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Gescheiterte Fusion
Die Schillertheater-Ehe wurde aufgelöst ·
Von Jörg Loskill
Die Intendanten schmiedeten, was zu den großen Seltenheiten
im deutschen Theaterwesen gehört, 1995 das Konzept einer Fusion.
Sie reagierten damit auf die politischen und finanziellen Auflagen
in den Städten Gelsenkirchen und Wuppertal, die rund 60 Kilometer
voneinander entfernt in Nordrhein-Westfalen liegen Gelsenkirchen
zählt zu den Großkommunen im Ruhrgebiet, Wuppertal ist
Haupt-Stadt des Bergischen Landes. Die Gemeinsamkeiten beschränken
sich auf Strukturprobleme. Beide befinden sich in Budget-Schieflage,
beide beweisen eine beachtliche kulturelle Tradition. Doch die Ehe,
die nun von den Politikern zum Sommer 2001 nach fünf Jahren
Dauer geschieden wird, konnte nur auf Zeit geschlossen
werden, weil sich die beiden Herren auf den Kommandobrücken
bestens verstanden. Das heißt: Ludwig Baum als langjähriger
Chef des Musiktheaters im Revier, und Holk Freytag als ebenso erfahrener
(und von Finanzkrisen gebeutelter) Generalintendant in der Wupper-Stadt
bastelten hinter den Kulissen an einer Konstruktion, die vor allem
eines zu Wege bringen sollte: Durch Personal- und Ressourcenzusammenlegung
sollten Etatkürzungen von rund 11 Millionen Mark aufgefangen
werden. So entstand das Schillertheater Nordrhein-Westfalen, von
Freytag auch als kulturpolitischer Protest gegen den Tod des Berliner
Schillertheaters verstanden. Was Baum/Freytag mit ihrem tragfähigen
Modell bewirken wollten: einen Spielplan in allen Sparten,
der den drohenden Abbau des Schauspiels in Wuppertal verhindern
sollte. Und Gelsenkirchen profitierte von diesem die Politiker in
beiden Städten überzeugenden Konzept, weil es durch
die Hintertür wieder ein Sprechtheater bekam. Das war
1965/66 ebenfalls aus Finanzgründen trotz seines guten Rufes
gekappt worden.
Mangelnde Resonanz
Die Reaktion des Publikums auf diese von den Ensembles ungeliebte,
weil auch mit vielen Unannehmlichkeiten der Hin- und Herfahrerei
verbundene Fusion: Wuppertals Opernfreunde fühlten sich hintangesetzt,
weil die Opernleitung im fernen Gelsenkirchen angesiedelt
war, Gelsenkirchens Schauspielinteressenten mussten erst wieder
lernen, mit einer neuen, heutigen Ästhetik (gerade bei populären
Klassikern) konfrontiert zu werden. Anders gesagt: die Besucher
strömten in beiden Städten nicht so, wie sich die Väter
des Schillertheaters das gedacht hatten. Das ließ sich auch
an der Kassensituation ablesen. Die Vorbehalte schienen sogar im
Laufe der Jahre zu wachsen: Wuppertal empfahl sich extrem als Beispiel
für diese These.
Absage an die Fusion
Da ja die Politik, wie man allerorten weiß, sensibel auf
Störungen im kulturellen Betrieb beziehungsweise bei der kulturellen
Grundversorgung anspricht, kam die Reaktion auf Unmut bei der Theatergemeinde
in Wuppertal und weiterer Zuschauerkreise prompt: Im Februar 2000
lehnte die knappe CDU-Mehrheitsfraktion im Wuppertaler Stadtparlament
die Weiterführung über die Saison 2000/01 ab. Man wolle
wieder aus eigener Kraft einen Drei-Sparten-Betrieb finanzieren.
Gelsenkirchens Rat zog kurze Zeit später nach und beerdigte
ebenfalls das Intendanten-Kind. Man schien auch in der
Revierkommune nicht gerade traurig über diese Entwicklung zu
sein, türmten sich doch die Probleme inzwischen zu Riesenhürden
auf: In Wuppertal droht die Schließung von Opern- und Schauspielhaus
wegen akuten Sanierungsbedarfs, das Personal war auf Grund des Finanzrahmens
so ausgedünnt, dass Vorstellungen abgesagt werden mussten,
dass nicht alle gewünschten Produktionen zwischen den beiden
Städten ausgetauscht werden konnten, dass die Resonanz des
Publikums besonders in der Bergischen Stadt weiter schwächer
als erwartet blieb. Und: die personale Situation sollte sich mit
der Saison 2001/02 stark verändern. Baum hatte angekündigt,
er wolle sein Amt nach 13-jähriger Verantwortung aufgeben,
Freytag wurde in Dresden zum neuen Schauspiel-Intendanten gewählt.
