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Editorial

Vermutlich klingelten nicht nur bei der VdO die Telefone, als die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am Nachmittag des 19. Januar die unter das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes fallenden Beschäftigten der Bayerischen Staatsoper zu einem Warnstreik aufrief. Es war eine kurze, knapp zweistündige Arbeitsniederlegung, die Kent Nagano nicht daran hindern sollte, pünktlich um 19 Uhr mit seinem Dirigat des „Billy Budd“ zu beginnen – ein „Warn“-Streik eben, ein Signal.
Dürfen die überhaupt streiken?“, wurde gefragt. „Ja!“, musste die Antwort lauten. Denn der Freistaat Bayern, Rechtsträger der Staatsoper, hat gemeinsam mit der TdL, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Tarifverträge über Arbeitszeit, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekündigt mit der Folge, dass neu eingestellte Beschäftigte seit September 2004 reduzierte Einmalzahlungen und eine von 38,5 auf 40 bis 42 Stunden verlängerte Wochenarbeitszeit in ihren Arbeitsverträgen hinnehmen müssen.

   

Stefan Meuschel

 

„Dürfen auch wir streiken?“, fragten diejenigen, für die der Künstler-Tarifvertrag NV Bühne gilt. „Nein!“, musste die Antwort lauten. Denn der NV Bühne ist nicht gekündigt, es besteht Friedenspflicht. Und Friedenspflicht besteht auch für alle Beschäftigten der kommunalen Theater von Aachen bis Plauen-Zwickau. Die Warnung ver.dis gilt nur den Ländern, den Staatstheatern.

Noch die Lohn- und die Gehaltstarifverträge für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vom 15. Januar 2003 waren von der Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes, von Bund, TdL und von der VKA, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände gemeinsam abgeschlossen worden. Innerhalb ihrer Laufzeit bis zum 31. Januar 2005 sollte eine „Neugestaltung des Tarifrechts“ erarbeitet werden. Diese „Prozessvereinbarung“ zwischen den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes einerseits, Bund, Ländern und Gemeinden andererseits ist als Kernstück des Tarifabschlusses vom Januar 2003 anzusehen. Immerhin sind gut drei Millionen Beschäftigte unmittelbar, weitere rund vier Millionen mittelbar vom öffentlichen Tarifrecht betroffen.

Ungeachtet dieser gemeinsamen Prozessvereinbarung kündigte die TdL schon im Mai 2003 aufgrund einstimmigen Beschlusses ihrer Mitglieder die Tarifgemeinschaft der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auf mit den Folgen, dass die Länder einzelne Tarifverträge kündigen konnten, dass aber die Gespräche über die grundlegenden Reformen des öffentlichen Tarifrechts ohne Beteiligung der Länder geführt wurden. Die Gewerkschaften fordern eine Rücknahme der Tarifvertragskündigungen als Voraussetzung für das Einbeziehen der Länder in die Ergebnisse der Prozessvereinbarung, über die abschließende Verhandlungen Anfang Februar stattfinden sollen. Dass Baden-Württemberg und Bayern damit drohen, die TdL zu verlassen, dass Hessen und Berlin der TdL nicht mehr angehören, Berlin auch aus der VKA ausgeschieden ist, zeigt, wie verfahren die Lage angesichts der Überschuldung der öffentlichen Haushalte und angesichts der daraus resultierenden Bewegungsunfähigkeit der Politik ist.

Einer Reform des Tarifrechts im öffentlichen Dienst können die Tarifparteien
der Künstler-Tarifverträge gefasst entgegensehen; eine Zersplitterung des Tarifrechts aber hätte mittelbar auch gefährdende Auswirkungen auf das Bühnenrecht. Die Anstrengungen von ver.di und der übrigen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, das Tarifrecht einerseits zu modernisieren, andererseits in seinen Grundzügen als ein einheitliches zu erhalten, verdienen Sympathie und Unterstützung.

Ihr Stefan Meuschel

 

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