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Kulturpolitik

Mit der Singschul fing es an

50 Jahre VdM. Zur Entwicklung von Sing- und Musikschulen
Von Eckart Rohlfs

Um das Prädikat, älteste Musikschule zu sein, mögen sich einige der rund tausend Musikschulen in Deutschland den Rang ablaufen. Auf die in Deutschland vielleicht älteste Musikschule, das 1801 in Würzburg gegründete Übungsinstitut, das mit der 1820 erfolgten Angliederung einer Singschule zugleich Staatsinstitut wurde, beruft sich die heutige Musikhochschule Würzburg. Alle anderen Gründungen zu Anfang des 19. Jahrhunderts, so in Wien 1807 Salieris Singschule, 1808 Prags Konservatorium, ab 1843 die ersten Gründungen in Leipzig, 1846 und 1856 die Musikschulen in München und in Dresden, wollten sich der musikalischen Berufsausbildung widmen. Die meisten adoptierten ihren Namen aus dem Geburtsland der Konservatorien, Italien, wo in Neapel 1537 die erste „Bewahranstalt für musikalisch begabte Kinder“ gegründet worden war und von wo aus der Konservatoriumsgedanke seinen Siegeszug durch Europa antrat. Die Konservatoriumsgründungen des 18. und 19. Jahrhunderts hatten für ihre Gesangsausbildung vorrangig den italienischen bel canto im Sinne einer Opernschule als Vorbild. Nach und nach entwickelte sich unter der zunehmenden Idealisierung des Instrumentalvirtuosen eine anspruchsvollere Instrumentalausbildung. Anfangs beherrschten Klavier und Geige das Feld. Als älteste heute noch bestehende Musikschule mag die 1845/1850 gegründete Rheinische Musikschule in Köln gelten, die sich jedoch zunächst ebenfalls mehr als Konservatorium verstand.

Gesang hatte in deutschen Landen des 14. bis 16. Jahrhunderts einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Man erinnere sich an die große Tradition des Minnesangs, an Singbrüderschaften von Laien, zu Ehren Gottes, zur eigenen Erbauung und Geselligkeit. Oder an die der Meistersingerschaften und ihre eigenen „Singschulen“ mit Schwerpunkt in Nürnberg und Augsburg, die wohl Opfer des 30-jährigen Krieges wurden.

Schon die Liturgie im frühen Christentum konnte nicht auf Übungsformen für den Laien-Gemeindegesang verzichten. So entstanden Singschulen für Dilettanten. Und für den Sängernachwuchs der Kantoreien und Kirchenchöre in Europa sorgen bis ins 19. Jahrhundert, ja bis in unsere Tage, eigene Singschulen und Kirchenmusikschulen. Aber auch weltliche und kirchliche Gesangsvereinigungen hatten ihre Schulungsstätte, in Nord- und Südamerika z.B. „Singing Schools“ genannt.

Die Geschichte der Musikschulen im engeren, heutigen Sinne als die ganz der Laienmusikpflege gewidmete Einrichtung hat zwei jüngere Ursprünge:

