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Die Zukunft im Auge
Jessica Iwansons Schule für zeitgenössischen Tanz in
München · Von Vesna Mlakar
Nein, das Alter sieht man ihr nicht an. Selbst im Sitzen geht eine
Dynamik von ihrem Körper aus, die fesselt – ebenso wie
der Blick ihrer lebhaften Augen. Mit ihren 56 Jahren ist die schwedische
Tänzerin und Choreografin Jessica Iwanson keiner Routine erlegen,
und selbst wenn es um das Jubiläum ihrer eigenen Tanzschule
geht, interessiert sie sich mehr für die Zukunft als für
die Vergangenheit. Natürlich gab es Probleme und die Leitung
einer Schule – wir sprechen hier immerhin von einem der größten
europäischen Ausbildungsinstitute für zeitgenössischen
Tanz in privater Hand – verlangt immer Gratwanderungen, die
ein gewisses Risiko nicht ausschließen. Doch „die Iwanson“,
wie sie von allen, die sie nicht mit Vornamen ansprechen, genannt
wird, ist sich in zwei Punkten immer treu geblieben: einerseits
für die professionelle Schulung moderner Bühnentänzer
einzustehen und gleichzeitig die eigenen kreativen Kräfte nicht
welken zu lassen.
Oper&Tanz: Waren die zwei Faktoren, eigene Stücke
aufführen zu wollen und dafür gute Tänzer zu brauchen,
auch ausschlaggebend für die Gründung Ihres eigenen Dance
Centers?
Jessica Iwanson: Ja. Als ich 1973 nach München kam,
war der Modern Dance hier totales Neuland. Ich hatte in Schweden
an der Ballettakademie studiert, und dort waren sie damals sehr
fortschrittlich. Wir hatten Jazz und Modern. Das Klassische war
nicht so meine Sache, obwohl ich das auch hätte machen können.
Aber es war mir zu gebunden. Mit 16 habe ich dann die ersten eigenen
Stücke choreografiert, die sehr gut ankamen.
Oper&Tanz: Wobei Sie das klassische Ballett ja nicht
ganz ablehnen...
Iwanson: Ich sehe keinen Konflikt zwischen Modern und
Ballett. Die Klassik gehört auf jeden Fall mit zur Ausbildung.
Nur glaube ich, dass es wichtig ist, beides gleichzeitig zu lernen.
Beginnt man mit einer reinen Ballettausbildung, ist es hinterher
schwierig, wieder davon loszukommen. Das ist auch mein Prinzip
im Unterricht mit Kindern. Es ist wesentlich besser, wenn sie
erst die Dynamik des Tanzens lernen und die Form später.
Oper&Tanz: Sie waren bei einer schwedischen Compagnie
engagiert, bevor Sie weitere Studien nach Paris und New York führten,
wo Sie mit Legenden wie Martha Graham, Alvin Ailey, Birgit Cullberg
und Kathrin Dunham zusammenarbeiteten. In Paris war es Peter Goss,
bei dem Sie tanzten. Wie kam es, dass ausgerechnet München
Anfang der 70er-Jahre zu Ihrer Wahlheimat wurde?
Iwanson: Es gab im „Dance Depot“ bei Bill
Miliés einen sehr populären schwarzen Jazzlehrer,
der tödlich verunglückte. Deshalb wurde dringend eine
Vertretung gesucht und ich folgte dem Angebot. Alles lief sehr
gut und ich begann Modern zu unterrichten. Nach drei Monaten wollte
ich meine eigene Schule eröffnen und eine Compagnie gründen.
Und da es damals nicht so viele Tänzer gab, habe ich sogar
Solisten wie Joyce Cuoco oder Peter Jolesch von der Staatsoper
gefragt, ob sie mitmachen. Cuoco hat dann bei mir unterrichtet.
Seit 30 Jahren nun bestimmt Jessica Iwanson, eine Pionierin des
Modern Dance, die freie, dem klassischen Ballett komplementäre
Tanzszene in München mit. Sei es mit eigenen Werken, als Mitbegründerin
der Münchner Tanztendenz oder als Leiterin der international
renommierten Iwanson-Schule für zeitgenössischen Tanz:
Ihr Name ist wie kein anderer untrennbar mit der Geschichte des
Modern Dance in der Landeshauptstadt verbunden. Tatsächlich
„gibt es im Grunde fast niemanden in der Branche, der nicht
irgendwo seine Wurzeln bei Jessica hätte“, wie ihr Partner
in privaten wie schulischen Dingen, Stefan Sixt, so treffend anmerkt.
Nahezu die Hälfte der städtischen Tanzförderung für
die freie Szene geht an ehemalige Iwanson-Absolventen. Vielleicht
ist das mit ein Grund dafür, dass als attraktive Vision für
das Weiterbestehen der Schule über Iwansons aktive Zeit hinaus
ein Nachfolgemodell ähnlich der Heinz-Bosl-Stiftung (Leitung:
Konstanze Vernon) mit der Stadt München als Gesellschafter
zur Debatte steht.
