Positives vermitteln
Der Mannheimer Chordirektor Bernhard Schneider
Seit Beginn der Spielzeit 2002/03 ist Bernhard Schneider Chordirektor
am Nationaltheater Mannheim. Winfried Knoll, Chorvorstand des Nationaltheaters
Mannheim und Bundesvorsitzender der VdO, sprach für „Oper
& Tanz“ mit dem neuen Chorchef.
Winfried Knoll: Herr Schneider, Sie sind seit Beginn der
Spielzeit 2002/03 Chordirektor am Nationaltheater Mannheim. Erzählen
Sie uns bitte etwas über Ihren bisherigen Berufsweg.
Bernhard Schneider: Geboren bin ich in Wien und bin auch
in der Nähe aufgewachsen. In Wien habe ich auch studiert und
jahrelang dort gearbeitet.
Knoll: Was haben Sie studiert?
Schneider: Als Fünfjähriger habe ich begonnen,
Violine zu lernen. Als Jugendlicher habe ich dann neben dem obligaten
Geige- und Orchesterspiel verschiedene Instrumente eher autodidaktisch
erlernt und verschiedenste Arten von Musik gespielt. Auch Jazz und
Rockmusik.
Knoll: Haben Sie da auch schon gesungen?
Schneider: Nein, noch kaum. Das Interesse für Gesang
kam erst später, während des Studiums. Da ich irgendwann
wusste, dass ich nicht Orchestermusiker werden wollte, begann ich
zunächst ein Jurastudium und genau in dem Moment, da die Musik
nicht mehr so ein zentrales Thema war wie davor, erwachte eine ganz
neue Begeisterung, diesmal aber ausschließlich für die
sogenannte ernste Musik (ein schreckliches Wort) und da gab es dann
auch die erste Berührung mit dem Chorsingen. Schon sehr bald
ging ich wieder auf Hochschule und Konservatorium in Wien und studierte
weiter Violine, auch Klavier und später Orchesterdirigieren.
Das Jurastudium lief nur mehr nebenher, aber mit Müh und Not
habe ich’s noch abgeschlossen. Ich glaube, ich habe keine
Ahnung mehr davon.
Knoll: Wie kamen Sie dazu, Chöre zu leiten?
Schneider: An der Musikhochschule hatte ich Unterricht
in Chorleitung, das hat mich vom ersten Moment an ungemein fasziniert
und gereizt. Ich begann dann im Arnold Schönbergchor unter
Erwin Ortner zu singen. Diese Zeit, die man im Chor beziehungsweise
im Orchester verbringt, ist sehr wichtig, weil man erfährt,
wie so ein Klangkörper von innen „funktioniert“.
Außerdem finde ich, dass Chorsingen ungemein viel Spaß
machen kann, und das versuche ich auch jetzt in meiner Arbeit zu
vermitteln. Das Leiten der Chöre begann ich schrittweise mit
Laien- und später mit Studentenchören, sozusagen von der
Pike auf.
Knoll: Wann kamen Sie zum ersten Mal mit der Arbeit im Theater
in Berührung?
Schneider: Es bildete sich in meiner Studienzeit in Wien
gerade eine Art Off-Szene der Oper, die versuchte Low-Budget Produktionen
auf die Beine zu stellen, hauptsächlich mit Stücken des
20. Jahrhunderts. Da war ich von Anfang an für die Chöre
zuständig. Dann kam noch einmal ein „Ausritt“ in
die Unterhaltungsmusik und ich dirigierte ein Jahr lang Musicals.
Die Arbeit mit den Chören riss aber nicht mehr ab. Und dann
wurde in der Wiener Staatsoper ein Assistent des Chordirektors gesucht,
ich bewarb mich und wurde genommen und war dort die letzen vier
Jahre lang engagiert, zuerst wie gesagt als Assistent, dann als
stellvertretender Chordirektor.
