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Kon-Fusionen in Thüringen
Theaterpolitik im Kaleidoskop · Von Stefan Meuschel
Zur Chefsache hat der Ministerpräsident des Freistaates,
Bernhard Vogel, die Neuordnung der Theaterlandschaft erklärt.
Ende nächsten Jahres laufen die Theater- und Orchesterfinanzierungsverträge
zwischen dem Land und den Rechtsträgern aus und die Zukunft
will geordnet sein. Seine dringliche Aufforderung an die Rechtsträger,
ihm bis Ende Juli dieses Jahres praktikable Konzepte vorzulegen,
war allerdings mit je einer finanzpolitischen, kulturpolitischen
und standortpolitischen Vorgabe verknüpft.
Die finanzpolitische: Der Freistaat ist bereit, planungssichernde
Zuwendungsverträge mit den Rechtsträgern für die
Jahre 2004 bis 2008 abzuschließen, deren jährliches Volumen
jedoch die bis 2003 gezahlten Beträge nicht überschreiten
dürfe, also rund 60 Millionen Euro. Kostensteigerungen bis
2008 – vom Kunstministerium geschätzt: rund 21,5 Millionen
Euro – müssten die Rechtsträger selbst übernehmen
oder sie müssten durch Personalabbau, Spartenschließungen
und Fusionen sparen.
Die kulturpolitische Vorgabe verriet zugleich das Einsparungskonzept:
„Die Zeit der Dreispartentheater (Oper/Operette, Schauspiel,
Ballett) in Deutschland geht ganz offensichtlich zu Ende“,
erklärte der Ministerpräsident. Zwar solle es überall
ein Dreispartenangebot geben, aber nicht an jeder Spielstätte
müsse es auch produziert werden.
Aus einer anderen Erklärung Vogels ergibt sich die standortpolitische
Vorgabe. Eine Landeshauptstadt ohne ein repräsentatives Opernhaus
könne er sich eigentlich nicht vorstellen, verkündete
er schon 1996. Wo der Regent am nächsten, ist sein Wille am
durchsetzbarsten: Das neue Opernhaus in Erfurt steht bereits, das
Schauspiel sowie das Kinder- und Jugendtheater Erfurts haben dicht
gemacht.
Die Konzentration Erfurts auf das Musiktheater resultiert aus
einem Vorhaben – und hätte bei dessen Realisierung vielleicht
Sinn gemacht –, das aus einer Zeit stammt, als die Neuordnung
der Thüringer Theaterstruktur noch nicht Chefsache war, sondern
in den Händen der Wissenschafts- und Kunstministerin Dagmar
Schipanski lag. Die hatte sich – selbst einigermaßen
theaterfremd – im Frühjahr 2001 in ihrem Ministerium
einen – auch auf der Haushaltsdeckelung basierenden –
Plan erarbeiten lassen, der nur das bereits fusionierte Theater
der Städte Altenburg und Gera sowie das Theater in Meiningen
und das Orchester in Jena unangetastet ließ, im übrigen
aber Eisenach, Rudolstadt, Saalfeld, Nordhausen, Sondershausen samt
dem Orchester in Gotha zu einer Art Westthüringer Groß-Landestheater
zusammenzwingen wollte und die Verschmelzung der Bühnen in
Erfurt und Weimar zu einer Art Thüringer Staatstheater vorsah.
In Erfurt sollte das Musiktheater, bedient von der Weimarer Staatskapelle,
seinen Sitz haben, in Weimar das Schauspiel.
Dieser Plan, ohne Wirtschaftlichkeitsberechnungen, ohne Kenntnis
der Thüringer Straßen- und Witterungsverhältnisse,
auch ohne Berücksichtigung regionaler kultureller Befindlichkeiten
und Bedürfnisse zusammengeschustert, konnte nur scheitern.
Zum Trümmerhaufen wurde er, als der Weimarer Stadtrat am 20.
Februar dieses Jahres beschloss, die Fusion seines Deutschen Nationaltheaters
mit Erfurt abzulehnen. Er tat dies nicht zuletzt unter dem massiven
Druck der Weimarer Bürgerschaft, die von den Mitgliedern des
Theaters und der Staatskapelle unter Anleitung des Generalintendanten
Stephan Märki mobilisiert worden war.
Wer mit wem?
Wird ein Kaleidoskop gegen das Licht gehalten und gedreht, so ergeben
sich ständig neue Konfigurationen der farbigen Glassplitter.
Als solch Spiel mit dem Kaleidoskop, wobei jeder Splitter eine Thüringer
Theater- oder Orchesterstadt bedeutet, mutet derzeit die Theaterpolitik
an; fraglich nur, wer das Kaleidoskop dreht: der Chef in Erfurt
oder die Rechtsträger?
Eisenach hat seinen Fusions- und Kooperationsvertrag mit Rudolstadt
und Saalfeld gekündigt, doch weder Eisenach noch Meiningen
mochten bestätigen, dass eine Fusion verabredet sei. „Die
Deutsche Bühne“, Verbandsorgan des Bundesverbandes Deutscher
Theater, wusste hingegen zu berichten, in einer für 2005 vorgesehenen
Fusion beider Häuser werde in Meiningen die Oper und das Schauspiel,
in Eisenach Musical, Operette, Ballett und Jugendtheater beheimatet
sein.
Rudolstadt und Saalfeld sind als Dreispartentheater allein nicht
überlebensfähig; hilft Jena?
Die vier Gesellschafter der Theater Nordhausen/Lohorchester Sondershausen
GmbH, zu denen neben den beiden Städten der Landkreis Nordhausen
und der Kyffhäuser-Kreis gehören, haben dem Chef gleich
zwei verschiedene Zukunftskonzepte vorgelegt: Auflösung der
Sparte Schauspiel meinen die einen, Verkleinerung des Schauspiels
und des Orchesters sowie Auflösung des Balletts meinen die
anderen.