Aus Privatinitiative gründete Jessica Iwanson 1974 nahe dem
Gärtnerplatz das „Dance Center München“ als
Ausbildungsschule für Kinder, Laien und Profis. In kürzester
Zeit schnellte die Schülerzahl von 30 auf 300 und mit den besten
unter ihnen konnte Iwanson eine Tanzgruppe zusammenstellen, die
1977 bei den Münchner Kulturtagen auf dem Marienplatz und im
Zirkus Krone erste Erfolge feierte. Seitdem gelang es der sympathisch-ehrgeizigen
Schwedin, ein Unterrichtskonzept zu entwickeln, das die zeitgenössische
Tanzpädagogik im deutschsprachigen Raum bis heute wesentlich
prägt. Und immer wieder schafft sie es als international anerkannte
Choreografin, ihr Publikum zu begeistern. In eine Schublade pressen
lässt sie sich allerdings nicht, was wohl an der Vielseitigkeit
ihrer Themen und einer dem Zeitgeist und seinen Mode-Erscheinungen
oft entgegengesetzten Ästhetik liegt.
Iwanson: Das ist ja eben das Tolle, dass man Geschichten
mit dem Körper erzählen kann, die nicht verbal umsetzbar
sind. Das ist wie Poesie ohne Worte. Man kann im Tanz Gefühle
ausdrücken, wie in keiner anderen Kunstsparte sonst. Meine
Technik dabei ist, loslassen zu können und trotzdem Kraft
von unten – von den Beinen bis zur Körpermitte –
einzusetzen. Dann kann in jede Bewegung, die über dem Kraftzentrum
liegt – also Oberkörper, Arme, Kopf – Ausdruck
gelegt werden. Dieses Pendeln zwischen Spannung und Entspannung
ist Teil meines Stils und wird als Grundstock an der Iwanson-Schule
gelehrt. Ab dem zweiten Jahr arbeiten die Studenten mit Gastdozenten,
die meist selbst Choreografen sind. Der zeitgenössische Tanz
heutzutage hat so viel Facetten – da müssen die Tänzer
alle möglichen Richtungen und Stile beherrschen. Für
die Schule bedeutet das aber keineswegs, nur einem Trend zu folgen,
denn der kann morgen schon wieder vorbei sein!
Trotz zahlreicher Verpflichtungen und Auslandsaufenthalte verliert
Jessica Iwanson niemals die Ziele ihrer Schule aus den Augen. 1979
bezog das „Dance Center Iwanson“ im Westend ein neues
Studio, das – parallel zur wachsenden Nachfrage – bald
um drei weitere Säle vergrößert wurde. Die erste
Generation heute bekannter Tänzer und Choreografen, darunter
Micha Purucker, Andreas Abele, Sabine Glenz (München), Tom
Plischke, Patrick Delcroix (NDT), Katie Champion (DV8) und Barbara
Hampel (Pina Bausch), kann sich längst im Kunstbetrieb behaupten.
Dennoch folgten weitere Umstrukturierungen und 1985 wurde die Ausbildung
für professionelle Tänzer und Pädagogen auf drei
Jahre festgelegt, 1995 um die „Choreografen-Linie“ erweitert.
Bereits drei Jahre zuvor konnte das sich allein aus den Gebühren
der Schüler tragende Unternehmen in das eigens für die
Iwanson-Schule konzipierte Gebäude an der Adi-Maislinger-Straße
umziehen. Dank eingebauter Experimentierbühne haben die jungen
Nachwuchs-Choreografen die Möglichkeit, ihre Stücke vor
Publikum auszuprobierenund in Lecture-Demonstrations Trainingseinheiten
vorzuführen. Zur Zeit sind allein in den einzelnen Ausbildungsjahrgängen
insgesamt 120 Vollzeitschüler eingeschrieben.
Iwanson: Ich bin unglaublich froh, dass jetzt –
nach all den Jahren – einige unserer besten Schüler
als Lehrer an die Schule zurückkehren. Viele sind selbst
choreografisch tätig und so können wir zudem ein Netz
von Kontakten aufbauen, das später wieder den Absolventen
zugute kommt.
Oper&Tanz: Persönlich lassen Sie lieber Erfolge
für sich sprechen, als selbst allzu oft in den Vordergrund
zu treten. Vieles lässt auf eine offene, in Bezug auf die Konkurrenz
sehr positive Atmosphäre schließen. Liegt darin Ihr Geheimnis
für langfristiges Gelingen in Sachen Tanzausbildung?
Iwanson: Ein Fronttyp war ich eigentlich nie. Natürlich
hat es Schwierigkeiten gegeben. Aber ich habe meine Richtung durchgehalten,
ohne zu viel nach der Mode zu gehen und hatte immer das Feeling,
die richtigen Leute und Mitarbeiter zu finden. Egal ob Joyce Cuoco
oder Katja Wachter – wenn ich einen Guten entdecke, habe
ich keine Scheu, einfach anzufragen. Und im Gegensatz zu staatlichen
Schulen können wir in Personalfragen absolut flexibel sein
und Änderungen auch mit den Schülern bereden. Statt
im Alleingang etwas durchzusetzen, ist es wichtig, auf die Leute
zu hören. Schließlich besuchen sie die Kurse und nicht
ich. So erfahre ich, wenn zum Beispiel eine Stunde nicht gut läuft,
und kann rechtzeitig eingreifen.
Vesna Mlakar
Soeben erschien eine Festschrift mit Fotos und zahlreichen Grußworten
und Texten hochrangiger Persönlichkeiten aus Kultur und Politik
zum 30-jährigen Jubiläum. Zu bestellen per E-mail: schule@iwanson.de.
Infos zum offenen Programm der Iwanson-Schule, zu den Studiengängen,
Workshops, Fortbildungskursen und anderem: Tel. 089/760 60 85
oder www.iwanson.de.
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