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Ein schwacher Abgang
Die Situation der Berliner Opern-Kultur · Von Stefan Meuschel
Einigermaßen respektlos hatten wir in dieser Zeitschrift
im Dezember 2000 gespottet, „der Barenboim im Hause erspare
den Zimmermann“, ohne zu ahnen, wie nahe wir der Berliner
Wirklichkeit waren. Udo Zimmermann hatte mit Beginn der Spielzeit
2001/02 als Nachfolger Götz Friedrichs die Generalintendanz
der Deutschen Oper Berlin übernommen, zum Ende der Spielzeit
2002/03 wird er sie niederlegen. Berlins Kultursenator Thomas Flierl
hat dem Komponisten, Theaterleiter und umtriebigen Kunstfunktionär
Zimmermann die Chance eingeräumt, selbstbestimmt zu gehen –
doch liegen auch diejenigen nicht falsch, die den Abgang als ein
„Abservieren“ qualifizierten.
Gegangen ist der Musiktheater-Programmatiker Zimmermann, der bewundernswert
unbeirrbar davon überzeugt ist, dass die Musik und die Oper
Bestandteil lebendiger zeitgenössischer Kunst – jenseits
nachschöpferischer Interpretationen des Repertoires –
sein können und dass diese Sicht der Dinge auf der Bühne
dargestellt werden muss, gegen alle Widerstände. Abserviert
hingegen wurde der Intendant Zimmermann. Denn als solcher hat er
versagt.
Zimmermann war in Berlin der falsche Mann auf dem falschen Platz
zum falschen Zeitpunkt. Berlin wollte sich mit ihm schmücken
und konnte sich ihn nicht leisten, Zimmermann aber konnte nicht
leisten, was die Deutsche Oper Berlin von ihm verlangte.
Die ehemalige West-Berliner „Staatsoper“ in Charlottenburg,
die schräg gegenüber vom bereits abgewickelten West-Berliner
„Staatsschauspiel“, dem Schiller-Theater liegt, benötigte
nach dem Tod Götz Friedrichs einen Konsolidierungsintendanten,
war sie doch nach dem Mauerfall in eine für sie völlig
ungewohnte Konkurrenzsituation zu den beiden Opernhäusern Unter
den Linden und Komische Oper geraten, die allmählich, da es
an jeglicher konzeptioneller Zusammenarbeit der drei Häuser
mangelte, und auch unter zunehmendem finanziellen Druck, Ermüdungserscheinungen,
Unsicherheiten und künstlerische Fehlentscheidungen zur Folge
hatte.
Kein Konsolidierungs- Intendant
Es mag des damaligen Kultursenators Radunski Überlegung gewesen
sein, mit der Berufung Zimmermanns die Deutsche Oper wieder aufzuwerten,
hatte der doch die Oper Leipzig zu einem Mekka zeitgenössischen
Musik- und Tanztheaters gemacht. Aber die Fachkundigen wunderten
sich schon damals. Zum einen wollte sich die Musiktheater-Konzeption
Zimmermanns so ganz und gar nicht in die bald danach vom Senat vorgelegten
Pläne zur Strukturreform der Berliner Opernhäuser fügen,
die der Deutschen Oper, dem größten und technisch leistungsfähigsten
der drei Häuser, die Rolle des Horts der „großen
Oper“ zugewiesen hatten, zum anderen schienen die Berliner
Kultur-Verantwortlichen nicht zu wissen, dass Zimmermann der wohl
ungeeignetste für den Part des Konsolidierungsintendanten war.
Hatten sie nie davon gehört, dass in Leipzig zwar die Premieren
der Spitzenproduktionen europäisch beachtete Kritiker-, Kultur-
und Gesellschaftsereignisse waren, dass aber manche Repertoirevorstellungen
verschlampt, die Ränge des Hauses oft geschlossen, die Schließtage
in der Woche oft zahlreicher als die Spieltage waren? Und dass die
Verwaltung den mal abgehobenen, mal abwesenden Intendanten zu betrieblichen
Entscheidungen immer wieder geradezu zwingen musste?
