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Die Macht des Gesanges
Salzburger Impressionen – Von Gerhard Rohde
Als Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss und Max Reinhardt die
Salzburger Festspiele initiierten in der Hoffnung, an diesem geschichtsträchtigen
Ort das Abendland und seine Kultur retten zu können, dachten
sie zunächst und vor allem an die Theaterkunst und danach erst
an die Musik. Diese Reihenfolge hat sich dann allerdings alsbald
umgekehrt. Die Oper, das Kunstwerk, in dem sich alle Genres vereinigen,
rückte ins Zentrum auch der Salzburger Festspiele, und sie
behauptet ihren Platz dort bis auf den heutigen Tag. Was in der
Oper geschieht, entscheidet über die Qualität des jeweiligen
Festspiel-Jahrgangs. Am Niveau der Sänger, Dirigenten, Inszenierungen
wird das Niveau des gerade amtierenden künstlerischen Leiters
gemessen. Da können im Mozarteum noch so wundervolle Mozart-Matineen
erklingen, die Wiener Philharmoniker in ihren Sinfoniekonzerten
aufspielen oder große Solisten das Publikum begeistern: Wer
in der Oper versagt, hat, wie es in den „Meistersingern“
heißt, „versungen und vertan“. Das richtige Urteil
über gelungene oder nicht gelungene Opernaufführungen
hängt natürlich auch von der jeweiligen Intelligenz des
Publikums ab. In Salzburg darf man da, speziell in der ersten Premieren-Phase,
seine Zweifel anmelden. Wer in erster Linie mit der persönlichen
Selbstinszenierung beschäftigt ist, schaut sicher nicht immer
so genau auf die Bühne. Aber das war schon immer so, und so
ist es müßig, darüber noch lange zu lamentieren.
Bedenklicher erscheint es schon, wenn renommierte Kritiker (Name
bekannt) nach den ersten Opernpremieren bereits das Resümee
über das ganze Festival ziehen. Da gerät wohl in den Köpfen
einiges durcheinander. Gerade eine Persönlichkeit wie Peter
Ruzicka, der die Festspiele seit diesem Jahr künstlerisch gestaltet
und verantwortet, darf Objektivität, Kompetenz und die übliche
Fairness für den Anfang verlangen. Schließlich hat Ruzicka
die Hamburgische Staatsoper mit großem Erfolg geleitet, Henzes
Münchner Musiktheater-Biennale ebenso erfolgreich weitergeführt,
außerdem ist er ein erfahrener Dirigent und ein nicht ganz
unwichtiger Komponist, was ihn von so genannten Manager-Intendanten
positiv unterscheidet.
Seine erste Salzburger Opern-Saison darf insgesamt als gelungen
betrachtet werden. Stärker als sein Vorgänger Gerard Mortier
denkt Ruzicka „dramaturgisch“. Er ordnet sein Festspiel-Konzept
programmatisch in verschiedene Fächer ein, die er „Inseln“
nennt. Auf der ersten „Insel“ befindet sich, wie könnte
es anders sein, Wolfgang Amadeus Mozart – anno 2006 sollen
auf der „Insel“ alle 22 Opernwerke des Komponisten aufgeführt
werden, woran sensiblere Gemüter allerdings auch mit leichtem
Erschrecken denken: Ist das auszuhalten? Die zweite „Insel“
ist den Komponisten reserviert, deren Schaffen durch die Herrschaft
des Nationalsozialismus unterdrückt worden ist – was
sich beschämender Weise noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten
Weltkriegs auswirkte: Die ersten Namen, die Ruzicka auswählte,
sind Zemlinsky, Egon Wellesz, Korngold und Schreker. Die weiteren
„Inseln“ bewohnen die moderne Oper – Uraufführungen
sind vergeben, die große Oper des neunzehnten Jahrhunderts
und Richard Strauss, den Ruzicka wieder entschiedener als sein Vorgänger
erarbeiten will, vor allem mit den weniger bekannten Opern. Aber
auch der „Rosenkavalier“ wird 2004 neu inszeniert. Das
hört sich alles überlegt, thematisch sinnvoll und dramaturgisch
ausgreifend an. Entscheidend wird aber sein, in welcher Gestalt
und Qualität die Werke sich auf der Bühne und im Orchestergraben
musikalisch und szenisch präsentieren werden.
