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Ermüdende Standregie
Martinus „Julietta“ in Bregenz · Von Stefan
Rimek
Eine Oper zu inszenieren, deren gesamte Handlung als Traum, also
auf einer fiktiven und surrealen Ebene abläuft, stellt an die
Regie keine geringen Ansprüche. So hatte sich die junge Regisseurin
Katja Czellnik viel vorgenommen, als sie im Rahmen der 57. Bregenzer
Festspiele die Regie für Bohuslav Martinus, 1938 in Prag uraufgeführte,
surrealistische Oper „Julietta“ übernahm. Aber
die Produktion, welche das diesjährige Festival im ausverkauften
Festspielhaus eröffnete, konnte diesen hohen Anforderungen
nur bruchstückhaft bis gar nicht gerecht werden.
Zwar ließ sich Czellnik durchaus einiges einfallen. So sollte
ein sandiger Hügel, auf den der „Mann mit dem Schiff“,
immer wieder den alten Fischerkahn hinaufzieht, bevor dieser wieder
zum Ausgangspunkt zurückgleitet, auf den mühsam ein Rad
gerollt wird, bevor es sich selbstständig macht und auf dem
die singende Juliette klavierspielend, inklusive Konzertflügel,
herumwandelt, die Aussichtlosigkeit des menschlichen Tuns symbolisieren.
Das Ganze, gefangen in den dicken Betonwänden einer hohen Schleuse
und gespickt mit sich türmenden, kaputten weißen Stühlen
und Fensterrahmen sowie einigen interessanten Details, strahlte
für eine gewisse Zeit ja auch eine spürbare Aussagekraft
aus.
Um diese Sinnlosigkeit solcher sich ständig wiederholenden
Rituale auf einen Kulminationspunkt zu treiben, ignorierte Czellnik
aber auch sämtliche Regie- und Bühnenbildanweisungen des
Komponisten und behielt die Szenerie bis zum Ende des Werks ohne
jegliche Verwandlungen bei. Aber genau hier lag der Kardinalfehler
der Regisseurin in Bezug auf ihr Verständnis des Werks. Denn
Martinus Oper „Julietta“ weist zwar keine äußerliche
Handlung auf und deutet zugegebenermaßen auch auf den sich
ritualartig wiederholenden Neubeginn im menschlichen Dasein hin,
aber die Oper ist nicht rein nihilistischer, sondern surrealer Natur
– und das ist wahrhaftig ein großer Unterschied!
So läuft im Kopf des Protagonisten Michel sehr wohl eine Handlung
ab, unterbewusste Ebenen tun sich auf und Urängste werden spürbar.
In der fiktiven Stadt der Gedächtnislosen, in die Michel im
Traum zurückkehrt und im wahrsten Sinne des Wortes seine „Traumfrau“
Juliette trifft, erlebt er doch die gesamte Palette der menschlichen
und zwischenmenschlichen Gefühlswelt. Das wird ja auch real
auf der Bühne durch die handelnden Personen umgesetzt. Da muss
die Regie unterstützend wirken. Dagegen wirkte Katja Czellniks
„Standregie“, die auch noch das Potenzial an Stimmungen
durch Beleuchtungsvarianten völlig außer Acht ließ,
mit fortlaufender Dauer der dreistündigen Aufführung zunehmend
ermüdend. Daran konnten auch kleinere Kürzungen des Librettos
im dritten Akt nichts ändern. So schaffte es die Inszenierung
nicht, die Existenzängste des Protagonisten packend über
die Bühne zu bringen und somit das Publikum zu erreichen.
An den Bühnenakteuren lag es nicht, dass diese Premiere so
enttäuschend ausfiel. Allen voran brillierte Johannes Chum
in der Rolle des Michel durch Stimmgewalt, aber auch ein inniges
Gespür für dynamische Nuancen und eine hervorragende Textartikulation.
Eva-Maria Westbroek gab eine souveräne Juliette. Beeindruckend
gestalteten sich auch die Leistungen Richard Salters, der als „Mann
am Fenster“ (in dieser Inszenierung natürlich ohne Fenster)
nicht nur stimmlich, sondern auch auf dem Akkordeon überzeugen
konnte – eine echte Rarität. Auch alle anderen Ausführenden,
eingeschlossen die unter der Leitung von Dietfried Bernet bis in
die Tiefen der Partitur beeindruckend agierenden Wiener Symphoniker
sowie die Chöre, verdienen Lob.
Auch der sehr zurückhaltende, nur für Johannes Chum
(Michel) und das Orchester leicht aufbrausende Schlussapplaus spiegelte
diesen Gesamteindruck wider. Für die Regie tendierte er gegen
Null. So war schon während des überflüssigen zweiten
und damit letzten Vorhangs der halbe Saal leer – bitter für
die hervorragenden Bühnenakteure. Katja Czellnik konnte somit
nicht einmal die Aufmerksamkeit einer Polarisierung für sich
in Anspruch nehmen. Dafür war die Inszenierung ganz einfach
zu uneffektiv und unbedeutend.
Stefan
Rimek
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