Flops sind leider die Regel
Der vierte Musical-Kongress in Hamburg · Von Christoph
Forsthoff
Pfeifen im Walde oder ein Lichtstreif am Horizont? Die Abschlusserklärung
des vierten Musical-Kongresses unterschied sich deutlich von mancher
Diskussion während des Branchen-Treffens in Hamburg. Während
die veranstaltende Gesellschaft für unterhaltende Bühnenkunst
(GUBK) am Ende der vier Tage jubelte, „die Weichen für
eine künftige europäische Zusammenarbeit konnten gestellt
werden“, und die Entwicklung eines europäischen Musical-Netzwerkes
plant, sah mancher Kongress-Teilnehmer die Situation differenzierter
und kritischer.
So stellte Produzent Frank Buecheler fest, der Musical-Markt in
Deutschland sei „zusammengebrochen. Das Musical tritt künstlerisch
ganz furchtbar auf der Stelle.“ Eine Kritik, der sich auch
Martin Heins anschloss: Das Musical müsse sich moderner präsentieren
und perfekte Qualität liefern, forderte Heins, der von 1998
bis 2002 bei der mittlerweile insolventen Stella Entertainment AG
die Marktforschung geleitet hatte. „Es reicht heute für
die Einbindung der Zuschauer nicht mehr aus, einfach einen Kronleuchter
durch das Publikum zu schicken.“
Einigkeit herrschte denn auch darüber, dass die Zeit der
internationalen Mega-Musicals vorbei sei und es längst nicht
mehr genüge, eine erfolgreiche Produktion vom Broadway einfach
nach Europa zu übernehmen. Fast wehmütig erinnerte sich
der englische Komponist und Texter Alexander Bermange an die Jahrzehnte,
als London die internationale Musicalhauptstadt gewesen sei –
„zur Zeit ist das einzige wirklich neue Musical des Jahres
eine französische Produktion.“ Damit meinte er „Romeo
et Juliette“ von Gerard Presgurvic, das seit November im Piccadilly
Theatre läuft. Alle anderen Musicaltheater würden auf
die sichere Retro-Schiene setzen. „Deshalb müssen wir
zusammenkommen und lernen, neue Musicals zu entwickeln.“ Ähnlich
paneuropäische Gedanken waren auch von Manfred Schweigkofler,
Intendant in Bozen, zu vernehmen: „Wir müssen ein europäisches
Gefühl für Musicals schaffen, europäische Geschichten
erzählen.“ Wie das konkret aussehen könnte? Diese
Antwort blieben die Teilnehmer schuldig...
Ein Hauptproblem bei der Suche nach neuen Wegen, das wurde im Laufe
der Fachgespräche deutlich, ist die Angst vor Uraufführungen
und unbekannteren Produktionen, die floppen könnten. Erwin
van Lambaart, niederländischer Geschäftsführer der
Joop van den Ende Theaterproducties, rechnete nüchtern vor,
dass von 25 neuen Produktionen letztlich nur eine zum Hit werde.
Und selbst Janssen gab angesichts des Wunsches nach mehr Uraufführungen
zu: „Die Regel sind Flops.“ Vielleicht auch aus diesem
Grund forderte der GUBK-Chef, der Kulturauftrag der öffentlich
finanzierten Theater müsse auch das Musical einschließen:
Immerhin gehörten auch dort Musicals zu den beliebtesten Produktionen.
„Deutschland hat sich in den vergangenen 15 Jahren von einem
Land des Sprechtheaters zu einem Land des Musiktheaters gewandelt.“
Große Worte, aber: Meist greifen die subventionierten Bühnen
zu den immer gleichen Klassikern und Kassenfüllern wie „West
Side Story“ oder „My Fair Lady“. Lieber auf Nummer
Sicher gehen – die Angst vor einer Pleite bestimmt den Spielplan.
Dass sich auch anders reüssieren lässt, beweist Klaus
Wagner, Intendant des Theaters Heilbronn: 42 Musical-Produktionen
in 20 Jahren, darunter 15 Uraufführungen – „man
muss das Publikum einfach daran gewöhnen. Und wenn bei uns
etwas nicht lief, haben wir uns gesagt: Dann setzen wir das nächstes
Jahr noch mal auf den Spielplan.“
Vielleicht tatsächlich ein zukunftsweisender Weg für
die Branche. Zumal, wenn Hermann Rauhe mit seiner Analyse des Genres
richtig liegt: Der Präsident der Hamburger Hochschule für
Musik und Theater sieht im Musical nämlich die zentrale Gattung,
in der sich aktuelle Probleme und Zeitströmungen widerspiegeln
– womit das Musical jene Aufgabe übernommen habe, die
einst Oper und Operette inne hatten. Um diese auch auf einem qualitativ
angemessenen Niveau wahrnehmen zu können, forderte Rauhe eine
professionelle Ausbildung für Musical-Komponisten und Texter:
bislang seien das stets Autodidakten gewesen. Ein Wunsch nach Professionalisierung,
dem sich auch Christian Struppeck vom deutschen Marktführer,
der Stage Holding, anschloss: „Das Verfassen eines Musicallibrettos
sollte mehr als Handwerk verstanden werden, das es letztendlich
ist. Dramaturgische Kenntnisse sind hierfür die Grundlage und
Voraussetzung.“
Hermann Rauhe, schon immer ein Vorreiter wenn es um das Aufgreifen
neuer Strömungen und Ideen ging, nahm diese Überlegungen
denn auch sogleich auf und lieferte das einzig konkrete Ergebnis
des Musical-Kongresses: Er will im kommenden Jahr gemeinsam mit
der GUBK in seiner Musikhochschule eine Sommerakademie für
Musical-Autoren und Komponisten mit namhaften Dozenten durchführen.
Daran anknüpfend ließe sich dann vielleicht auch sein
Gedanke einer Art „Sydmonton“ realisieren – Sydmonton
in Anlehnung an jenen Ort, an dem Andrew Lloyd Webber seine neuen
Arbeiten in Works-In-Progress-Fassungen einem ausgewählten
Kreis von Gästen vorstellt. Ein Ort des Probierens für
Autoren und Komponisten, des künstlerischen Wagnisses und des
Vorläufigen, wo neue Konzepte zur Diskussion gestellt werden.
Und neue Ideen braucht die Branche. Denn spätestens mit der
Stella-Pleite dürfte auch dem letzten Branchen-Optimisten deutlich
geworden sein, dass jene goldenen „Cats“-Zeiten Vergangenheit
sind, als ein und dasselbe Musical zehn Jahre lang Abend für
Abend ausverkaufte Vorstellungen verbuchen konnte.
Christoph
Forsthoff
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