Nach allen vorausgegangenen Diskussionen, ob man das darf oder nicht, und dem damit verbundenen Presserummel ging es bei der Premiere beinahe ruhig zu : Einhellige Zustimmung vom Publikum für eine rundum gelungene Produktion mit eher harmlosen und kaum auf der angesprochenen bundespolitischen Ebene – Arbeitslosengeld II – relevanten Protesten. Es mutet schon absurd, erschreckend und in einer spezifischen Weise genial zugleich an, wenn da neben dem Protest gegen die Abschaffung des Mensa-Faschings und anderen vor allem ein Transparent auffällt: „Gegen politischen Missbrauch von Kunst“. Ob sich die zum öffentlichen Protest eingeladenen Weimarer dessen bewusst waren oder nicht: „Fidelio“ ist in seiner Rezeptionsgeschichte wahrscheinlich das Beispiel für politischen Missbrauch von Kunst überhaupt. Und genau dieses Faktum scheint in das Finale der bis ins letzte spannenden Inszenierung von Thilo Reinhardt eingeflossen zu sein, der nicht nur konsequent alle Glorifizierung und das ohnehin problematische Happyend verweigert, sondern zeigt, wie der Sieg der scheinbaren Freiheit gleich von den Befreiern korrumpiert, der Einzelne uniformisiert oder überrollt wird. Indem man sich in Weimar für die Urfassung des „Fidelio“ aus dem Jahre 1805 entschied, entschied man sich auch für in jeder Hinsicht sehr viel ambivalentere Charaktere. Und was da manchem mit Sicherheit musikalisch sehr ungewöhnlich vorkommt, ist eine Herausforderung für alle Beteiligten, die hier bestens bewältigt wird. Nachdem die zugehörige 2. Leonoren-Ouvertüre mit etwas klapprigen Streichern und einem nicht ganz so großen Spannungsbogen weniger überzeugte, war alles was man danach von der Staatskapelle unter Martin Hoff zu hören bekam, faszinierend, spannend und außerordentlich ausgewogen – und auch hier fordert die Urfassung die „Sinfoniker“ im Graben mächtig! Keinerlei Abstriche brauchte man auch im Sängerensemble zu machen! Ein großes Plus dieses Abends: Reinhardt verzichtet auf die mühsamen Dialoge und schafft Tableaus, Momentaufnahmen: Bilder wie Leonores Vision des Gefangenenchores, der gleichzeitig das Bild von der Gaskammer wie Hieronymus Bosch zu zitieren scheint und in dem surrealistischen Kontrast der kleinen Menschen und der riesigen Tür mit ihrer unerreichbaren Klinke die Ausweglosigkeit schlechthin beschwört, ist zutiefst beeindruckend und bleibend. Noch dazu, wenn das Ganze mit solch szenisch-musikalischer Geschlossenheit einhergeht . Dazu trägt ein Klangbild bei wie das der quasi unsichtbar singenden, von Andreas Korn exzellent einstudierten Herren des Opernchores des Nationaltheaters und des Philharmonischen Chores Weimar. Das ist ebenso bleibend wie die Frage: Inwieweit kann Leonore ihr Ziel erreichen, ohne sich der Brutalität ihrer Umwelt anzupassen? Und wie gefangen sind die nicht offiziell Gefangenen? Das Bühnenbild von Paul Zoller – gleichermaßen konkret wie Seelenraum – in seiner erstaunlich erdrückenden Weite und die nicht aufdringlich modernen Kostüme von Katharina Montag verstärken dieses Bild. All das überzeugt vor allem in seiner Konsequenz, in der Geschlossenheit dieses Eindrucks. In einer wirklich grandiosen Personenregie schwankt Erin Caves als stimmlich sicherer und bewegender Florestan zwischen Wahnsinn, Widerruf, Kampf und Aufgabe, ist Catherine Foster eine gespaltene, nicht an sich politisch handelnde Leonore, die den kolossalen Anforderungen dieser Partie mehr als gewachsen ist. Figuren wie Christoph Stephingers Rocco und Stephen Owens Pizzaro gewinnen an Schärfe und bedrohlichem Potential und die Marzelline von Heike Porstein und der Jaquino von Frieder Aurich an dramaturgischer Funktion über die Singspielebene hinaus. Kein Missbrauch von Kunst, aber ein Stück gegen jede Form des Missbrauchs von Idealen: zum Beispiel eines Begriffs wie „Freiheit“. Tatjana Böhme-Mehner |
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