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Ballettkunst in Zeiten des Sparens
Ein Porträt des Augsburger Ballett-Chefs Jochen Heckmann
· Von Malve Gradinger
Ballett und Tanz, jeder weiß es, ist die zur Zeit am stärksten
bedrohte Sparte. Und da sind vor allem die Tanzchefs an den mittleren
und kleinen Theatern die wahren Helden unserer Sparkurs-Ära.
Jochen Heckmann, seit 1999 am Theater Augsburg, hat soeben, nicht
zuletzt fürs Klassiker-liebende Publikum, „Giselle“
zur Original-Musik von Adolphe Adam zur Premiere gebracht. Seine
an Mats Eks moderner „Giselle“ (1982) orientierte Version
ist sehr klar und dank seiner ausdrucksstarken Tänzer auch
berührend erzählt. Ein runder Erfolg, der vorerst den
Fortbestand des Ballett Augsburg gesichert hat.
„Wenn man einmal das Vertrauen des Publikums hat, dann behält
man es auch“, bilanziert Heckmann seinen harten Kampf in den
vergangenen fünf Jahren. Was die Presse betrifft, so beklagt
er – wohl nicht zu Unrecht – das eher sporadische Beobachten
seiner Arbeit: „Als Stadttheater-Ensemble müssen wir
auch das Abonnement-Publikum bedienen, uns ja auch nach dem Jahresprogramm
ausrichten. Da ist es natürlich schade, wenn ein Rezensent
gerade eine solche Produktion sieht, in der ich mich künstlerisch
nicht so verwirklichen konnte.“ Dafür bekam Heckmann
andernorts eine Menge Anerkennung: beim britischen Glyndebourne
Opern Festival, wo er an Christof Loys Inszenierung von Glucks „Iphigenie
in Aulis“ beteiligt war, in Lissabon, Prag und Lodz für
seine Gastchoreografien. Und weil er mit seinem Duett „Le
coeur battant“ auf Deutschland-Tournee ging, auch mal überregionale
Presse-Resonanz – auf die ein Tanzchef mit seinen Stadttheater-Produktionen
vergeblich hofft.
Tanz-Netzwerk
Gegen das Vergessenwerden „in der Provinz“ hat Osnabrücks
Tanztheater-Chef Gregor Zöllig die Tanzboden-Galas initiiert.
Wie Heckmann erklärt: „Eine Vereinigung, zu der außer
Zöllig und mir noch Ralf Dörnen in Greifswald gehört,
Henning Paar vom Staatstheater Braunschweig, Mario Schröder
aus Kiel und bis letzte Saison auch Ralf Jaroschinski in Hildesheim.
Wir gastieren regelmäßig an etwa vier Ensemble-losen
Häusern, haben zusätzlich Galas an unseren Theatern. Die
Mitglieder bringen jeweils Ausschnitte aus ihren Saison-Programmen,
um zu zeigen, dass unsere Arbeiten die Vielseitigkeit der deutschen
Tanzlandschaft ausmachen – und dass wir eben nicht einfach
so weg zu rationalisieren sind. Es ist ein richtiges Netzwerk entstanden.
Wir sind alle Mitte 30 bis Mitte 40, eine junge Choreografen-Generation,
die ihr eigene Sprache entwickelt hat. Es bestehen keine Eifersüchteleien.
Im Gegenteil, wir tauschen uns aus, auch choreografisch. Dadurch
hat unser Publikum die Chance zu sehen, was an anderen Theatern
in Deutschland passiert.“
Überlebensstrategien
Heckmann selbst bringt pro Saison drei Abende heraus, gezielt
ausbalanciert zwischen abstrakten Drei- und Vierteilern, tanztheater-nahen
Stücken und Handlungsballetten, die natürlich aufwendiger
sind. Nach einer modernen „Cinderella“ 2002 und der
abendfüllenden „La Pasión“ im Februar 2004
muss der Tanzchef auf die ausgesprochen stilvoll ausgestattete „Giselle“
– die aparten Kostüme stammen übrigens von der Titel-Interpretin
Adriana Mortelliti, – hin gespart haben. Denn: „Das
Budget ist seit 1999 zwar gleichgeblieben. Aber es war von vornherein
so niedrig angesetzt, dass bei einer Generalkürzung von fünf
Prozent gleich Gastlehrer oder Gast-Tänzer gestrichen werden.“
Bei nur 13 Ensemble-Mitgliedern sind Gäste in Abendfüllern
wie „Giselle“ jedoch unabdingbar. Im Notfall, auch bei
Krankheitsfällen, tanzt der Chef dann selbst die Partie. Knallharte
Überlebensstrategien, erworben in seiner freischaffenden Phase.
Als Sohn aus einer Kunstturner-Familie beginnt Heckmann erst nach
dem Abitur, lediglich mit Hobby-Kenntnissen in Gesellschafts- und
Jazztanz, eine richtige Tanzausbildung. Auf ein Stipendiumsangebot
von Solange Golovine, Schwester des berühmten Ballerino Serge
Golovine, die nach ihrer Tanzlaufbahn zu den maßgeblichen
Ballett-Pädagoginnen in Paris gehörte, studiert er bei
ihr zwei Jahre, parallel bei der Pariser Modern-Dance-Koryphäe
Peter Goss. Dass Heckmann übrigens Klassik und Moderne glänzend
zu einer Synthese bringen kann, zeigt sich gerade wieder in seiner
„Giselle“.
Zurück zum Theater
Nach vielfältigen Tänzer-Erfahrungen, unter anderem
bei Richard Wherlock in Hagen, macht Heckmann sich selbstständig
als Gasttrainer, Dozent, Workshopleiter und mit seiner 1995 in Zürich
gegründeten eigenen Looping Contemporary Dance Company. „Ohne
Ahnung von wirtschaftlichen Dingen“, blickt er nochmal zurück.
„Diese vier Züricher Lehrjahre haben mir dann für
Augsburg in Sachen Management sehr geholfen – besonders in
der heutigen Sparsituation.“ Die er jedoch gerne in Kauf nimmt:
„Mir wurde in Zürich klar, dass ich die Voraussetzungen
für eine Repertoire-Company mit guten Tänzern –
ich hatte ja viele ehemalige vom Züricher Opernhaus, die zum
Teil mit mir nach Augsburg gingen – nur an einem Theater finden
würde.“
Malve Gradinger
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