich haltenden Nebel rund um die Geburt der Oper aus dem Geist der griechischen Tragödie zu Leibe.

Auch im weiteren Verlauf bekommt die ausgewiesene Kennerin die Materie durch eine plausible thematische Bündelung bestens in den Griff. Nicht nur die italienischen Zentren der Opernpflege, auch einzelne Stoffgruppen wie die aus Mythologie oder religiösen Themen gespeisten Werke treten in den Fokus der Betrachtung, ehe auf die Entwicklungen in Frankreich, England und im deutschsprachigen Raum eingegangen wird. Immer wieder konkretisiert die Autorin dabei ihre Thesen an exemplarischen Analysen von Operntexten und deren musikalischer Umsetzung. Lebendige Musikgeschichtsschreibung an einem faszinierenden Gegenstand. Hochinteressant wäre freilich noch ein Kapitel zur Aufführungspraxis dieses Repertoires gewesen, das durch Originalklang-Spezialisten gerade in den letzten Jahren eine breitere Zuhörerschicht erreicht hat. Gerade die am Ende des Bandes im Blickpunkt stehende letzte Oper Alessandro Scarlattis „Griselda“, die erst kürzlich eine fulminante Einspielung durch René Jacobs erfuhr, hätte sich hier als Exempel angeboten.

Wer den Blick gerne auch nach Spanien gerichtet gesehen hätte, wird in einer anderen Publikation fündig, die allerdings dort beginnt, wo Silke Leopolds Darstellung endet. Rainer Kleinertz erhellt mit großer Anschaulichkeit, wie das spanische Musiktheater im 18. Jahrhundert einen eigenständigen Weg zwischen den nationalen Traditionen des Sprechtheaters und der Zarzuela auf der einen und den italienischen Gattungsausprägungen auf der anderen Seite gefunden hat. Gleichzeitig zeigt er eindrucksvoll die politischen Funktionen auf, die der Gattung in den wechselvollen dynastischen Konstellationen zukamen. Ein bisher weißer Fleck auf der Landkarte der Musikhistorie – hier hat er Farbe und Kontur bekommen.

Juan Martin Koch

  • Experimentelles Musik- und Tanztheater, hg. von F. Reininghaus und K. Schneider, Laaber Verlag 2004, 391 S., € 98,- ISBN 3-89007-427-8
  • Silke Leopold: Die Oper im 17. Jahrhundert, Laaber Verlag 2004, 344 S., € 108,- ISBN 3-89007-134-1
  • Rainer Kleinertz: Grundzüge des spanischen Musiktheaters im 18. Jahrhundert, Edition Reichenberger, Kassel 2003, 2 Bde., 339/328 Seiten, € 89,- ISBN 3-935004-74-5

 

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