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Berichte

Zauber des Unmöglichen

„Saint François d’Assise“ an der Deutschen Oper · Von Isabel Herzfeld

Dieses Werk ist eine Zumutung. Jedenfalls keine „Oper“ im landläufigen Sinne: handlungsarm schleppt sich das Leben und Sterben des Heiligen Franz von Assisi über die Bühne. Der vertrauten „großen Gefühle“, der theatertauglichen „Menschen aus Fleisch und Blut“, gar der bekannten erotischen Verwicklungen und Ränkespiele entbehrt das Libretto gänzlich. „Saint François d’Assise“ von Olivier Messiaen ist eine Oper über Gott, also etwas, was man nicht sehen, nicht hören, nicht begreifen kann. Vor allem auch etwas, was unserem „normalen“ Leben sehr fremd geworden ist. Hartes Brot also, was Intendant Udo Zimmermann zum Ende seiner ersten Spielzeit an der Deutschen Oper Berlin seinem Publikum da vorwirft.

 
 

Kontemplativ gefasste Szenen in „Saint François d’Assise“. Foto: Freese

 

Der spektakuläre Umstand allerdings, dass Daniel Libeskind hier sein „Operndebüt“ gab – unter Mitarbeit von Thore Garbers zeichnete der berühmte Architekt für die gesamte szenische Konzeption sowie Bühnenbild und Kostüme verantwortlich – zog die Besucher in Scharen in die Vorstellungen. Das Ergebnis, dem abstrakten Inhalt des Werkes, weniger der Sinnlichkeit und Vielfalt seiner Formen entsprechend, blieb im Detail jedoch ebenso rätselhaft wie die Fantasie anregend. Libeskind greift hier eine alte Lieblingsidee auf: Vor zwanzig Jahren konstruierte er für die Kunstbiennale Venedig eine „Writing Architecture Machine“, eine nach klösterlichen Handwerkstechniken erbaute Vorrichtung, welche die Idee der unsterblichen Stadt wiedergeben sollte. Zu ihrem Bild fügten sich um die eigene Achse rotierende Kuben, mit den verschiedensten Emblemen und Zeichen versehen. Die Opernbühne nun soll „ein Ort der Meditation des Fragens, der Analogie und des Paradoxes“ sein, mittels eines riesigen Zauberwürfels von sieben mal sieben Kuben. In wechselnden Beleuchtungen kommunizieren sie mit dem Bühnengeschehen.

Das bleibt diskret, nur angedeutet. Wenn die Klosterbrüder in strengem Schwarzweiß umherschreiten, auch Franziskus in fahl gestreifter Weste auftritt und selbst dem Engel keine brillantere Erscheinung beschieden ist, mag man das bedauern. Doch wird dadurch ein Abgleiten in religiösen Kitsch und unangemessene Verdoppelung klug vermieden.

Vordergründig wenig Futter fürs Auge bietet auch die „Szenische Realisierung“, zu der man in buchstäblich letzter Minute die Regisseurin Antje Kaiser hinzugezogen hatte. Langsame großräumige Bewegungen unterstreichen den rituellen Charakter der Szenen, gemahnen streckenweise an japanisches Nô-Theater, dem Messiaen manch ungewöhnlich langsames Tempo seiner Musik verwandt sah. Nur der Engel – wahrhaft engelhaft gesungen von Ofelia Sala – entspricht dem, entgegen der Vorschrift des Komponisten, mit hektischen, nicht sehr präzisen Trippelschritten so gar nicht. Insgesamt entsteht durch die zurückhaltende Personenführung viel Raum für die Musik, für ihre überwältigende Sinnlichkeit, ihre mitreißende, zuweilen niederschmetternde Klanggewalt, ihre klaren scharf geschnittenen Formen und ihre komplex-transparente Struktur. Die gezackten unregelmäßigen Rhythmen, schrillen Register und schimmernden Mixturen, in extremen Kontrasten hart gegeneinander geschnitten, bringt der 38-jährige Marc Albrecht, frisch gebackener erster Gastdirigent des Hauses, mit seinen 119 Instrumentalisten und 150 Chorsängern zu prachtvoller Entfaltung. Vielleicht dämpft der Orchestergraben noch manches gleißende Farblicht – vielleicht gehörte hier das Orchester als Hauptdarsteller wirklich auf die Bühne. Jedenfalls übertreffen hier die vormals oft spröden und schwerfälligen Musiker des Opernorchesters wahrhaft sich selbst, schaffen auch den sensiblen Hintergrund für den noblen, unermüdlich präsenten Gesang des Titelhelden Frode Olsen und anderer imponierender Ensemblesolisten.

Von der Witwe Yvonne Loriod verlautete bereits Protest gegen die Inszenierung des Werkes, das ihr Gatte als die Krönung seines Schaffens bezeichnet hatte. Gewiss erfährt seine „katholischste Oper“ durch die jüdische Lesart, die ihr durch Einbeziehung der Holocaust-Problematik und Aberkennung einer eindeutig christlichen Ausrichtung gewissermaßen die Unschuld nimmt, eine durchaus kritische Würdigung. Bedrohliche Untertöne erhält so auch der sonst kaum erträgliche, geradewegs ins C-Dur-Pathos der Auferstehung marschierende Schluss. Auch mag ihr Purismus den eher opulenten Vorstellungen Messiaens widersprechen. Doch wenn dieser sein Komponieren als Ausdruck der Sehnsucht nach dem Abwesenden begreift, als Darstellung des Undarstellbaren, dessen transzendente Schau das Farberlebnis des Regenbogens als Symbol für den „Zauber des Unmöglichen“ bewirken kann, so umfängt dieser Zauber auch diese vorgebliche Nicht-Inszenierung, mit welcher die Deutsche Oper nach Luigi Nonos „Intolleranza“ den Weg zu engagierter Zeitgenossenschaft weiter beschreitet.

Isabel Herzfeld


 

 

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