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Ein Studiengang Berufschor
Der Kölner Hochschulrektor Josef Protschka im Gespräch
Die Musikhochschulen an Rhein und Ruhr sind vom Bildungsministerium
zur Profilierung aufgefordert worden. Diesen Anstoß aufzugreifen
und in Konzepte umzusetzen, ist unter anderem Aufgabe von Josef
Protschka. Der erfolgreiche lyrische Tenor hat nach der Gesangsausbildung
und Ensemble-Stationen in Gießen und Saarbrücken seit
1980 an der Kölner Oper gesungen. Von dort startete er eine
internationale Karriere. Seit Februar 2002 ist er Rektor der Kölner
Musikhochschule. Olaf Roßbach sprach für „Oper
& Tanz“ mit dem Hochschulrektor.
Olaf Roßbach: Was motiviert einen Studenten, Opernchorsänger
zu werden?
Josef Protschka: Hauptmotivation ist meistens, Solist zu
werden. Es ist dann Aufgabe der Hochschule, auszuwählen, wer
welche Talente hat. Bisher hat man alle aufgenommen, die Chancen
auf eine solistische Karriere haben. Dabei spielt – ohne Kollegenschelte
zu betreiben – sicher auch die persönliche Eitelkeit
der Hochschullehrer eine Rolle, einen später bekannten Solisten
seinen Schüler nennen zu können. Dieses Prestige ist bei
der chorischen Ausbildung nicht im gleichen Maß gegeben. Andererseits
gibt es die meisten Vakanzen bei den Berufschören.
Roßbach: Ist es ein Problem der Ausbildungsstätte,
das zu vermitteln?
Protschka: Es ist ein Problem des Bewusstseins der Studienanfänger.
In Ansätzen wandelt sich das auf allen Seiten. Aber bisher
gibt es kein Muster, Chor-Interessierte gezielt zu werben. Wir brauchen
einen Studiengang Berufschor, der in Nordrhein-Westfalen ministeriell
bewilligt ist, bisher aber an keiner Hochschule eingerichtet wurde.
Denkbar wäre, bei der Aufnahme zu differenzieren, ob mit Sicherheit
eine Solistenkarriere erreichbar ist. Andernfalls sollte der Chorstudiengang
gewählt werden, mit der Option, gegebenenfalls noch in den
künstlerischen Diplomstudiengang für Solisten wechseln
zu können. Dadurch könnten Frustrationen abgebaut werden.
Roßbach: Möchten Sie in Köln mit politischer
Fürsprache diesen Studiengang einrichten?
Protschka: Ich möchte das gerne. Es ist jedoch bisher
nur eine Idee. Wir sind dabei, eigene Perspektiven zu entwickeln,
wie diese Hochschule in zehn Jahren aussehen soll. Der Bericht der
Evaluierungskommission, der für das Landesministerium erstellt
wurde, sagt vieles, was wir sachlich teilen. Aber unser eigenes
Konzept wird ab dem Wintersemester erarbeitet und das Thema Chorstudiengang
wird auf der Tagesordnung stehen.
Roßbach: Stimmen denn die Voraussetzungen der Erstsemester
für ein Studium, oder macht sich die verlorene Basis schulischer
Musikausbildung schon in der Hochschule bemerkbar?
Protschka: Angesichts des mangelnden Musikunterrichts wird
es schwieriger. Wir haben in NRW eine völlig unbefriedigende
Situation der musikalischen Frühausbildung. Und das geht bis
in die Gymnasien hinein. Ich habe das bei meinen eigenen Kindern
erlebt. Ein hoher Stellenwert des Musikunterrichts ist nicht mehr
vorhanden. Deshalb ist die Situation hier schlecht. Ich versuche,
mit der Rheinischen Musikschule und dem einzigen Kölner Musikgymnasium
eine Achse zu entwickeln, die uns ein Potenzial von Kindern bringt,
die schon mit sechs oder sieben Jahren in der Hochschule zum Beispiel
samstags im Unterricht durch Hochschullehrer kindgerechte Grundlagen
vermittelt bekommen. So könnten wir unseren eigenen Nachwuchs
an die Hochschule heranführen – ein wenig nach dem Modell
amerikanischer Prep-schools.
Roßbach: Knackpunkte der Ausbildung zum Berufschorsänger
sind also: zu wenige qualifizierte Studienbeginner bei gleichzeitig
hohen Stellenvakanzen und ein schlechtes Image des Chorgesangs im
Vergleich zum Solisten?
Protschka: Generell ist die Etablierung des Opernchorgesangs
an der Hochschule wichtig. Es muss publik werden, dass der Markt
für Berufschorsänger groß ist. Für uns bedeutet
das aber, ein anderes Repertoire zu vermitteln. Dafür können
wir nur zum Teil die gleichen Lehrer einsetzen. Und ob für
neue Stellen genug Geld da ist, wurde noch nicht durchdacht.
Überdies brauchen wir das Verständnis eines breiteren
Berufsbildes. Es gibt neben Solisten und Choristen viele Freelancer.
Für die muss die Ausbildung auf Module zurückgreifen,
die in künstlerisch angrenzende Bereiche verweisen.
Roßbach: Haben die darstellerischen Anforderungen
des Regietheaters schon genügend Rückwirkung auf die szenische
Ausbildung gehabt?
Protschka: In diesem Bereich herrscht kein Nachholbedarf!
Dass die szenische Ausbildung wesentlich ist, wird schon lange respektiert
und umgesetzt. Auch der Praxisbezug ist durch Kooperationsmodelle
der Hochschule mit örtlichen Bühnen und so weiter gewährleistet.
Roßbach: Wie sieht der ideale Berufschorsänger
aus?
Protschka: Die Frage ist zuerst, was die Chöre wirklich
wollen. Sie äußern Bedarf an guten Sängern, die
sich chorisch einfügen. Auf der anderen Seite wird bei Vorsingen
immer das solistische Repertoire von einem Choristen verlangt, etwa
die Pamina oder die Bildnis-Arie.
Der Idealtyp eines Berufschorsängers muss eine zuverlässige
Stimme haben und gut ausgebildet sein. Tenöre und Soprane müssen
Höhe haben. Aber eben kein sehr individuelles Timbre. Es müssen
anpassungsfähige Stimmen sein. Musikalität, das Vom-Blatt-Singen
und Chorliteraturkenntnis sind wichtig. Und szenisch muss ebenfalls
viel gegeben werden, denn sonst ist ein Chorist heutzutage schnell
in der letzten Reihe und kommt nicht dazu, sich darzustellen.
Roßbach: Haben Sie selbst je in einem Opernchor gesungen?
Protschka: Nein! Aber ich vertrete nicht die Auffassung,
dass potenzielle Solisten nicht im Chor singen sollen. Ensembleerfahrung
ist fast in jeder Ausbildungsphase wichtig.
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