Erscheint die Existenz des Jenaer Orchesters auch dank des städtischen
Engagements einigermaßen gesichert, so ist das bei den Orchestern
in Gotha/Suhl und in Greiz/Reichenbach keineswegs der Fall. Und
überall spielt sich der Nervenkrieg um die Neuordnung der Theater-
und Orchesterlandschaft nicht zuletzt zu Lasten der Beschäftigten
ab.
Neustrukturierung des DNT Weimar
Das gilt auch für die Beschäftigten des Deutschen Nationaltheaters
und der Staatskapelle Weimar. Auf einer Pressekonferenz am 23. August
präsentierte Märki seinen modifizierten Vorschlag zur
Neustrukturierung des DNT, dem er, sowohl sein Vorhaben als auch
sich selbst beschreibend, ein Hermann Hesse-Zitat vorangestellt
hat: „Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder
das Unmögliche versucht werden.“
Des Weimarer Intendanten Vorschlag, über den er sich am 10.
September mit den Gewerkschaften beraten will, der am 18. September
dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorliegt, enthält neben allgemeinen,
durchaus lobenswerten betriebswirtschaftlichen Absichtserklärungen
wie sparsames Wirtschaften, Effektivitätssteigerungen, Controlling
drei Vorhaben: Umwandlung des DNT in eine GmbH, Vereinbarungen über
Gehaltsverzicht seitens aller Beschäftigten, Schaffung neuer
Eingruppierungs- und Vergütungsstrukturen für die bislang
im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes angesiedelten Mitarbeiter.
Die Verwirklichung dieser Vorhaben ist an die Erfüllung mehrerer
Voraussetzungen geknüpft: Der Freistaat Sachsen, ob er nun
Gesellschafter der GmbH wird oder nicht, muss sich ebenso wie die
Stadt Weimar vertraglich verpflichten, der GmbH jährliche Betriebszuschüsse
in bisheriger Höhe zur Verfügung zu stellen; bis 2008
sind das für das Land jährlich 18,9 Millionen Euro, für
die Stadt 3,1 Millionen. Die Stadt Weimar muss zusätzlich die
Kosten für den Gebäudeunterhalt übernehmen. Irgendjemand
muss zulängliches Gründungskapital einbringen, denn mit
allein den gesetzlich vorgeschriebenen 25.000 Euro sind Finanzierungsengpässe
vorprogrammiert. Und die Stadt Weimar muss sich bereit erklären,
im Falle der Insolvenz der GmbH das Personal in städtische
Arbeitsverhältnisse zurückzunehmen. Ohne eine derartige
„Rückfallklausel“ wird kaum ein Arbeitnehmer bereit
sein, den Arbeitgeber zu wechseln und gleichzeitig erheblichen Gehaltsverzicht
in Kauf zu nehmen. Der soll bei den Mitgliedern der Staatskapelle
das 13. Gehalt betreffen, bei den übrigen Beschäftigten
bis 2008 den Verzicht auf alle regulären tariflichen Gehaltssteigerungen
und die Ost-West-Strukturanpassungen. Ob der Gehaltsverzicht tatsächlich
neben dem vorgesehenen Personalabbau „durch natürliche
Fluktuation“ ausreicht und ob das vorgesehene „Profitcenter
Staatskapelle“ den erhofften wirtschaftlichen Erfolg bringen
kann, wird eine bisher nicht vorliegende Finanzplanung für
die Jahre 2003 bis 2008 erweisen müssen.
Einer weitgehenden Zustimmung der Beschäftigten zu seinen
Vorhaben kann Märki sicher sein, haben sie doch, durchaus im
Bewusstsein der damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken, an seiner
Seite für den Erhalt der Eigenständigkeit des DNT gefochten.
Aber gerade deshalb sehen sie mit einiger Verwunderung, dass Märki
sein Vorhaben nicht präzise mit ihnen abgestimmt hat. Unverständlich
ist ihnen, weshalb er unter der nicht zutreffenden Vorgabe, schon
„ab November 2002 setzten Gehaltssteigerungen ein“,
sich selbst und die Belegschaft unter Zeitdruck bringt. Weshalb
er nicht, jedenfalls für das künstlerische Personal, versucht,
den Gehaltsverzicht auf dem sicheren Weg regulärer Haustarifverträge
zu vereinbaren. Die Gewerkschaften und der deutsche Bühnenverein
haben entsprechende Verhandlungsbereitschaft längst signalisiert.
Derartige Informationsdefizite nähren den Verdacht, dieses
für die ganz spezielle Situation Weimars gedachte, von den
Bürgern und für die Bürger Weimars gewollte Not-Finanzierungsvorhaben
solle doch eine Art „Modell“ werden: Kultur zu Dumping-Preisen.
Wenn die bündnis-grüne Spitzenpolitikerin Antje Vollmer
kurz vor der Bundestagswahl ihr Herz für das deutsche Theater
entdeckt und den Kampf um die Eigenständigkeit des DNT unterstützt,
dann ist das sowohl verständlich als auch anerkennenswert:
Das Theater braucht jeden Verbündeten. Wenn sie aber in Weimar
ausführt, nur in einer Provinzstadt, in der die Bürgerschaft
ihr Theater voll und ganz unterstütze, sei ein solches Sparvorhaben
auf der Grundlage von Gehaltsverzicht möglich, dann ist das
leichtfertiges Geplappere: Ist denn Meiningen keine derartige Provinzstadt?
Oder Eisenach? Oder Würzburg? Oder Lübeck? Das DNT gilt
es zu erhalten – aber wehret den Anfängen eines Modells!
Stefan
Meuschel
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