Die Konstrukteure des Fusionsschiffes verließen den schlingernden
Dampfer. Das gab den letzten Anstoß für eine Beerdigung
des Modells.
So las sich das Protokoll einer im Grunde durchaus sinnvollen,
mit Verantwortung und Seriosität entwickelten, allerdings aus
dem Stand heraus erarbeiteten Bühnenehe zum Schluss doch bitter.
Wuppertals CDU-Vertreter hielten vor:
- Die Einstellung und die Ansprüche in beiden Städten
seien unüberbrückbar unterschiedlich;
- Wuppertal sei zur Abspielstätte Gelsenkirchener
Produktionen verkommen (was nun wirklich nicht der Fall
war, denn die Solisten wurden vorbildlich integriert und bekamen
dankbare Aufgaben);
- die Entfernung zwischen den Kommunen habe sich als ungünstig
für ein organisches Zusammenwachsen erwiesen;
- die Fusion habe zu Einsparungen geführt, trotzdem blieben
für die Zukunft erhebliche finanzielle Risiken
(Defizite fielen bereits 2000 und 2001 an);
- die Transportpraxis für Solisten und Kollektive (Chor)
sei unzumutbar und unwirtschaftlich;
- das Wuppertaler A-Orchester sei, weil im Opernbereich zu selten
gefordert, im Bestand gefährdet (GMD George Hanson war hier
der stete Warner).
Neue Köpfe
Es ging dann alles ziemlich rasch: In beiden Kommunen wurde die
Trennung mehr oder weniger von Politik und Publikum begrüßt
als neue Möglichkeit für einen selbstständigen
Weg der beiden unvergleichbaren Theaterstandorte, für
ein neues Kulturbewusstsein, für eine neue Identität zwischen
Bühnen und Stadt. In Gelsenkirchen wurde die Intendantenstelle
ausgeschrieben. Peter Theiler (Biel/Solothurn) schälte sich
als Favorit heraus und wurde gewählt. Er will ab August 2001
das bewährte Programm des Musiktheaters im Revier neu beleben.
In Wuppertal entschied man sich für den Ex-Züricher Gerd-Leo
Kuck, der wiederum Hans-Peter Kehr als Operndirektor verpflichtete.
In Gelsenkirchen wurde dem Haus eine Etatgrenze von 25 Millionen
Mark für zwei Sparten (Oper/Ballett) verordnet, Wuppertal will
sogar nur mit 22 Millionen Mark für Schauspiel und Oper weiterführen.
Pina Bauschs Ballett besitzt einen eigenen Etat. So weit, so schlecht:
Denn durch den Alleingang darf keines der beiden Institute als gesichert
gelten. Die Rahmenbedingungen haben sich in den Städten nicht
gebessert, sondern eher verschlechtert. Und zum Finale gibt es noch
einmal viel Ballyhoo: Man schimpft übereinander, das Gezerre
um Finanzen nimmt dramatische, für die Kultur belastende Ausmaße
an, die Risse im Gebälk des Theaterdaches werden tiefer und
gefährlicher. Spricht man in einer ruhigen Minute
(gibt es die überhaupt am Theater?) mit dem Leitungsduo, kommt
Bedauern auf: über die Kurzatmigkeit der Politik, die dem Modell
kaum eine Entwicklungs- und Reifechance gelassen hätte. Dabei
sei man doch auf gutem Wege gewesen Kinderkrankheiten
seien weitgehend abgestellt.
Das Ganze: ein Fall für die Ursachenforschung von kleinen,
mittleren und starken Katastrophen der Kulturpolitik. Die Ehe war
politisch nur aus Finanz-, nicht aus Verstandes- oder gar Liebesgründen
geschlossen worden. Das war der entscheidende Fehler wie
im richtigen menschlichen Leben. Theater spiegelt die Gesellschaft.
So auch hier. Mit Streit geht nun zu Ende, was mit Euphorie zumindest
bei den Ehe-Leuten begann.
Befürchtet wird zumindest in Wuppertal, dass dort über
kurz oder lang eine Sparte über die Wupper geht.
Was doch ein Fluss für eine magische Fatalität auslösen
kann?
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