Eine große künstlerische Natur, ein genialischer Animateur
zu sein besagt nichts über die erforderlichen Qualifikationen
eines Musiktheater-Managers. Und letztere waren an der Deutschen
Oper Berlin umso mehr gefragt, als das Haus eine Vielzahl interner
Konflikte barg und noch birgt. Das begann bei den zum Teil noch
aus Götz Friedrichs Zeiten stammenden Etat-Überziehungen,
setzte sich in Kompetenzstreitigkeiten und bürokratischen Verkrustungen
fort und endete noch lange nicht in den bekannten Auseinandersetzungen
mit dem Orchester und in den Problemen, die aus Zimmermanns erster
Intendanten-Niederlage resultierten, als es ihm nicht gelang, den
von ihm favorisierten Dirigenten Fabio Luisi als Generalmusikdirektor
zu verpflichten. Dieser Schwierigkeiten Herr zu werden, hätte
Härte und Diplomatie erfordert, hätte das Delegieren von
Aufgaben erst dann zugelassen, wenn die Loyalität der Ausführenden
gesichert ist, hätte – auch das kann nicht verschwiegen
werden – die regelmäßige Anwesenheit im Haus und
in der Stadt erfordert. Zimmermann ließ es zu, dass Vieles
ohne ihn, gegebenenfalls auch hinter seinem Rücken geschah.
Warten auf neue Strukturen
Sein generöser Rücktritt ehrt ihn; er wolle in der noch
von ihm zu verantwortenden Restspielzeit die Deutsche Oper zum künstlerischen
Erfolg und zur wirtschaftlichen Konsolidierung führen, erklärte
er. Die Senatsverwaltung hat Peter Sauerbaum inzwischen zum Geschäftsführenden
Direktor berufen und Jan Holender, den Direktor der Wiener Staatsoper,
interimistisch mit der Vorbereitung der neuen Spielzeit betraut.
Zu vermuten ist, dass zumindest so lange die Position des Generalintendanten
der Deutschen Oper Berlin unbesetzt bleiben wird, bis sich einigermaßen
klar abzuzeichnen beginnt, in welchen Rechtsformen und Strukturen
das Land Berlin seine staatlichen Bühnen, speziell die drei
Opernhäuser mit ihren drei Orchestern nebst fünf weiteren
großen Kulturorchestern künftig zu betreiben gedenkt.
Eine verlässliche und tragfähige Lösung wurde bisher
nur für das in eine Stiftung überführte Berliner
Philharmonische Orchester gefunden, vielleicht umso verlässlicher,
als dessen Intendant, Franz Xaver Ohnesorg, das Feld geräumt
hat.
Thomas Flierl, der Kultursenator, ist nicht zu beneiden. Als im
September 2002 die Sparvorschläge des Finanzsenators Thilo
Sarrazin zur Sanierung des Berliner Haushalts bekannt wurden, fragte
der Direktor des Tierparks Friedrichsfelde, ob er denn seine Tiere
erschießen solle? Bei den ebenfalls auf der Abwicklungsliste
stehenden Berliner Symphonikern ließe sich die Frage ähnlich
stellen. Tierpark und Symphoniker schlügen bis 2008 mit rund
50 Millionen Euro Minderausgaben zu Buch, insgesamt 5,8 Milliarden
Euro will Sarrazin bis 2008 einsparen. Die Opernzuschüsse insgesamt
sollen um jährlich rund 40 Millionen Euro, also bis 2008 um
204 Millionen Euro abgesenkt werden, das wäre fast ein Drittel
des bisherigen Betrages.
Zwei konkurrierende Modelle
Doch es sei nicht der Finanzsenator allein, der über die
Verteilung der Mittel und über die Zukunft der Berliner Opernlandschaft
entscheide, ließ Flierl selbstbewusst wissen, als er Anfang
Oktober zwei von Außenstehenden erarbeitete, miteinander konkurrierende
Modelle vorstellte. Das eine stammt von der Bundestagsvizepräsidentin
Antje Vollmer und dem ehemaligen Chef der Berliner Festwochen, Ulrich
Eckhardt, und bewegt sich auf der Linie des Christoph Stölzl-Strukturvorschlages
aus dem Jahr 2000, sieht bei arbeitsteiligem, kooperierendem Erhalt
aller drei Häuser aber ihre organisatorische Zusammenfassung
unter dem Dach einer Stiftung des öffentlichen Rechts bei gleichzeitiger
Herauslösung aus dem Tarifrecht des öffentlichen Dienstes
vor.
