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Abkehr von der Literaturoper
Effi Briest Uraufführung in Bonn ·
Von Guido Fischer
Den Luxus einer eigenen Ex-perimentierbühne für die
zeitgenössische Oper leisten sich die Bonner Bühnen seit
nunmehr vier Jahren. Und versorgen den Musiktheater-Betrieb über
die Reihe Bonn Chance! erfolgreich mit den notwendigen
Frischzellenkuren, mit Uraufführungen von Adriana Hölszky,
Steve Reich und Manos Tsangaris. Bei allen Meriten scheint aber
dieses in Deutschland einzigartige Projekt nach der Spielzeit 2002/2003
dann vielleicht Geschichte zu sein, wenn die Bundesmittel für
die ehemalige Hauptstadt wegfallen werden. Bis dahin muss Intendant
Manfred Beilharz bereits knapp 15 Millionen Mark einsparen und die
Bonn Chance!-Produktionen von bisher jährlich drei
auf zwei zurückfahren. Zum vitalen Einspruch geriet daher gleich
mehrfach das Auftragswerk Effi Briest von Iris ter Schiphorst/Helmut
Oehring, das im Forum der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle uraufgeführt
wurde.
Schon der Arbeitstitel Musiktheatralisches Psychogramm
signalisiert eine Abkehr von der konjunkturell sich im Aufwind befindenden
Literaturoper, wobei sie dramaturgisch kaum Neuland betritt und
stattdessen den Handlungsablauf oft nur getreu übernimmt. Das
seit 1996 zusammenarbeitende Komponistenpaar Schiphorst/Oehring
lässt zwar der Romanvorlage Theodor Fontanes auch ihren roten
Faden. Mit den auf vier Akte verteilten und filmisch montierten
28 Szenen schlagen sie jedoch Schneisen in dieses Musterbuch an
großbürgerlichem symbolischem Realismus und lassen es
auseinander brechen.
Denn für Schiphorst/Oehring sowie die Regisseurin Ulrike Ottinger
ist Fontanes mikroskopische Leidensschau der Effi Briest, seine
Ästhetisierung des weiblichen Opfers, mehr als fragwürdig.
In Bonn steht die Hauptfigur deshalb nicht nur mit beiden Beinen
fest auf dem schicksalshaften Boden der sittenstrengen Konventionen
der wilhelminischen Gesellschaft, dem Ottinger eine treppenartige
Präsentationskulisse in Blau und Rot gebaut hat. Es sind gleich
drei Effis, die aus dem elegant-gefällig gebauten Ehe- ein
abgründiges Kommunikationsdrama zwischen Innen- und Außenwelt
machen. Ist die Sopranistin Salome Kammer in ihrem Korsett aus Gesten
und Koloraturen noch ganz die folgsame Gattin fontaneschen Zuschnitts,
wird die taubstumme Gebärdensolistin Christina Schönfeld
zu ihrem kindlichen Pendant. Deren Gebärdenausdruck ist von
revoltierend-trotziger, tonloser Emotion. Es sind hier zwei in die
Enge getriebene Figuren, die sich nur äußerlich komplizenhaft
verschwören, wenn sie sich in Duetten der Imitation begegnen,
in denen beispielsweise Simone Kammer zu Schönfelds Stimmprothese
wird.
In dieser Parallelwelt ist Ingrid Caven die Kontaktperson. Mit
ihrem fast chamäleonartigen Stimmorgan schlüpft die Fassbinder-Schauspielerin
und Chanson-Sängerin Caven von der skrupellosen Mutter Effis
in der Rolle der Tochter. Durchmisst sie mit gruseliger Verwandlungskraft
den Weg vom dahinplärrenden Kind hin zur geschunden und abgetakelten,
spöttisch-ironischen Greisin. Es ist ein panoptisches, ständig
flirrendes Ausdruckslamento, in dem die collagierten Chansons unter
anderem von Charles Trenet nur zum fragmentarischen Hoffnungsmoment
werden. Denn solche fremdkörpergleichen Setzungen saugt das
hermetische Geräuschspektrum, das von einer stoischen Dunkelheit
geprägt ist, von Schiphorst/Oehring umgehend auf. Nur unmerklich
verzahnen sich lang anhaltende Tonplatten ineinander, gefrieren
Motivpartikel geradezu zu einer musikalischen Landschaft, in der
jede aufbäumende Bewegung zur Kraftanstrengung wird. Diese
musiktheatralischen Entladungen setzt die 18-köpfige MusikFabrik
NRW unter ihrem Dirigenten Wolfgang Ott aber mit konditionsreichen
Klimmzügen ebenso um, wie es die unterschwellig ablaufenden
Passagen mit ungemein sorgfältiger Detailarbeit markiert. Schiphorst/Oehring
haben hier eine auch als Hörspiel geeignete Klangfläche
ausgelegt, die das Klaustrophobische und die Katastrophe gleichsam
imaginiert, ohne sie deshalb zur diskursiven Chiffre zu machen.
Dass die in Effi Briest zentrierte Sprachlosigkeit dennoch
Dimensionen von Fasslichkeit und dramatischer Berührtheit aufbietet,
unterstreicht einmal mehr die Erneuerungsbereitschaft aktuellen
Musiktheaters, das sich gerade dank der Reihe Bonn Chance!
behaupten kann.
Guido Fischer
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