  • Die Singschule nahm sich die Verbreitung des Singens und des Gesangs vor und ist eng mit dem Namen Albert Greiner verbunden. Der 1867 in Augsburg geborene schwäbische Lehrer war von den gesanglichen Defiziten in Schule, Liedertafel, Blindenchor und Sängerbund so bewegt, dass er gerne dem Ruf folgte, in Augsburg eine Singschule ins Leben zu rufen. Das war 1905. Sein Ziel: Stärkung der Rolle des Gesangs an der Volksschule. Dazu gab es Fortbildungsklassen, Abendkurse, und nachdem die Schulmusiker auf „Möglichkeit, Leistung und Erfolg der Jugendstimmpflege aufmerksam“ wurden, entwickelte sich bald das Deutsche Singschullehrer- und Chorleiterseminar im Rahmen der Albert-Greiner-Gesangsbildungsstätte der Stadt Augsburg. In der Tat gehörte es jahrzehntelang zum Selbstverständnis eines Volksschullehrers zumindest in Bayern, sich das nötige Rüstzeug für das Singen in der Volksschulklasse durch diese Weiterbildung zu holen. Diese Einrichtung, von ihm und seinem Nachfolger Otto Jochum gegründet, pflegt seit 1935 bis heute die Aus- und Fortbildung von Chorleitern und Singschul-Lehrkräften und bietet unter anderem chorpraktische Arbeit in Klassen der Augsburger Sing- und Musikschule, die heute Albert Greiners Namen trägt.
  • Der Impuls zur Volks-und Jugendmusikschule kam aus der „Musikalischen Jugendbewegung“ und ihrer Reformpädagogik und setzt Fritz Jödes Gedanken einer „tätigen Anteilnahme an der Musik in allen Schichten unsers Volkes“ um, nämlich Musikschulen zu schaffen, in denen „Jugend und Volk“ in geeigneter Weise der Zugang zur Musik erschlossen werde. 1923 bis 1925 entstehen in Verbindung mit den Intentionen des Preußischen Volksbildungsministeriums die Jugendmusikschule in Charlottenburg, wo auch Fritz Jöde und Paul Hindemith wirkten, dann nacheifernd die Hamburger Musikschule, die Singschule am Karlsruher Konservatorium, die Volksmusikschulen in Berlin und in Magdeburg, 1926/27 in Neukölln, Bremen und in der Folge vor allem in Nord- und Mitteldeutschland. Bald nach 1933 wurden sie „im Interesse nationalsozialistischer Jugenderziehung“ mehr oder weniger umfunktioniert und als Instrument politischer Doktrin eingesetzt. Nach 1945 kommt es da und dort zur Initiative, die Musikschule von ehedem wieder zu beleben.

Im Jahr 1951 sind die Nachkriegskräfte so weit gesammelt, dass sich führende Persönlichkeiten und Verbände gemeinsam für musikerzieherische Anliegen engagieren: Ihr Memorandum zur Einrichtung von Jugendmusikschulen zeigt kulturpolitischen Mut, und Wilhelm Twittenhoffs programmatische Schrift von 1951 „Neue Musikschulen – eine Forderung unserer Zeit“ gibt den Einstieg: Singen, rhythmische Erziehung, elementares Musizieren werden zunächst als Hauptsäulen für Kinder ab dem sechsten Lebensjahr postuliert. Singklassen mit jeweils 25 Schülern sollten – nach einem Jahr Vorstufe in rhythmischer Erziehung – ab dem siebten Lebensjahr für alle obligatorisch sein. Nur bei besonderen Begabungen war an Einzelunterricht gedacht.

Am 8. Juni 1952 schlossen sich über 100 Singschulleiter und -lehrer mit ihren inzwischen wieder bestehenden Singschulen in Augsburg zum „Verband der Singschulen e.V.“ unter dem Vorsitz von Josef Lauterbacher und Ludwig Wismeyer zusammen. Die Arbeit der Singschule vollzieht sich in Singklassen, in denen kindliche Stimm- und Tonbildung im Mittelpunkt stehen und ein- und mehrstimmiger Lied- und Chorgesang gepflegt wird. Damit sollte ursprünglich der Volksschulunterricht, ehedem als Fach „Singen“ bezeichnet, ergänzt und die allgemeine musikalische Erziehung vertieft werden. Mit dem bald darauf gegründeten Verband der Jugend- und Volksmusikschulen vereinbarte er schnell eine Zusammenarbeit. Den Namen „Singschule“ wahren in ihrer Bezeichnung traditionsgemäß heute nur noch die Schule in Heidelberg neben der in Weil am Rhein sowie gerade noch jede dritte der 220 Musikschulen Bayerns.