Die ersten vier Ruzicka-Visitenkarten liegen vor: Mozarts „Don
Giovanni“, Zemlinskys „König Kandaules“,
Puccinis „Turandot“ und von Richard Strauss „Die
Liebe der Danae“. Die Beurteilungen der Aufführungen,
in Kritik und im Publikumsurteil, schwankten mitunter gewaltig zwischen
Jubel und strikter Ablehnung, vor allem bei den Inszenierungen.
Erstaunlich dabei, wie wenig oft selbst erfahrene Rezensenten zu
sehen und reflektieren bereit schienen. Günter Krämers
„Danae“-Inszenierung reflektierte intelligent die kuriose
Aufführungsgeschichte der Oper: 1944 Generalprobe in Salzburg
– die Verkündung des „Totalen Krieges“ verhinderte
die Premiere –dann 1952 die nachgeholte Premiere, und jetzt,
fünfzig Jahre später, die erneute Auseinandersetzung:
Was könnte alles in dem Stück sich verbergen? Das Künstlerdrama,
die Flucht vor der Wirklichkeit damals, als Strauss die „Liebe
der Danae“ komponierte, Altersresignation, aber womöglich
auch die dunkle Ahnung vom Ende einer bestimmten Form spätbürgerlicher
Kultur? Aktuell auch und immer noch: Die Geldgier, wenn die Gläubiger
den Palast des verschuldeten Pollux plündern – Krämer
inszeniert das als Börsencrash sehr witzig. Er entwirft für
diese Perspektiven ruhige, einprägsame, subtil ausgeleuchtete
Bilder (Gisbert Jäkel, Reinhard Traub). Fast etwas zu schön,
um immer die denkbare Tiefenschärfe zu gewinnen, aber doch
von einer Eindringlichkeit, die bewirken könnte, dass das Werk
wieder häufiger auf den Musikbühnen erscheint.
Fast totaler Ablehnung verfiel David Pountneys „Turandot“-Inszenierung.
Gewiss, was Pountney und sein Bühnenbildner Johan Engels auf
die Bühne des Großen Festspielhauses wuchteten, erinnerte
an fürchterlichste Karajan-Inszenierungen, an Bregenz und Mörbisch.
Doch enthielt Pountneys Konzept durchaus zutreffende Überlegungen.
Diese gingen von Puccinis Musik aus, in der sich viele Einflüsse
der damals in den zwanziger Jahren aktuellen Musik wiederfinden.
Pountney assoziiert auch Filmisches und Bildnerisches: Chaplins
„Modern Times“, wo der Komiker im Zahnräderwerk
sich verfängt, Fritz Langs „Metropolis“, die Bilder
von Léger. Die zuckenden, maschinenartig agierenden Massen
entfalten eine magisch-groteske Wirkung. Vielleicht hätte der
Regisseur die Handlung ganz aus China nach Europa verpflanzen sollen:
Turandot als verklemmte, hochmütige Industriellentochter, ein
Fall für Doktor Freud. Vielleicht hätte man für eine
solche Interpretation Robert Carsen als Regisseur verpflichten können:
Turandot auf der Psycho-Couch. Das hätte sicher einen Skandal
gegeben, andererseits aber auch besser zum neuen Berio-Finale sich
gefügt. Dass Pountneys Inszenierung in einem fast komisch wirkenden
Gigantismus versinkt, lag allerdings auch an der pauschalen, vorwiegend
auf Lautstärke setzenden musikalischen Interpretation von Valery
Gergiev mit den Wiener Philharmonikern.
Überwiegend Zustimmung fand dagegen Zemlinskys „König
Kandaules“, vielleicht auch deshalb, weil kaum jemand das
Werk je auf der Bühne gesehen hat, es sei denn in Hamburg oder
Wien. Christine Mielitz inszenierte die vordergründig leicht
konfus-komplexe Handlung sozusagen „textgetreu“. Eine
seltsame Geschichte: Ein König verbirgt seine Frau, deren Schönheit
sprichwörtlich sein soll. Schließlich folgt der Augenblick
der „Entschleierung“ auf einem Fest. Kandaules überlässt
die Frau dem Fischer Gyges, den er zum Freund erhebt. Ein goldener
Ring, den ein Gast in einem von Gyges gelieferten Fisch findet,
orakelt Seltsames über das „Glück“. Schließlich
überwältigt Gyges in der Gestalt des Kandaules die Königin,
die, als sie die Wahrheit entdeckt, Gyges auffordert, Kandaules
zu töten und mit ihr den Thron zu besteigen. Hinter der Geschichte
verbergen sich komplexe Themen, das Künstlerdrama, die Beziehung
des Schöpfers zu seinem „Werk“ in Gestalt der verschleierten
Königin, das Cardillac-Motiv: der Künstler, der sich von
seinem Werk nicht zu lösen vermag und die Käufer seiner
Kunst deshalb ermordet. Schließlich auch die motivischen Verschlingungen
von Macht und Liebe, Kunst und Verbrechen, die naheliegende faschistische
Perspektive. Das könnte, müsste eine aktuelle Inszenierung
zu zeigen versuchen. Christine Mielitz‘ realistischer Zugriff
blieb da etwas zaghaft draußen vor.
