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Berichte

Verloren im Machtgeflecht

„Lady Macbeth von Mzensk“ an der Komischen Oper · Von Isabel Herzfeld

Als Opernregisseur ist Hans Neuenfels für fantasievolle Provokationen bekannt, die gleichwohl Werktreue bewahren: Legendär wurden in Berlin seine Verdi-Inszenierungen „Rigoletto“ und „Macht des Schicksals“ oder auch seine erstaunliche, Götter- und Familien-Ikonen entthronende Lesart des „Idomeneo“. Doch in Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Komischen Oper erscheint das einstige enfant terrible des Musiktheaters seltsam müde. An der Oper, die mit ihrer Radikalität und Freizügigkeit – ihre Heldin Katerina ist immerhin eine zweifache Mörderin – 1936 Stalins Missfallen erregte und erst knapp 30 Jahre später in der gemäßigten Fassung „Katerina Ismailowa“ wieder auftauchte, interessiert ihn der „feministische Ansatz“: Demnach verwirklicht die Protagonistin ihren legitimen Anspruch auf Liebesglück und erotische Erfüllung. Zweifellos ein Menschenrecht und auch heute immer noch abgestrittenes Frauenrecht. Doch findet Neuenfels dafür keine prägnanten Bilder, beschränkt sich letztlich auf ein sauberes Nacherzählen der Story. Allenfalls liefert er verbale Kommentare: „Ein schönes Weib ohne Zucht ist wie eine Sau mit einem goldenen Ring durch die Nase“, steht auf dem Bühnenvorhang, bevor sich die öffentliche Meinung in Gestalt der Polizei der unglückseligen Gutsherrenfrau bemächtigt. Seht her, sagt das Bibelzitat aus den Sprüchen Salomonis: Damals wie heute galt die freie Frau als Hexe und Hure – das ist zeitlos, archaischer Topos, Naturgesetz.

 
 

Anne Bolstad (Katerina), die Hexen (Daniel Eberle, Pero von Jaduczynski, Sebastian Schiller). Foto: Eggert

 

Die Erkenntnis mag so unrichtig wie banal sein, vor allem aber entkleidet Neuenfels die so in die Zeitlosigkeit versetzte „Tragödien-Satire“ jeglicher Konkretion und Atmosphäre. Denn Schostakowitsch zeigte in seiner Vertonung von Nikolai Ljeskows Erzählung „Lady Macbeth des Mzensker Bezirks“ ja gerade, dass Liebe und Lieblosigkeit Bedingungen unterworfen sind. Der herrschsüchtige Schwiegervater Boris, sein Versager-Sohn Sinowi, die verrohten Arbeiter, unter denen der Proll-Casanova Sergej den Aufstieg über Katerinas Bett versucht – sie alle beziehen ihr Fleisch und Blut, ihre Charakteristik aus ihrer Position im spezifischen gesellschaftlichen Machtgeflecht. Elina Schnizler deutet dies in den Stricken, mit denen sie fast alle ihre Kostüme umschlingt und festzurrt, wenigstens an. Dies ist jedoch die einzige Bildidee, die halbwegs zu einer Interpretation des Stücks beiträgt, wenn auch auf den modisch fließenden Stoffen die glatten Schnüre viel zu schick sind. Eher wie eine Karrierefrau aus „Sex and the City“ denn als unterdrückte Ehefrau turnt die fabelhafte Sängerschauspielerin Anne Bolstad durch die kühle Rechteck-Szenerie von Gisbert Jäkel. Die ist in ihrer Umkleidekabinen-Schäbigkeit ein besonderes Ärgernis, zudem fantasielos und kaum funktional, indem der durch ein riesiges Bett beherrschte Raum von der Außenwelt auf gleicher Ebene gerade mal durch ein loses Gestänge abgeteilt ist. Wenn Boris, dem Jens Larsen die schwarzen Basstöne und die imposante Statur verleiht, lüstern um das „Haus“ schleicht, wenn Ehemann Sinowi (Andreas Conrad) vorzeitig nach Hause kommt und der geliebte Sergej (Jürgen Müller) sich auf der kahlen Bühne partout nicht verstecken lässt, dann wirkt das eher lächerlich als spannungsvoll.

Schade um das stimmlich wie darstellerisch ausgezeichnete Sängerensemble, schade auch um viele gelungene Details. Köstlich das Kaffeetassen- und Pistolenballett der wie aufgestapelt sitzenden Polizisten auf dem Revier, rhythmisch knackig hingelegt vom Chor der Komischen Oper in der Einstudierung von Robert Heimann, auch als unordentlicher Hochzeitschor macht er gute satirische Figur, erinnert darin ein wenig an die Ironie der „Dreigroschenoper“. Hier ist die trostlose Szene stimmig, von der sich nur der Pope knallgelb und sinnenfreudig abhebt. Im letzten Bild jedoch – Katerina und Sergej im sibirischen Straflager – hat das klagende Volk zum Schluss an die Rampe zu treten, um als verzerrt maskierter antiker Chor den Ewigkeitsanspruch zu untermauern. Das ewige Schicksal sollen auch drei triefmäulige, rotschöpfige Hexen darstellen, deren Störaktionen frei nach Shakespeare allzu häufig glaubwürdige Handlung ersetzen.

Was auf der Bühne nicht zu sehen ist, spricht aus der Musik: Gewalt, Gier und Grausamkeit, Leidenschaft und Schmerz, Trost und Hoffnungslosigkeit. Mit Walzerklängen, JazzEinlagen und frommen Choralparodien schneidet sie immer wieder ironische Fratzen. Herrschaft hat bei ihr keine Chance, es lebe die Anarchie. Vassily Sinaisky treibt das Orchester des Hauses zu einer bohrenden, beklemmenden Intensität an, die gleichzeitig hohe Virtuosität bedeutet. Auch die exzessive Urfassung hat man mit solchen in den Leib fahrenden Rhythmen, solch schneidendem Blech und zarten, melancholischen Streichern noch nicht gehört. „Wenn das Elend der Welt nicht zu schildern ist, kann das Genie des Komponisten doch daran erinnern“, schreibt Neuenfels auf den Vorhang. Vielleicht ein Plädoyer für eine konzertante Aufführung?

Isabel Herzfeld


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