Die für effektvolle, vielfarbige und emotionsgeladene Tanzaufführungen bekannte Choreographin Sasha Waltz „will nicht nur über die Sänger die Geschichte erzählen, sondern auch über die Bilder und Gesten, über die ganz eigene Sprache des Tanzes, die die Musik ergänzt. Es ist der Versuch, die verschiedenen Darstellungsebenen zu verschmelzen, ohne dass eine die andere dominiert“. Der Tanz, ungeheuer expressiv in der Einfachheit des Gestus und die Grenzen der Schönheit des menschliches Körpers zugleich auslotend, wurde in Waltz’ Interpretation ein unzerreißbares Element des Werkes. Die Integration des Textes, der Musik und der Bewegung manifestierte sich auf allen (möglichen) Ebenen. Die Solisten, der Chor und die Tänzer bildeten eine plastische Masse, die Waltz in Übereinstimmung mit ihren dramaturgischen Ansprüchen formte. Allerdings versäumte Waltz es, den Helden eindeutig zu charakterisieren. Sie übertrug die Geschichte der Oper auf eine vielfarbige, spannungsvolle allegorische Ebene. Die Künstlerin überraschte mit der ästhetischen Gestaltung der Nymphen im Prolog, die in einem Riesen-Bühnenaquarium zappelnde bis elegant symmetrische Schwimmbewegungen ausführen. Im ersten Akt unterhält Waltz ihr Publikum mit einer collagierten Hofszene und einem triumphalen Marsch. Im zweiten Akt versetzt eine brillante, fast akrobatische Show der Furien und Hexen die Zuschauer in Erstaunen. Schließlich schafft Waltz eine anrührende Abschiedsszene zwischen Dido und Aeneas. Der Choreografin ist es gelungen, eine faszinierende Veranstaltung zu kreieren, die zweifelsohne nicht zuletzt angesichts ihres überreichen, oft frappierenden Angebots an Interpretationsmöglichkeiten lebhafte Diskussionen auslösen wird. Die musikalische Rekonstruktion von „Dido and Aeneas“, die Dirigent Attilo Cremonesi schuf, ist in Musikwissenschaftskreisen auf Vorbehalte und Zweifel gestoßen. Der Künstler verglich die Partitur von 1750 mit dem Libretto von „Nahum Tate“ aus dem Jahre 1689 und ergänzte die Fragmente durch neu komponierte oder den Werken Purcells entliehene Passagen. Er versuchte, auch den Prolog zu rekonstruieren, was mehr in musikalischer Neuheit denn in ernster historischer Arbeit mündete. Ein diskussionsloser Vorzug seiner Version ist der große Raum, den er tänzerischen Interludien lässt – verträglich übrigens mit der Tradition der „masques“, dem englischen Pendant zur italienischen Oper im 17. Jahrhundert. Schade ist, dass das musikalische Niveau der Akademie für Alte Musik Berlin mit der interessanten Inszenierung nicht Schritt halten konnte. Die Premiere des „Ulysses“ am Vortag unter René Jacobs zeigte da lebendigere Klänge, die musikalische Erzählweise wirkte intensiver. Aurore Ugolin, die den Part der Dido übernommen hatte, vermochte nur wenig in der gewiss schwierigen Rolle als Sängerin und Tänzerin zu überzeugen: Nervosität, unsauberer Gesang und ein unzureichendes Aufgehen in der szenischen Wirklichkeit verhinderten dies. Besser fiel da ihr Partner, Reuben Willcox, auf, obwohl auch er keine ausgesprochene Rollen-Kreation schaffte. Dagegen findet sich Fabrice Mantegna wunderbar in der Rolle der Zauberin wieder – als groteske Person, die voller Boshaftigkeit ihre Fäden in komplizierten menschlichen Schicksalen spinnt, amüsiert und zugleich entsetzt. Bemerkenswert in ihren künstlerischen Leistungen waren das Vocalconsort Berlin, das nicht nur sängerisch, sondern auch tänzerisch gefordert war und in dieser Doppelfunktion überzeugte, sowie die Tänzer/innen der Sasha Waltz-Truppe – unter anderem Clementine Deluy, Michal Mualem, Virgis Puodziunas, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola und Xuan Shi. Dank diesen Künstlern bekam das Publikum eine ansehnliche Dosis ästhetischen Begeisterungstaumels und künstlerischer Rührung. Daniel Cichy
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