Knoll: Was hat Sie bewogen, von Wien nach Mannheim zu kommen?
Schneider: Für mich bestand der Reiz einfach darin,
gegenüber einer Position als Stellvertreter nunmehr einen Klangkörper
eigenverantwortlich führen zu können, und ich habe diesen
Schritt keine Sekunde bereut. Mannheim ist ein wunderbares Haus
mit einem hervorragenden Chor und einem sehr breiten, interessanten
Repertoire, derzeit vielleicht etwas zu breit.
Knoll: Wie ist dieses Repertoire bewältigbar, wie
sind Ihre ersten Eindrücke?
Schneider: Gewisse Kompromisse muss man in einem Repertoirebetrieb
immer eingehen, natürlich hat man oft nicht die Zeit zur Verfügung,
die man sich wünschen würde um die Premieren wirklich
gut geprobt herauszubringen und daneben das Repertoire und die Folgeaufführungen
nicht zu vernachlässigen. Was den Chor betrifft, so würde
ich sagen, dass in unserem Haus eine maßvolle Reduzierung
des Spielplans nötig wäre, um an einer Verbesserung der
Chorkultur zu arbeiten. Bei einem Chor geht das nun einmal nur mit
Chorsaal- und schließlich auch ausreichenden Bühnenproben.
Die Orchestermusiker sind meist froh, ein möglichst breites
und abwechslungsreiches Repertoire zu spielen, sie müssen ihren
Part aber auch nicht auswendig lernen. Dazu kommt der Umstand, dass
Regisseure, aus welchen Gründen auch immer, oft nicht gewillt
sind, auf die spezifischen musikalischen Erfordernisse des Chorgesangs
einzugehen und szenische Lösungen zu finden, die auch musikalisch
befriedigend realisierbar sind. Hier sehe ich eine wesentliche Aufgabe
des Chorleiters, bereits in der Konzeptionsphase einer Inszenierung
und natürlich besonders bei den Stellproben Einfluss zu nehmen.
Auch Solisten lassen sich nicht beliebig auf oder hinter der Bühne
herumjagen sondern müssen darauf achten, ihre Partie vor allem
auch sängerisch sicher bewältigen zu können.
Knoll: Wie stellt sich Ihnen die Situation des Nachwuchses
für den Mannheimer Opernchor dar?
Schneider: Zunächst muss ich dazu sagen, dass der
Stellenplan vor einigen Jahren um fünf Positionen gekürzt
wurde und uns diese Sänger heute wirklich fehlen. Zumindest
ein hoher Tenor und ein tiefer Alt wären dringend nötig,
aber das ist eine andere Sache. Bei Neubesetzungen ist es neben
den stimmlichen Voraussetzungen vor allem entscheidend, dass der
Sänger, der in den Chor geht, an dieser Tätigkeit auch
wirklich Freude hat. Frustrierte Solisten haben in einem Opernchor
eigentlich nichts verloren und die Herausforderung ist auch bei
dieser Aufgabe eine völlig andere. Wir suchen Sänger,
die genau die Position im Chor anstreben, und die positiven Auswirkungen
dieser Arbeit auf ihr Privatleben, ihre Sicherheit und die Möglichkeiten,
sich auch außerhalb der Chortätigkeit weiter als Sänger
oder anderweitig zu entfalten, schätzen. Diese Positiva zu
vermitteln, sollte bereits während der Ausbildung geschehen,
das ist aber, wie wir ja wissen, selten der Fall. Statt dessen werden
in jungen Sängern oft in unverantwortlicher Weise Hoffnungen
geweckt, die sich einfach nicht realisieren. Ich bin aus meiner
Erfahrung aber überzeugt, dass der Beruf des Chorsängers
eine anspruchsvolle und erfüllende Arbeit darstellt, und einen
vorrangigen Teil meiner Aufgabe sehe ich darin beizutragen, dass
sich das so weit wie irgend möglich auch tatsächlich verwirklicht.
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