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Viel Lärm um zu wenig
Berlioz „Béatrice et Bénédict“
in Gelsenkirchen · Von Andreas Hauff
Viel Lärm um nichts“ ist die Vorlage, die Hector Berlioz
für seine Opéra-comique „Béatrice et Bénédict“
wählte. Berlioz reduzierte Shakespeares Bühnenhandlung
im Wesentlichen auf die Intrige um die beiden scharfzüngigen
Antipoden Bénédict und Béatrice. Während
deren demonstrative Abneigung gegeneinander sich auch auf der Opernbühne
in eine vorsichtig-skeptische Zuneigung kehrt, bleibt die verwickelte
Haupthandlung um die Gouverneurstochter Hero und ihren Geliebten
Claudio ausgespart. „Béatrice et Bénédict“
hatte in Deutschland einige Jahrzehnte lang großen Erfolg.
Inzwischen ist sie von der Bühne fast völlig verschwunden;
der Aufführung am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier durfte
demnach besonderes Interesse gelten.
Die Gesangstexte schrieb der Komponist selbst, ebenso die Dialogtexte
um die skurrile Figur des Kapellmeisters Somarone (in Anspielung
an italienisch „somaro“ = Esel), Der übrige Dialog
wurde aus dem Shakespeare-Text übernommen. Somarone, eher ein
Original als ein Trottel, ist eine durchaus hintergründige
Figur: Karikatur eines gutwilligen, aber unfähigen Dirigenten,
wie sie Berlioz zur Genüge erlebt hatte, zugleich Anspielung
auf den Komponisten Gasparo Spontini, von dem an unpassender Stelle
ein großspuriger Ausspruch zitiert wird, aber auch selbstironische
Charakterisierung der tragikomischen Rolle eines Musikers in der
Gesellschaft.
Viel Lärm produziert der Chor bei seinem ersten lautstarken
Auftritt unter Somarones Leitung, doch keineswegs „um nichts“.
Das „groteske Hochzeitslied“ ist als Fuge mit zwei Themen
konzipiert und spielt damit auf Bénédicts und Béatrices
Flucht voreinander an.
Bei genauer Betrachtung erscheint Berlioz‘ Oper „Béatrice
et Bénédict“ als eine durchaus spannende Studie
über Manipulierbarkeit und Autosuggestion – im Schlechten
wie im Guten. „Ich wünschte nur, dass du menschlicher
würdest“, sagt Hero einmal zu Béatrice; da ist
die Saat der Intrige freilich schon in diesem Sinne aufgegangen.
Denn auf die Indizien hin, dass Bénédict sie liebe,
hat sich Béatrice in einer langen Arie selbst eingestanden,
dass sie um seine wohlbehaltene Rückkehr aus dem Feldzug gebangt
hat. Und im folgenden Terzett vergisst sie zunächst vollkommen
die ihr zur zweiten Natur gewordene Kratzbürstigkeit. Béatrices
und Bénédicts Schluss-Duettino lässt allerdings
in der Schwebe, ob der Ehevertrag auch tragfähig sein wird.
Dass sich der junge Regisseur Immo Karaman dazu bekennt, „psychologisch
komplexe Charaktere auf die Bühne bringen“ zu wollen,
berührt zunächst sympathisch. Und pfiffig erscheint auch
erst einmal die Idee, die ganze Handlung in den Rahmen einer Orchesterprobe
zu verlegen und dabei das Orchester als Mikrokosmos unter die Lupe
zu nehmen. Doch geht dieses Konzept dramaturgisch nicht auf: Während
Berlioz die in Somarone und dem Chor verkörperte Musiker-Sphäre
als Kontrast zur Haupthandlung setzt, dehnt Karaman dieses Milieu
über das ganze Stück und versucht dann, den Somarone-Szenen
dadurch Kontur zu geben, dass er sie vergröbert. Die Musiker
der Neuen Philharmonie Westfalen sitzen auf der Bühne des Kleinen
Hauses und mit ihnen die Darsteller. Béatrice (Anke Sieloff)
wird zur Oboistin, Bénédict (James McLean) zum Kontrabass,
Hero (Noriko Ogawa-Yatake) spielt die Violine und Claudio (Erin
Caves) die Posaune, Ursule (Anna Agathonos) die Flöte und Don
Pedro (Nicolai Karnolsky) das Schlagzeug – alle allerdings
nur zum Schein. Musiziert und gesungen wird dabei unter Leitung
von Musikdirektor Samuel Bächli durchaus ansprechend und mit
Feingefühl; wo aber Berlioz und Shakespeare auf musikalischen
und verbalen Witz setzen, steuert der Regisseur das durchaus engagiert
spielende Gelsenkirchener Ensemble in eben jene grobe „Hau-drauf-Komödie“,
von der er sich im Programmheft vorher distanziert.
Kaum hat sich die Oboistin auf den Kontrabassisten eingeschossen,
bekommt sie ein Pflaster auf den Mund geklebt, und schnell ist der
Kontrabass zerschlagen. Violine und Posaune lieben sich im Kontrabasskasten.
Der wirkliche Kapellmeister Bächli (als er selbst) und der
wirkliche Chordirektor Joachim Gabriel Maaß (als Somarone)
rivalisieren albern miteinander und treffen sich zur handfesten
Auseinandersetzung vor der Tür. Trunken torkeln die Choristen
aus der Pause; am Ende werden Béatrice und Bénédict
in einer großen Party an den neuen Kontrabass gefesselt und
hochgezogen. Keine Frage, das muss die versprochene „Realsatire“
sein, und wir ahnten es ja schon immer: So geht es an deutschen
Theatern hinter den Kulissen und im Orchestergraben zu. Von Berlioz
und seinem geliebten Shakespeare bleibt in dieser Aufführung
wenig.
Andreas
Hauff
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