Für das zweite Modell zeichnet Altbundespräsident Richard
von Weizsäcker verantwortlich. Die Berliner Spatzen pfeifen
allerdings von den Dächern, dass Weizsäcker ursprünglich
mit Vollmer und Eckhardt kooperieren wollte, sich dann aber von
Daniel Barenboim und von Peter Mussbach, dem seit Beginn dieser
Spielzeit amtierenden Intendanten der Staatsoper Unter den Linden,
zum konkurrierenden Modell anregen ließ. Sein Modell ist „Kulturforum
Mitte“ überschrieben; es schlägt vor, durch Zusammenlegung
von Staatsoper, Komischer Oper, Konzerthaus am Gendarmenmarkt und
der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ ein „kulturelles
Zentrum für Berlin“ zu schaffen, „so wie es von
Friedrich II. im 18. Jahrhundert als Forum der Künste und der
Wissenschaften (Forum Fridericianum) geplant war.“ Über
die Rechtsform des Kulturforums wird wenig gesagt (auch Stiftung?),
über die Finanzierung, vor allem aber über die Deutsche
Oper Berlin gar nichts. Ein Blick selbst auf den noch ungekürzten
Berliner Kulturhaushalt genügt jedoch, um die Behauptung wagen
zu können, dass die Finanzierung des Weizsäcker-Modells
entweder eine kräftige Beteiligung des Bundes oder das Erlöschen
des Bühnenlichts in Charlottenburg voraussetzt. Über die
fällige Bausanierung der Staatsoper schweigen sich beide Modelle
aus.
Thomas Flierl, der aus dem Zerreden und daraus resultierenden Scheitern
des Stölzl-Konzepts wohl die Lehre gezogen hat, dass Reformen
mit diskursiven Verfahren einzuleiten sind, hat in seinen Gesprächen
mit den Theaterleitungen, den Personalräten und den Freundes-
und Förderkreisen der Opernhäuser sowie im Kulturausschuss
des Abgeordnetenhauses zu erkennen gegeben, dass er dem Weizsäcker-Modell,
weil zu „mittezentristisch“, nicht viel abgewinnen könne,
dass aber der Gedanke der Errichtung einer Stiftung aus wirtschaftlichen,
tarifpolitischen und auch aus ordnungspolitischen Gründen weiter
verfolgt werde. Er ließe gegebenenfalls eine föderalismusverträgliche
Direkt- oder Umweg-Beteiligung des Bundes zu.
Politikverursachte Wackelpartie
Sein Selbstbewusstsein gründet auf dem im rot-grünen
Koalitionsvertrag angekündigten „verstärkten Engagement“
des Bundes in seiner Hauptstadt, auf der Bereitschaft der neuen
Kulturstaatsministerin Christina Weiss, zu einer Lösung beizutragen
– und auf der inzwischen auch von den dickfelligsten Verhinderern
geteilten Erkenntnis, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.
Die seit fast sechs Jahren andauernde politikverursachte Wackelpartie
hat alle Beteiligten, nicht zuletzt die Theater, die Orchester,
die dort beschäftigten Menschen geschädigt. Und wenn Berlin
jetzt eine Studie zur „Kultur als wichtiger Wirtschaftsfaktor“
wissenschaftlich erarbeiten lässt, mutet das fast wie Hohn
an. War das bisher unbekannt?
In Süditalien wurden unlängst bei einem Erdbeben viele
Kinder im Erdgeschoss eines Schulgebäudes erschlagen, weil
man ohne Überprüfung der Statik ein weiteres Geschoss
mit schwerer Betondecke darauf gesetzt hatte. Die kulturelle Grundversorgung,
zu der auch Theater und Musik gehören, befindet sich hier zu
Lande im einsturzgefährdeten Erdgeschoss. Das Obergeschoss,
wir denken hier auch an manche Projekte der Bundeskulturstiftung,
sollte erst errichtet werden, wenn die Statik, und wir denken hier
an gesetzgeberische Maßnahmen zur Sicherung der Kulturfinanzierung,
zum Beispiel im Bereich des Verwertungsrechts, geprüft und
gesichert ist. Wenn fürs Überlebensnotwendige kein Geld
mehr da ist, bedarf es der kreativen Fantasie, es zu beschaffen.
Denn die Erdbeben aller Art kommen bestimmt.
Stefan
Meuschel
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