Drei Monate nach der Gründung des Singschulverbandes, am 7. September 1952 erfolgt in der Jugendburg Oberwerries bei Hamm/Westfalen der Zusammenschluss von zwölf Musikschulen zum „Verband der Jugend- und Volksmusikschulen“ unter dem ersten Vorsitzenden Wilhelm Twittenhoff. Die Musikschule der Nachkriegszeit fand rasch ihr neues Selbstverständnis und entwickelte einen erweiterten Bildungsauftrag, den sie mehr und mehr durchsetzte. Sie erweiterte ihr Ausbildungsangebot musikalischer Grundausbildung, dem Bedarf und dem Trend entsprechend, zunehmend auf Instrumentalausbildung bis zur Studienvorbereitung, ergänzte sie durch Ensemblearbeit vielfältiger Art und weitere Fächer der Musiklehre. Seit 1968, inzwischen unter Diethard Wuchers Vorstandschaft stehend, entwickelte und forcierte der Musikschulverband musikalische Früherziehung als Angebot für das Vorschulkind.

Im „Verband deutscher Musikschulen (VdM)“, wie er sich 1966 umbenannte, sind 1980 rund 650 Musikschulen, nach der Fusionierung mit den Musikschulen der DDR in den Neunziger Jahren über 1000 Musikschulen zusammengeschlossen. Singen und Sprechen ist integrierter Bestandteil musikalischer Grundausbildung an Musikschulen. Als Begriff und Ausbildungsfach finden sich im Strukturplan des VdM von 1970 vokale Fächer als Singklassen und als Sologesang neben Chor- und Singgruppen. Dementsprechend ist das Lehrplanwerk des VdM konzipiert. Erst 1990 lag der 1986 in einer Fachkommission des VdM begonnene Lehrplan Solo-Gesang vor, gegliedert in eine Unterstufe, also für die Ausbildung von Kindern vor der Mutation beginnend, und eine Mittel- und Oberstufe, die die konsequente Ausbildung des Instrumentes „Stimme“ zum Inhalt haben.

Singen in der Musikschule wird zunehmend aktuell und schließlich 1991 (erstmals) auch zentrales Thema des Verbandes deutscher Musikschulen bei seinem Musikschulkongress in Saarbrücken („Singen in der Musikschule, Dokumentation Kongressbericht“, Bosse-Verlag, Kassel, 1992). Hierbei werden vielfältige Aspekte vokaler Solo- und Ensemblearbeit an Musikschulen vorgestellt, diskutiert und neben eigenen vor allem auch die langjährigen und intensiveren Erfahrungen der gesanglichen Schulung an Musikschulen der DDR ausgetauscht. Diese Erkenntnisse begünstigten die zunehmende Einführung von Gesangsausbildung als inzwischen selbstverständliches Hauptfach-Angebot an den westdeutschen Musikschulen, ergänzt durch vielfältige Formen vokaler Ensembles in Singklassen, im Kinder-, Mädchen-, Knaben-Chor, in Mutantenklassen, im Jugend- und Erwachsenenchor, Kammerchor, Vokalensemble, Spiritual- und Popchor.

Die jährliche Ausbildungsstatistik des VdM registriert Sologesang erstmals im Jahresbericht 1976 mit 843 Schülern, eine Zahl, die sich bis 1980 verdoppelt und kontinuierlich, ja rasant weiter wächst und 25 Jahre später (2001) das zwanzigfache, nämlich 83.800 Schüler erreicht. Damit weist Sologesang, beflügelt von der 1992 eingeführten Wertungskategorie Solo-Gesang und Vokalensemble im Wettbewerb „Jugend musiziert“, an den VdM-Musikschulen die höchsten Zuwachsraten aus. Der Anteil unter allen Schülern der gesamten Instrumental- und Vokalausbildung an Musikschulen in Deutschland (2001: 621.000) ist in rund 25 Jahren von quasi Null auf derzeit 2,6% angewachsen (zum Vergleich Saxophon 3,1%, Schlagzeug 4,3% als zwei Fächer, die ebenfalls im Verlauf der letzten 25 Jahre zunehmendes Interesse fanden).

Eckart Rohlfs

 

 

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