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Ein starrsinniger, hinterwäldlerischer,
verbockter Greis solle endlich das
Feld räumen; die Häme, mit der Stimmen aus der Presse
und Politik dies fordern, hat den Boden des Anstands, des Respekts
und der Würde verlassen.
Hat er seinen Etat überzogen, wie es namhafte Staats- und
Generalintendanten
tun? Hat er das Publikum aus seinem Theater vergrault, worauf manche
Theaterleiter auch noch stolz sind? Hat er bei seinen zahllosen
Bau- und Renovierungsmaßnahmen jeden Kostenüberblick
verloren, wie es einem weiland Münchner Kulturreferenten, jetzt
Berliner Kulturstaatsminister unterlaufen ist? Verfällt sein
Theater, funktioniert die Betriebsorganisation nicht mehr, bleibt
auch nur eine Eintrittskarte unverkauft liegen? War er womöglich
Stasi-Informant oder gibt gar die Kantine im Festspielhaus Anlass
zur Kritik?
Die Atriden von Oberfranken sind anonymen Bürokraten aus München
bei wei-
tem vorzuziehen, schrieben wir 1984. Der Stiftungsrat der
Bayreuther Richard Wagner Festspiele hat mit seiner Entscheidung
vom 29. März 2001, Eva Wagner-Pasquier als Nachfolgerin des
Festspielleiters zu nominieren, die Nominierte und sich selbst in
eine absurde Situation manövriert. Der Bayreuther Festspielleiter
kann nicht abberufen werden wie ein landläufiger angestellter
Intendant eines staatlichen oder städtischen Theaters; der
Satz träfe selbst dann zu, wenn Wolfgang Wagner nicht auf Lebenszeit
vertraglich verpflichtet wäre.
Die Bayreuther Festspiele feiern heuer ein Doppeljubiläum:
125 Jahre Festspiele,
50 Jahre Neu-Bayreuth. Die Lebensleistung des bis 1967 zusammen
mit seinem Bruder Wieland, seither allein verantwortlichen Festspielleiters
Wolfgang Wagner ist es, das wie Hans Mayer formulierte
1945 an der Kulturbörse unter Null gehandelte Werk
Richard Wagners in all seiner Größe und Verrücktheit,
in seiner visionären Unzeitgemäßheit, auch mit seiner
zweideutigen Kunstreligion am Leben erhalten zu haben. Helfer hatte
er viele neben den Künstlern seien nur Ernst Bloch,
Karl Dahlhaus, Hans Mayer, Wolfgang Schadewald erwähnt
doch der genial-sturköpfige Macher hieß seit
1951 stets Wolfgang Wagner.
Wenn Wagners Opern heute selbst in der Provinz viel gespielt und
interessant
interpretiert werden, ist das auch Folge der Werkstatt Bayreuth.
Und wer dem Alten vorhält, Inszenierungen außerhalb
Bayreuths überträfen das Vorbild, der preist ihn, hat
Wolfgang Wagner doch mit den Festspielproduktionen Götz Friedrichs,
Patrice Chéreaus, Dieter Dorns, Harry Kupfers, Werner Herzogs
oder Heiner Müllers den beinahe wettbewerblichen Reigen in
Gang gesetzt. Selbst der mäkelnde Hinweis auf den nur teilweise
gelungenen Ring des Jahres 2000 besagt nichts: Bayreuths
Ringe waren im Premierenjahr oft nachbesserungsbedürftig;
Peter Halls romantischem Ring des Jahres 1989 half selbst
die Nachbesserung nichts.
Die zur Begründung des Wechsels in der Festspielleitung zum
1. Oktober 2002
vorgebrachten Anwürfe sind ebenso an den Haaren herbeigezogen,
wie die flugs im gleichen Atemzug geäußerte Anerkennung
geleisteter Arbeit verlogen ist. Die Konfliktlinie verläuft
anderswo. Meinen die einen, um mit Theodor Fontanes Stechlin
zu reden, das Alte müsse fallen, weil es alt ist, selbst
wenn das Alte besser ist, als das Neue, so meint Wolfgang
Wagner, das bessere Alte müsse und ließe sich fortsetzen.
Und er, der erfahrene 81-jährige Erbe der Festspielidee seines
Großvaters, habe das entscheidende Wort mitzureden, wenn es
um den künftigen Hüter des Erbes gehe. Er will kein modernes
Festival, sonder den Fortbestand der unzeitgemäßen,
geradezu anachronistischen, gerade deshalb so einmaligen und erfolgreichen
Richard Wagner-Festspiele.
Uns kann es hier nicht um Personen gehen, sondern nur um die Frage,
ob die
Vorstellungen Wolfgang Wagners denn gar so abwegig sind. Und ob
es nicht an der Zeit ist, die Nachfolgefrage wieder fair zu verhandeln,
in der Einsicht, dass sie nur mit Wolfgang Wagner, aber nicht gegen
ihn gelöst werden kann. Andernfalls drohen nicht nur Personen,
sondern auch die Festspiele Schaden zu nehmen.
Ihr Stefan Meuschel
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