Mozarts „Don Giovanni“: Dirigent Nikolaus Harnoncourt,
Regisseur Martin Kusej, Bühne: Martin Zehetgruber. Das „Team“
wird in den kommenden Jahren auch „La Clemenza di Tito“
und den „Figaro“ für Salzburg erarbeiten, deshalb
lag auf dem „Don Giovanni“ ein besonderer Erwartungsdruck.
Kusejs „Verführer“ (Thomas Hampson) zeigt wenig
Neigung zum erotischen Supermann, er strebt dem Tod entgegen. Das
ist das beherrschende Motiv, das Kusej und sein Bühnenbildner
sowie die Kostümbildnerin Heide Kastler in ein modernes Outfit
kleiden. Kaltes Weiß dominiert auf der sich unentwegt drehenden
Rundbühne, staksende Models in weißen Bikinis suggerieren
kalten Sex, auf dem Friedhof sieht man alte Weiber in zerrissenen
Strümpfen, im Finale tragen die Damen die Unterwäsche
in Schwarz: Proserpinas Töchter. Wenig teuflisch, eher albern.
Kusejs Inszenierung agiert oft virtuos (die Verführung Zerlinas),
ebenso oft ziemlich kindsköpfig, insgesamt in den Bilderfindungen
und „Übersetzungen“ ins zeitgenössische Kostüm
auf seltsame Weise unverbindlich. Brillant inszeniert kann das durchaus
Wirkung machen, aber: Werden die Geschichte und die Figur Don Giovanni
dabei auch einsehbar? Lässt sich das geschichtliche und gesellschaftliche
Umfeld, in dem Giovannis Treiben so verheerende Wirkungen zeitigt,
ohne Verluste einfach ausblenden? Fragen, die Kusejs Interpretation
nicht beantwortet.
Bleibt die Musik: Harnoncourt dirigiert mit den Wiener Philharmonikern
einen in Temporelationen und plastischer Formulierung bestechenden
Mozart, dem es im Gesamtzusammenhang etwas an dramatischer Kontinuität
mangelt. Ein vorzügliches, homogenes Ensemble sorgt für
vokales Glück: Hampson, Anna Netrebko (Anna), Michael Schade
(Ottavio), Magdalena Kozena (Zerlina), Melanie Diener (Elvira) ragen
hervor. Ohne Einschränkungen grandios der musikalische Part
im „Kandaules“: Kent Naganos Kompetenz sorgt mit dem
Deutschen Symphonie-Orchester Berlin dafür, dass Antony Beaumonts
ein wenig schematisch wirkende Instrumentation der Partitur fast
Zemlinsky-süffig klingt. Robert Brubaker (Kandaules), Wolfgang
Schöne (Gyges) und Nina Stemme (Königin Nyssia) singen
und agieren überwältigend. In „Turandot“ dominiert
Gabriele Schnaut, während Johan Botha als Kalaf Strahlkraft
vermissen lässt. In der „Liebe der Danae“ beherrscht
Franz Grundheber als Jupiter die Szene: Er singt die originale,
etwas höher liegende Bariton-Partie mit umwerfender Präsenz
und Intensität, während Deborah Voigts Danae ein wenig
farblos blieb. Die Dresdner Staatskapelle erwies sich einmal mehr
als kompetentes Strauss-Orchester, Fabio Luisi brauchte nur auf
die Koordination zu achten.
Bleiben die Chöre: Rupert Huber studierte die Konzertvereinigung
Wiener Staatsopernchor für „Don Giovanni“ und „Turandot“
ein: Speziell in „Turandot“ entfaltete sich ein machtvoller
Chorklang, der gleichwohl zur Differenzierung fähig war. Fabelhaft!
In der „Danae“ sang der Chor der Sächsischen Staatsoper
Dresden, den Matthias Brauer mit gebotener Sorgfalt einstudierte.
Gerhard
Rohde
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