|
Psychologie versus Persiflage
„Meistersinger“ in Dortmund und Hamburg ·
Von Frank Kämpfer
Beendet ist der Gesangswettbewerb, die reiche Tochter, der Preis,
geht an den Helden, der die Sängermedaille ablehnt. Der Schuster
mahnt den gefallenen Ritter, die Meister zu ehren; diese reihen
sich, den Rücken zum Saal, vor der Bevölkerung auf. Jubel
brandet schon hoch, da eilt der Redner zurück ins Geschehen,
zieht den Verhöhnten ans Licht und reiht ihn in die Meisterschar
ein. Diese letzte Aktion, mit der Hans Sachs Sixtus Beckmesser rehabilitiert,
ist die einzige politische Geste der Inszenierung, mit der sich
Dortmunds neue Operndirektorin ihrem Publikum als Regisseurin vorstellt.
Christine Mielitz hat Wagners „Meistersinger“ nicht
grundlegend neu zu interpretieren versucht – ihr Anliegen
war es, ein opulentes, zugleich unverstaubtes Theater zu demonstrieren.
Vier stimmlich wie darstellerisch ambitionierte Solisten, ein engagierter
Chor, und die von GMD Arthur Fagen weitgehend solide geführten
Philharmoniker fügen sich zu einem Abend, der vor allem emotional
in den Bann zu ziehen vermag.
Kupfer-Schülerin Mielitz sorgt in den großen Ensembles
für Turbulenz; in Kammerszenen gelingen manche Intimität
und Abgründigkeit. Wagners nicht unumstrittene Oper spielt
in Dortmund zur Zeit ihrer Entstehung. Stefan Mayers einheitliche
Bühne ist in den Saal einer Fabrikantenvilla verlegt. Von außen
droht latente Gewalt, die sich voraussetzungslos Bahn brechen kann.
Dem Aggressiven steht die Sehnsucht der Eva Pogner entgegen, die
etwas Verlorengegangenem gilt. Forciert wird ihr Gefühl von
Walther von Stolzing, der jedes Regelwerk hasst und dessen emphatischer
Liebesgesang die Meistersingergilde aufstört, ja in Frage zu
stellen beginnt. Ein Gegenentwurf zur Gewalt ist die Idee der Vernunft,
der Vermittlung kontroverser Gefühle und Interessen, der Regulierung
des Staats durch Kunst. Nach der Randale im zweiten Finale lebt
die Idee nur noch im Privatraum des Sachs, der der Liebe entsagt,
und die Paare nach seiner Vernunft arrangiert. Wenn beim Quintett
im dritten Aufzug Sachs’ karge Hütte aufwärts zu
schweben beginnt, gelingt Christine Mielitz einer der stärksten
Momente des Abends. Dieser emotionale Höhepunkt birgt aber
auch die Brüchigkeit einer Vision, die keine Erdung mehr hat
und jederzeit zerstört werden kann.
An der Hamburgischen Staatsoper diskutieren Regisseur Peter Konwitschny
und GMD Ingo Metzmacher das Stück vor historischen Realitäten.
Der dritte Aufzug beginnt vor dem Prospekt Nürnbergs vom Frühjahr
1945; Sachs’ Wahnmonolog erklingt Auge in Auge mit Weltkriegsruinen,
das Vorspiel wird zur Trauermusik. Ingo Metzmacher am Pult des subtil
ausdifferenzierenden Staatsorchesters betont das Splitterhafte,
Geklitterte der Musik – abrupte Pausen, Gesten des Schweigens
werden deutlich herausmusiziert. Walthers Preislied rückt in
die Zeit des kulturellen Wiederaufbaus, die Neues ermöglicht
und auf humane Traditionen zurückgreifen soll. Beckmesser und
Sachs müssen deshalb Verbündete sein, nachdem sie sich
eingangs auf bieder-komische Art duellierten. Hans-Joachim Ketelsen
und Wolfgang Schöne sind hier zwar stimmlich präsent –
ihr szenisches Spiel bleibt überraschend eindimensional.
Zwei Aufzüge lang wirkt es, als fände Regisseur Peter
Konwitschny keine zweite kommentierende Ebene, als hangele er sich
vor trautem Nürnberg-Idyll mit ungewohnter Harmlosigkeit durch
das Stück. Umso drastischer gerät der szenische Umschlag
beim Umbau zum Sängerwettstreit. Dieser ereignet sich inmitten
überdimensionierter Natur, die Protagonisten schrumpfen darin
zum Gewürm. Was zwischen Käfern, übermannshohen Blättern
und Halmen aufmarschiert, gleicht einem Panoptikum: Trompeter und
Trommler, beinahe noch im Braunhemd; Kriegsversehrte in Mengen;
die Damen als Grillen und bunte Falter garniert. Schließlich,
beim Einzug der Meister, Wagner-Klischees in überalterter Bayreuth-Manier:
Wotan, ein düsteres Einaug’ mit Speer, Brünnhild
mit wuchti-gem Helm, Tannhäuser, Tristan, Lohengrin mit einem
Schwan im Mini-Format, die Rheintöchter mit Goldimitaten.
Angesichts dieser Persiflage wird klar, dass Wagners „Meistersinger“
auf Johannes Leiackers kleiner, hölzerner Jahrmarktbühne
bislang nur zitiert worden sind. Und zwar in einer höchst traditionellen,
heiter-banalisierenden Darbietungsform. Von Peter Konwitschny ist
man inzwischen gewohnt, dass er der Wagner-Interpretation immer
neue Dimensionen zu verleihen vermag. In Hamburg hat er jedoch keine
Lesart gesucht, die das Stück komplett neu aufzuschlüsseln
vermag. Er beschäftigt sich vielmehr mit der bisherigen Rezeption
und macht dabei deutlich, dass vor allem der Schluss nicht mehr
bruchlos darstellbar ist. Die Meister selbst unterbrechen Sachs’
Schluss-Gesang – im gespielt realistischen Dialog streiten
die Darsteller um die Deutschtümelei und den latenten Ausländerhass.
Wohl wissen sie keinen anderen Text und Ingo Metzmacher erhebt schließlich
wieder den Stab. Doch immerhin behauptet dieses „Meistersinger“-Finale,
dass es auf dem heutigen Operntheater notwendig ist, gesellschaftliche
Fragen zu diskutieren.
Frank
Kämpfer
|